TWas kommt nach Assad? Syrer im Kreis Stade zwischen Hoffen und Bangen

Luna und Hamed Ahmad. Foto: Richter
Autokorso in Stade, 3000 Menschen in der Hamburger City: Viele Syrer haben Assads Sturz auf den Straßen gefeiert. Was sagen die Syrer im Kreis Stade?
Landkreis. „Es ist ein magischer Moment für alle Syrer“, sagt Hamed Ahmad aus Buxtehude. Ihn hat die Nachricht von der Flucht des Diktators Assad am Sonntag völlig überrascht. Das, was viele Jahre ihr Traum war, ist eingetreten: Das Schreckensregime ist Geschichte, Syrien ist frei für eine neue Ordnung.
Die unglaubliche Hoffnung des Glücklichseins
„Ist das jetzt wirklich wahr? Darf ich jetzt glücklich sein?“ Das war ihre erste Frage, berichtet Ahmads 21-jährige Tochter Luna. Dann kamen die Nachrichten von Freunden auf dem Handy, die zum Feiern in Hamburg einluden. Dort, wo 3000 Syrer auf der Straße waren, spürte Luna dann das gemeinsame Glücksgefühl: „Fremde haben sich gegenseitig gratuliert, Syrer, Kurden, alle. Es war ein schöner Tag.“
Ihr Vater Hamed sagt: „Die politischen Gefangenen sind frei. Das ist auf jeden Fall positiv.“ In den vergangenen zwei Wochen sei vieles gut gelaufen: Ethnische Minderheiten wurden nicht angegriffen, noch nicht einmal Soldaten, die früher für Assad gekämpft haben, sofern sie friedlich blieben. Trotzdem bleibe er skeptisch.
Eine Hauptfrage: Ist dem Frieden zu trauen?
„Unsere Hauptfrage ist: Was steckt dahinter?“, sagt Hamed Ahmad. Die Lage sei komplex: Die Iraner sind abgezogen, Israel bombardiert trotzdem weiter. Russland verhält sich ruhig, hat aber noch Optionen, während die Rebellen „ohne richtige Panzer, mit Pick-ups“ das Land übernehmen. Und die Amerikaner? „Die haben in den letzten zehn Jahren auch nichts für die Bevölkerung getan“, sagt Hamed Ahmad.
Die Allianz aus 15 verschiedenen Rebellengruppen findet er schwer einzuschätzen. Ahmad hofft, dass Europa Syrien hilft und die Richtigen unterstützt. Es gebe eine Chance auf Frieden und vor allem auf Meinungsfreiheit. „Das war doch der Grund für die Revolution.“
Ahmad erinnert an den Arabischen Frühling, mit dem auch in Syrien 2011 die Forderung nach Reformen und Freiheit aufkam. Das Assad-Regime sah seine Macht bedroht und führte Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Mehr als 13 Millionen Syrer wurden laut Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen innerhalb und außerhalb des Landes vertrieben.
Abiturientin kam mit zwölf nach Deutschland
Luna Ahmad war zwölf, als sie 2015 mit ihren Eltern und ihrem heute 26-jährigen Bruder nach Deutschland kam. Ihre Familie hat sich in Buxtehude eine neue Existenz aufgebaut. Luna hat vor kurzem in Hamburg das Abitur abgelegt, der heute 55-jährige Hamed Ahmad arbeitet als selbstständiger IT-Fachmann und Programmierer.
Syrer sind sie streng genommen übrigens nicht: Lunas Großvater floh einst aus Palästina nach Syrien, ihr Vater ist dort geboren. Er heiratete eine Syrerin, doch er und die gemeinsamen Kinder sind bis heute staatenlos. Luna sagt, dass sie unbedingt nach Syrien möchte, um das Land ohne Assad zu erleben. „Aber ich würde nicht dort bleiben wollen.“
Ihr Vater hält es nicht für ausgeschlossen, zurückzukehren, um zu helfen. Schließlich gebe es großen Bedarf, das Land wieder aufzubauen. Doch zunächst werden sie die Entwicklungen genau beobachten. Zurzeit gebe es eine Frage, die sich fast alle Syrer in Deutschland stellen: „Was passiert jetzt mit uns?“

Zahlreiche Menschen feiern am Hachmannplatz am Hauptbahnhof den Sturz von Syriens Machthaber Assad. Foto: Bodo Marks/dpa
So geht es auch einem Syrer aus dem Alten Land, der dem TAGEBLATT bekannt ist, sich aber nicht namentlich äußern möchte. Er will gerne die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, muss dafür aber noch Dokumente bei syrischen Behörden beschaffen. Die Lage sei unübersichtlich, man wisse nicht, mit wem man sich anlege.
Ein Kurde, der 2015 mit seiner Familie in den Landkreis Stade kam, heute deutscher Staatsbürger ist und als Techniker in einer großen Firma arbeitet, möchte aus anderen Gründen nicht genannt werden: „Ich habe keinen Bock auf Stress mit anderen syrischen Freunden, wenn die lesen, was ich sage.“ Bis Sonntag war er in der Autonomen kurdischen Region Syriens auf Familienbesuch.
Kurden sehen sich im Stich gelassen
Den Kurden, sagt der Techniker, haben die Veränderungen mehr Gefahr gebracht. Die Rebellenarmee habe die kurdische Region bereits angegriffen, in der Assad schon seit Jahren nichts mehr zu sagen hatte. Er hoffe ein wenig auf Unterstützung durch Europa und die USA, sei in der Vergangenheit aber enttäuscht worden: „Wir Kurden haben keine Freunde - außer unseren Bergen.“
Auch Laila Al-Sayed, die 2016 mit ihrer Familie aus Aleppo nach Buxtehude kam, fällt es schwer, die Lage einzuordnen. „Ich bin glücklich - einerseits. Andererseits kann ich es noch nicht so richtig glauben“, sagt die 53-Jährige. Sie sei froh für diejenigen, die aus den Foltergefängnissen freigekommen sind und für die Geflüchteten in Nachbarländern, die nur darauf warten, zurückkehren zu können.

Laila Al-Sayed mit ihrer Familie im Jahr 2019. Foto: Richter (Archiv)
Al-Sayed ist aber nicht sicher, dass in Syrien eine Demokratie entsteht. Immerhin sei Muhammad Al-Dscholani, der Anführer der Rebellengruppen und Chef der Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS), früher bei Al-Kaida gewesen.
„Ich hoffe auch, dass Syrien kein streng islamisches Land wird. Das passt nicht zu unserer vielfältigen Bevölkerung“, sagt Al-Sayed, die 2019 mit dem Lions-Integrationspreis ausgezeichnet wurde und sich bei Mosaik engagiert, einer ehrenamtlichen Initiative, die sich aus den Buxtehuder Stadtteileltern entwickelte.

Laila Al-Sayed heute. Foto: privat
Laila Al-Sayed hofft, eines Tages etwas für ihre alte Heimat tun zu können. „Wir haben hier Demokratie gelernt und unsere Perspektive verändert. Wir können diese Erfahrung nutzen, um in Syrien neu aufzubauen. Aber jetzt habe ich noch zu viel Angst.“
Wie der Landkreis Stade mitteilt, sei eine realistische Einschätzung der Situation aktuell schwierig bis unmöglich. Aufgrund der unübersichtlichen Lage in Syrien hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Entscheidungsstopp für neue Asylanträge erlassen.
Der Landkreis weist darauf hin, dass nach einer kürzlichen Gesetzesänderung sowohl anerkannte Schutzberechtigte als auch subsidiär Schutzberechtigte oder auch Menschen mit festgestelltem Abschiebungsverbot es bei einer Reise ins Heimatland riskieren, ihren Schutzstatus zu verlieren. Ausnahmen gebe es nur, wenn die Reise „sittlich zwingend geboten ist“ - zum Beispiel wegen schwerer Krankheiten oder Todesfällen von Familienangehörigen.