TWas macht man eigentlich mit einer Silbermedaille nach Olympia?
Seit sieben Jahren trainieren Clemens Wickler (rechts) und Niels Ehlers im Beach Center Hamburg, das auch Olympiastützpunkt für die Beachvolleyballer ist. Foto: Behsen
Bei den Olympischen Spielen in Paris sind sie bis ins Finale gekommen: Die Beachvolleyballer Clemens Wickler und Niels Ehlers über sportliche Erfolge, Beziehungen und die Nach-Olympia-Depression.
Hamburg. TAGEBLATT: Was macht man eigentlich mit einer Silbermedaille, wenn die Olympischen Spiele vorbei sind?
Niels Ehlers: Bei mir steht sie tatsächlich direkt im Wohnzimmer auf einer Art Sideboard. Das schöne ist, dass die Silbermedaille in einem schicken kleinen Koffer liegt. In Timmendorf bei der Deutschen Meisterschaft haben wir dann noch ein großes Bild bekommen, auf dem wir nach dem Halbfinale vor dem Eiffelturm jubeln. Das hängt dahinter und beides zusammen sieht ganz schick aus. Mal gucken, wie lange es dort stehen bleibt.
Clemens Wickler: Bei mir ist es etwas anders. Ich bin keiner, der sich Medaillen irgendwo aufhängt. Die meisten bringe ich zu meinen Eltern und sie liegen da in einer Kiste. Auch die Pokale stehen in meinem alten Kinderzimmer. Manchmal schaue ich sie mir an, wenn ich zu Besuch bin. Bei mir in Hamburg in der Wohnung habe ich nur drei Medaillen: Olympia, WM und EM. Die sind aber alle nicht wirklich sichtbar.
Sie haben zuletzt große Turniere im Wochentakt gespielt. Konnten Sie Olympia und die anschließenden Erfolge schon richtig realisieren?
Ehlers: Bei mir war es definitiv bis nach den Deutschen Meisterschaften so, dass ich nichts richtig verarbeiten konnte. Man sieht zwar viele Bilder aus Paris, Journalisten melden sich, aber man ist komplett in seinem sportlichen Fokus und blendet alles andere aus. Erst nach den Deutschen Meisterschaften ist alles an Druck von mir abgefallen und ich hatte Zeit zu reflektieren.
Gehen Sie Freundin oder Familie manchmal auf den Wecker, wenn sie so auf Adrenalin und total aufgedreht im sportlichen Hamsterrad unterwegs sind?
Wickler: So richtig auf den Wecker gehen nicht. Aber die nehmen es schon wahr. Ich wohne mit meiner Freundin zusammen und die hat schon gemerkt, dass ich gar nicht zur Ruhe kommen konnte nach Olympia. Dass eine gewisse Grundspannung blieb und Abschalten nicht möglich war. Alles musste vier Wochen lang hinten angestellt und kann nun erst erledigt werden. Was auch nicht gerade dazu beiträgt, dass ich gleich richtig runterfahren kann. Da kriege ich schon mal einen Spruch zu hören. Aber so langsam kann ich auch wieder auf der Couch sitzen und entspannen.
Sie haben ein tolles Turnier gespielt und nach Ihren eigenen Worten ausgerechnet im Finale um Gold Ihr schwächstes Spiel der Saison gezeigt. Wie sehr nervt das noch?
Wickler: Mittlerweile habe ich damit gut abgeschlossen. Klar, in dem Moment war es für uns beide persönlich eine Riesenenttäuschung. Es hat uns auch leidgetan für die vielen Fans, die extra ins Stadion gekommen waren und dafür eine weite Anreise hatten. Die Niederlage war auch noch ein paar Tage danach extrem bitter. Mittlerweile kann ich sagen, wir haben sechs unglaublich gute Spiele gemacht und uns mit der Silbermedaille belohnt. Natürlich macht jeder beim Beach-Volleyball auch Fehler. Wir verstehen das als Chance, um daraus in Zukunft gestärkt hervorzugehen und haben sogar Denkanstöße für die Wirtschaft entwickelt.
Sie hätten mit den Goldgewinnern Laura Ludwig (2016) und Brink/Reckermann (2012) auf einer Stufe gestanden. Beschäftigt Sie das überhaupt nicht?
Ehlers: Direkt danach war es sehr bitter, bei der EM war es aber schon wieder vergessen. Mir hat sehr die Herangehensweise geholfen, dass wir im Finale auch mit einem Top-Spiel gegen die Schweden hätten verlieren können. Denn wir haben schon sehr häufig gegen die beiden verloren, obwohl wir teilweise sehr gut gespielt haben. Ich glaube, es steht zwischen uns 1:14 oder 1:15 (lacht).
Warum „gewinnt“ man eigentlich bei Olympia Silber, „verliert“ aber bei EM oder WM das Finale und wird „nur“ Zweiter?
Ehlers: Bei uns ist das etwas anders, für uns sind alle Turniere gleich. Wir haben bei der EM das Finale ja leider auch verloren und waren ähnlich enttäuscht wie in Paris. Bei Team-Sportarten in einem K.-o.-Modus freut sich der Bronze-Gewinner häufig mehr als der Silber-Gewinner. Im K.-o.-System ist Silber der Trostpreis, während es beim Schwimmen oder beim Sprint im Finale gegen mehrere Gegner nicht das Gefühl gibt, ich habe Gold verloren, sondern Bronze gewonnen.
Sie haben beide einige Mal die Partner gewechselt, wie schwer ist eigentlich jede neue Beziehung?
Ehlers: Häufig startet man in solche Arbeitsgemeinschaften ja mit sehr viel Euphorie und war auch vorher schon befreundet. Außerdem ist das ja immer eine neue Chance, denn man entscheidet sich für den neuen Partner mit sehr viel Perspektive und Zuversicht. Es kann eine Zweckgemeinschaft sein, aber eben auch mehr. Das ist bei jedem Team unterschiedlich. Wir kennen ein ausländisches Team, das sich komplett hasst und sich nur zum Spiel auf dem Feld trifft. Und die sind auch Weltspitze. Aber es ist natürlich deutlich einfacher, wenn man sich so gut versteht wie wir. Wir sind beide sehr umgängliche Charaktere, sind beide seit sieben Jahren in Hamburg, haben vorher gegeneinander trainiert und spielen jetzt in der vierten Saison miteinander. Das passt prima.
Haben Sie aus privaten Beziehungen etwas für Ihre sportlichen Partnerschaften lernen können?
Wickler: Ich glaube, man kann aus beiden Beziehungen etwas mitnehmen, egal wo man im Leben steht. Es geht ja immer um die Frage des Umgangs mit anderen Menschen, für die man eine gemeinsame Ebene finden muss. Aber persönliche Grundwerte wie Vertrauen, Toleranz oder Respekt muss man als Basis seiner Persönlichkeit schon mitbringen, nicht nur in einer Partnerschaft.
Waren private Partner schon mal eifersüchtig auf den sportlichen Partner?
Ehlers: Das ist dann weniger Eifersucht auf den Partner als vielleicht leichte Genervtheit über unseren Job, weil wir wirklich schon sehr, sehr viel Zeit für unseren Sport opfern. Der hängt dann eben zwangsläufig mit meinem Partner Clemens zusammen. Und natürlich gibt es Momente, wo unsere Freundinnen auch mal gern mehr Zeit mit uns verbringen würden.
Warum schlafen Sie auf der Beachvolleyball-Tour in Doppelzimmern?
Ehlers: (lacht) Das ist relativ einfach zu beantworten: Aus finanziellen Gründen. Wir sind nun mal nur Randsportart. Wir würden uns bei den vielen Flügen und Reisen manchmal schon gern mehr oder Besseres leisten, müssen aber auch gucken, wo wir finanziell bleiben. Sicherlich geht man sich dadurch auch schon mal auf den Sack. Dann es gibt immer Möglichkeiten, dem anderen mal für ein paar Stunden aus dem Weg zu gehen. Aber wir verstehen uns super und sind sehr freundschaftlich unterwegs. Wir halten das sehr entspannt miteinander aus.
Wickler: Wenn wir für drei Wochen oder länger im Trainingslager unterwegs sind, buchen wir schon ein Appartement, in dem jeder sein eigenes Zimmer als Rückzugsort hat. Aber im Hotel halten wir es gut eine Woche miteinander aus.
Unternehmen Sie auch privat viel gemeinsam?
Wickler: Wir machen schon auch was privat miteinander, auch mal zu viert mit unseren Frauen oder in unserer Trainingsgruppe. Aber da wir schon sportlich extrem viel zusammen unterwegs sind, hält sich das in einem gewissen Rahmen. Unser Leben besteht ja aus noch mehr als nur Beach-Volleyball.
Haben Sie Sorge vor der vieldiskutierten Nach-Olympia-Depression?
Ehlers: Im Anschluss an die Summe der Turniere habe ich schon manchmal darüber nachgedacht, aber eher interessiert und reflektiert: Ob ich vielleicht schon drin bin in so einer Art Olympia-Loch. Denn natürlich fehlt aktuell der große Motivator, den man sich für Jahre als Ziel gesteckt hatte. An den man an jedem schweren Tag, bei jedem schweren Training gedacht und sich gesagt hat: Dafür mach‘ ich‘s. Aber mehr ist es auch nicht. Diese große Etappe Olympia liegt jetzt hinter mir. Und ich freue mich auf alle weiteren Aufgaben, zum Beispiel die WM 2025. Und auch bei Olympia in Los Angeles 2028 wollen wir als Team wieder antreten. Der Sport gibt mir so viel.
Wickler: Wir haben eine Sportpsychologin im Team, mit der wir auch in solchen Fragen zusammenarbeiten können. Aber bei mir ist es etwas anders. Ich habe mir vor ein paar Jahren das Ziel gesetzt, bei jedem großen Ereignis eine Medaille zu gewinnen. Diesen Traum konnte ich durch dieses Jahr verwirklichen. Das hat mir extrem viel Ruhe gegeben. Ich bin jetzt eigentlich total entspannt, habe nach den Turnieren einfach Beachvolleyballspielen genossen, aber auch das Zuhausesein. Ich gehe aus den Events total gestärkt raus.
Wie sehr fühlen Sie sich inzwischen als Hamburger - oder vermissen Sie Ihre Heimat?
Ehlers: Ab wann ist man eigentlich schon Hamburger, das ist doch immer die große Frage (lacht). Ich kann nur von meiner Bald-Ehefrau sprechen, die kommt aus Hamburg, ist hier auch geboren. Ich bin also angeheirateter Hamburger. Als ich damals herkam war es natürlich ein Schritt für den Sport, aber ich war schon sehr froh, dass es Hamburg war. Wir haben vor ein paar Tagen überlegt, ob wir wohl in Hamburg leben wollten, wenn die Karriere vorbei ist. Und Hamburg gefällt mir schon sehr gut.
Das heißt, Sie wissen, dass Labskaus kein Fischgericht ist?
Wickler: Na klar weiß ich, was das alte Traditionsgericht der Schifffahrt ist und dass es mit Kartoffeln, Pökelfleisch und Roter Beete zubereitet wird. Aber tatsächlich mag ich Labskaus überhaupt nicht.
Zur Person
Seit sieben Jahren trainieren Wickler (29) und Ehlers (30) im Beach Center Hamburg, das zugleich Olympiastützpunkt für die Beachvolleyballer ist – zunächst gegeneinander und seit Herbst 2021 als neues Team miteinander. Für den Sport verließen sie ihre Heimat: der 1,90 Meter große Wickler kam aus Starnberg an die Elbe, Ehlers (2,10 Meter) stammt aus Berlin. Bei den Olympischen Spielen in Paris im Juli feierten sie Ihren wohl größten Triumph und gewannen nach einem fulminanten Wettbewerb die Silbermedaille. Danach wurden sie Vize-Europameister und zum dritten Mal in Folge Deutsche Meister. Wickler war fünf Mal, zuletzt 2021 bis 2023, Beach-Volleyballer des Jahres, Ehlers gewann mit ihm in den vergangenen zwölf Monaten drei „King oft the Court“- Turniere.
Persönlich
Zeit für Hobbys … bleibt, ist aber während der Saison knapp. Ich probiere gern andere Sportarten aus, wie Paddle-Tennis oder Fußball mit meinen Jungs. Ich würde auch gern die Platzreife im Golf machen (Wickler).
Und ich spiele … außerhalb der Saison gern Basketball, einfach ein paar Körbe werfen und ein bisschen rumdaddeln. Während der Saison eher Lesen, Videospiele oder mit dem Hund rausgehen, um abzuschalten (Ehlers).
Nach der Saison … heirate ich! Anfang Oktober in Hamburg (Ehlers).
Im Urlaub ... geht‘s für ein paar Tage zur Familie in Bayern und danach mit der Freundin nach Griechenland (Wickler).
Einfach nur am Strand liegen … kann ich sehr gut (Wickler).
Sand ... habe ich auch im Urlaub nicht über. Ich bin auch der „Typ Strand“ (Ehlers).
Wenn ich in Hamburg unterwegs bin … dann entweder im Stadtpark bei mir um die Ecke, zum Spazierengehen oder im Biergarten sitzen. Oder ich besuche Sportveranstaltungen, Fußball oder Basketball (Wickler).