Zähl Pixel
Krankheit

T„Was ist, wenn ich sterbe?“ Junge Mutter an Brustkrebs erkrankt

350 Frauen im Alter unter 30 Jahren erkranken in Deutschland jährlich an Brustkrebs. Die zweifache Mutter aus dem Cuxland, die nicht auf dem Symbolbild zu sehen ist, erhielt mit 29 die Diagnose.

350 Frauen im Alter unter 30 Jahren erkranken in Deutschland jährlich an Brustkrebs. Die zweifache Mutter aus dem Cuxland, die nicht auf dem Symbolbild zu sehen ist, erhielt mit 29 die Diagnose. Foto: Garaeva/Imago

Sie hat gerade ihre Tochter abgestillt, da spürt sie ihn. Einen Knubbel in der linken Brust. Deutlich ist er tastbar. „Wird eine Entzündung in der Milchdrüse sein“, glaubt die 29-Jährige. Wenige Monate später trifft sie eine drastische Entscheidung.

Von Tobia Fischer Samstag, 17.02.2024, 11:51 Uhr

Bremerhaven. Im Wohnzimmer des Einfamilienhauses in einer Gemeinde im Kreis Cuxhaven turnt die eineinhalbjährige Tochter munter auf dem Sofa, während die junge Mutter aus dem Landkreis am Tisch sitzt. Selbstbewusst, gut geschminkt, nur das Kopftuch fällt auf.

Ihren eigenen Namen und genauen Wohnort möchte sie nicht öffentlich nennen. Natürlich weiß ihr Freundes- und Bekanntenkreis über ihre Erkrankung Bescheid. „Am Anfang habe ich die Diagnose auch in den sozialen Medien mitgeteilt“. Aber nicht mit Details. So viel Persönliches möchte sie nur anonym preisgeben. Doch Lena, wie wir sie hier nennen, will ihre Geschichte erzählen, um andere Frauen zu sensibilisieren.

Ärzte vermuten zunächst eine gutartige Wucherung

Genau ein Jahr ist es her, dass die damals 29-Jährige in der linken Brust eine Veränderung ertastete. „Ich hatte vier Wochen davor aufgehört zu stillen“, erinnert sich die junge Mutter. Sie dachte sich nichts dabei. Der Knubbel am Brustansatz wird eine Entzündung der Milchdrüse oder eine Zyste sein, vermutet sie. Auch dem Hausarzt erscheint die Veränderung harmlos. „Erst im März ging ich zum Frauenarzt“, schildert sie. Der geht, so erzählt sie, nach einem Ultraschall von einem Fibroadenom aus, einer gutartigen knotigen Vermehrung von Binde- und Drüsengewebe der Brust.

Doch der Knoten störte. „Im Juli hatte ich einen neuen Termin beim Frauenarzt. Ich wollte mir die Zyste wegoperieren lassen. Sie schmerzte, wenn die Kinder drankamen.“ Das wollte der Arzt nun genau untersucht haben und zwar schnell. Er schickte Lena zur Mammografie und gegebenenfalls zur Biopsie, zur Gewebsuntersuchung. „Noch im Juli, einen Tag vor unserem Italienurlaub, hatte ich den Termin“, erinnert sie sich. Am 8. August, frisch aus dem Urlaub, erhielt sie das Ergebnis: Brustkrebs.

An Brustkrebs hat sie in ihrem Alter nie gedacht

„Mein Mann war bei dem Gespräch dabei und hatte Tränen in den Augen“, so die junge Frau, „Ich selbst dachte nur: Bleib ruhig und stell Fragen. Doch eigentlich hatte ich nur eine Frage: Was ist, wenn ich sterbe?“ Ihre beiden Töchter sind klein, ein und sechs Jahre alt. Sie brauchen die Mutter. An Brustkrebs hatte sie in ihrem Alter nie auch nur gedacht. Und genau das möchte sie anderen jungen Frauen vor Augen führen: Tastet eure Brust ab, nehmt Veränderungen ernst und lasst sie dann untersuchen.

Jedes Jahr erhalten in Deutschland rund 70.500 Patientinnen die Diagnose Brustkrebs. Damit erkrankt etwa eine von acht Frauen im Laufe ihres Lebens an Brust­krebs. Die meisten im Alter zwischen 50 und 70 Jahren. Nur eine von sechs betroffenen Frauen ist jünger als 50 Jahre. Bereits vor dem 30. Geburtstag die Diagnose zu erhalten, ist äußerst selten. „Rund 350 Frauen in Deutschland unter 30 sind jährlich betroffen“, sagt Dr. Susanne Weg-Remers vom Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg, das Betroffenen, aber auch Ärzten aktuelle Informationen zu Krebserkrankungen anbietet.

Brustkrebsform mit schlechterer Prognose

Eines lernte Lena gleich mit der Diagnose: Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs. Gerade junge Frauen erhalten häufiger die Diagnose Triple negatives Mammakarzinom (TNBC), auch dreifach-negativer Brustkrebs genannt. Diese Brustkrebsform ist gekennzeichnet durch aggressives Wachstum, ein höheres Risiko der Metastasenbildung und eine leider oftmals schlechterer Prognose als der hormonabhängige Brustkrebs. „Und genau das war meine Diagnose: Triple negativ“, schildert Lena. Drei Zentimeter groß war der Tumor bereits.

Wie viele der jährlich 350 Frauen unter 30 an einem Triple negativen Karzinom erkranken, sei nicht bekannt, berichtet Dr. Weg-Remers. Man weiß jedoch, dass bei den insgesamt 70.500 Brustkrebserkrankungen pro Jahr in etwa 15 Prozent die Diagnose Triple negativ lautet. Bis heute ist unklar, was genau ihn verursacht.

Bei der Mammographie können Veränderungen der Brust festgestellt werden.

Bei der Mammographie können Veränderungen der Brust festgestellt werden. Foto: Hanschke/dpa

„Ich bin dann in den Kampfmodus gegangen“, schildert Lena. Denn es folgen harte Zeiten - nach der sehr guten Nachricht, dass der Krebs noch nicht gestreut hat. Bei einer Knochenszintigrafie und einem Ganzkörper-CT wurden keine Metastasen festgestellt.

Noch vor der Chemotherapie die Haare pink gefärbt

Vergangenen September beginnt die Chemotherapie, die den Tumor schrumpfen lassen soll. „Die habe ich gerade überstanden“, sagt die Mutter. Müdigkeit und Schlappheit überfallen sie, die Fingerspitzen werden taub, bereits nach zwölf Tagen fallen die langen Haare aus. „Ich hatte sie gleich nach der Diagnose pink gefärbt als Signal, dass ich mich nicht unterkriegen lasse“, schildert die zierliche Frau.

Ihr Mann unterstützt sie sehr, aber die Situation belastet natürlich die Familie. Die ältere Tochter leidet an Verlustängsten. „Sie ist in Therapie“, so die Mutter. Und auch das ist ihr Ratschlag an alle Betroffene: Holt euch Hilfe, informiert euch, was euch an Unterstützung zusteht. Sie selbst hat mittlerweile Pflegestufe 2 und eine Haushaltshilfe. Im Herbst soll es in die Familien-Reha gehen. „Aber es sagt einem keiner, worauf man als Erkrankter Anspruch hat“. Sie hat sich selbst schlau gemacht.

„Alles tun, damit das nicht noch einmal passiert“

Dann trifft Lena eine drastische Entscheidung: Bei der anstehenden Tumor-Operation sollen auf jeden Fall beide Brüste abgenommen werden. Auch die gesunde. „Ich will alles in meiner Macht Stehende tun, damit das nicht noch einmal passiert“, sagt Lena. Das Risiko, eines Rezidivs, der Wiederkehr des Krebses, oder eines neuen Tumors will sie so gering halten wie nur möglich. „Der nächste Tumor könnte zu spät erkannt werden“, ist ihre Befürchtung. Auch eine engmaschige Nachsorge könne sie da nicht beruhigen.

Die Überlebensrate nach fünf Jahren ist bei Brustkrebs allgemein bei 80 Prozent, bei dem selteneren Triple negativ geringer, weil Rückfälle etwas häufiger sind. „Es hängt sehr davon ab, wie groß bei Erstdiagnose der Tumor ist, ob die Lymphknoten befallen sind oder nicht und ob Metastasen vorliegen“, schildert Dr. Weg-Remers. Ob ihre Lymphknoten krebsfrei sind, weiß Lena erst nach der Operation. „Aber auch wenn das Risiko zehn Prozent beträgt, ist es mir zu hoch, wenn ich es weiter senken kann.“ Eine Mastektomie senkt das Risiko auf etwa zwei Prozent.

Nach der Operation soll Wiederaufbau erfolgen

Bei der Mastektomie entfernen Operateure das gesamte Brustdrüsengewebe. Nur der Brustmuskel bleibt erhalten. Danach, so Lenas Wunsch, soll die Brust wiederaufgebaut werden. Am liebsten mit Eigenfettgewebe. „Ich bin jung, ich will weiblich aussehen“, sagt sie. Und dazu gehören für sie Brüste. Die Ärzte im Brustzentrum am Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide hätten anfangs für eine brusterhaltende Operation mit sehr engmaschiger Nachsorge plädiert. „Doch nun stehen sie hinter meiner Entscheidung“, sagt die junge Mutter. Dort sei sie sehr gut aufgehoben.

Eigentlich stehe ihr die Behandlung nicht zu, hat sie telefonisch von ihrer Krankenkasse erfahren. Nur wenn mittels Gentest nachgewiesen werde, dass der Brustkrebs erblich bedingt sei, sei die Mastektomie und der Wiederaufbau auch der gesunden Brust medizinisch geboten und werde von der Kasse übernommen. Das Rückfallrisiko sei dann besonders hoch. Die US-Schauspielerin Angelina Jolie ist dafür ein berühmtes Beispiel. Sie hat sich vor gut zehn Jahren beide Brüste entfernen lassen, ohne an Krebs erkrankt zu sein. Sie trägt einen Gendefekt in sich. „Die Ärzte vermuteten, dass bei mir das Risiko für Brustkrebs bei 87 Prozent liegt“, teilte Jolie öffentlich mit.

Die junge Mutter bleibt im Kampfmodus

Lenas Gentest war nicht eindeutig. Es gebe keinen Hinweis auf eine sichere oder wahrscheinliche pathogene Mutation, jedoch eine selten beschriebene genetische Variante, zu der es aber keine Datengrundlage gebe, um sie zu beurteilen. Jetzt muss sie warten, was der medizinische Dienst entscheidet, der im Auftrag der Krankenkasse beurteilen soll, ob die Behandlung von der Kasse übernommen wird - oder eben nicht.

Für die Mutter nicht nachvollziehbar. „Ich bin es, die mit dem Risiko leben muss“. Einfach so hinnehmen werde sie eine Ablehnung nicht. Sie bleibt im Kampfmodus, denn sie findet, dass die Frauen - nach der medizinischen Aufklärung - selbst bestimmen müssten, was das Richtige für sie - und ihre Kinder - ist.

Tastuntersuchung

In vielen Fällen entdecken Patientinnen ein Mammakarzinom selbst. Daher ist es wichtig, dass alle Frauen regelmäßig ihre Brust selbst abtasten. Ärzte empfehlen allen Frauen, sich bereits ab einem Alter von 25 Jahren regelmäßig selbst zu untersuchen. Vom 30. Lebensjahr an können gesetzlich krankenversicherte Frauen vom Frauenarzt einmal jährlich eine Tastuntersuchung der Brust durchführen lassen. Der Gynäkologe tastet dabei die Brust und die Achselhöhlen auf eventuelle Verhärtungen und vergrößerte Lymphknoten ab. Das Mammographie-Screening ist ein Programm zur Früherkennung von Brustkrebs für alle Frauen ab 50 Jahren. Alle zwei Jahre werden die Frauen zur Röntgenuntersuchung eingeladen.

Die Redaktion empfiehlt
Weitere Artikel

95-Jähriger für 80 Jahre Feuerwehrdienst geehrt

Mit 15 Jahren trat er in die Feuerwehr ein, jetzt ist er 95: Christoph Bardenhagen erzählt, wie Feuerwehrdienst mit Pferdewagen nach dem Krieg aussah – und warum er bis heute nicht loslassen kann.