TWeihnachten in Bethlehem – Welche Rolle spielt der Krieg?

In der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem hat Pfarrer Munther Issak diese Krippe aufgebaut: Das Jesuskind, gewickelt in ein palästinensisches Tuch, liegt inmitten von Trümmern. Foto: Munther Issak/Evangelisch-lutherische Weihnachtskirche/dpa
Zu Weihnachten sind die Augen der Welt auf Bethlehem gerichtet. Dorthin, wo das Kind in der Krippe liegt. Wo seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel Krieg herrscht. In Kirchen und Gottesdiensten im Kreis Stade wird in diesem Jahr genau dort hingesehen.
Landkreis. „Bethlehem war immer eine Grenzstadt. Frieden war dort schon immer selten“, sagt Marc Wischnowsky, Superintendent des Kirchenkreises Stade. Es sei kein Zufall, dass gerade hier vor mehr als 2000 Jahren das Kind geboren wurde. Gottes Sohn erblickt das Licht der Welt nicht im Palast. Nicht einmal zu Hause, sondern unterwegs und ohne Herberge. „Er wird im Stall geboren. Bei den Tieren, wo es stinkt“, sagt Wischnowsky. Dorthin, in prekäre Verhältnisse ohne falsche Romantik, will er seine Gemeinde im Gottesdienst zur Christvesper in St. Wilhadi mitnehmen.
Krieg in Nahost
Umstrittene Stiftung in Gaza setzt Hilfen nur für Frauen aus
In den Weihnachtsgottesdiensten werden viele mit Gedanken und Gebeten in Bethlehem sein. „Krieg, Besatzung, bittere Armut - wir vergessen mit unserer süßen Weihnachtszeit oft, dass die Situation in Bethlehem damals schon ähnlich war wie heute“, sagt Diakonin Susanne Decker-Michalek. Sie gehört zu den evangelischen Frauen zwischen Elbe und Weser, die sich gemeinsam mit katholischen Christinnen sehr intensiv auf den ökumenischen Weltgebetstag der Frauen am 1. März 2024 vorbereiten. Er wird diesmal von palästinensischen Christinnen gestaltet. Dass dieser Weltgebetstag ein schwieriges Thema haben wird, das polarisiert, sei ihnen bewusst. Gerade in Deutschland.
Eine Theologie, die sich im Angesicht von Auschwitz verantwortet
„Für uns evangelisch-lutherische Christen in Deutschland geht es um eine Theologie, die sich im Angesicht von Auschwitz verantwortet“, erklärt die Diakonin. Viele könnten nur schwarz oder weiß sehen - entweder solidarisch mit Israel oder mit Palästina. Die aus gutem Grund für Deutschland geltende Solidarität mit Israel erschwert es vielen Menschen, die Stimmen palästinensischer Christinnen zu hören und ihre Erfahrungen wahrzunehmen; eine Tendenz, die sich nach den Terrorakten der Hamas vom 7. Oktober 2023 und den Militäreinsätzen Israels im Gazastreifen noch verstärkt hat. Um der aufgeheizten Debatte und dem sensiblen Verhältnis deutscher Christen zu Israel und Palästina Rechnung zu tragen, wurde die Gottesdienstordnung zunächst zurückgezogen. Sie wird zurzeit überarbeitet, um sie zu ergänzen und die Perspektive stellenweise zu weiten.
„Wir wollen keine weitere Polarisierung, sondern möglichst vielen Menschen den Weg ebnen zum gemeinsamen Gebet für Palästina und Israel - für Frieden im Nahen Osten“, erklärt der Vorstand des Weltgebetstags - ganz im Sinne seines Mottos „…durch das Band des Friedens“, das für 2024 ausgesucht wurde. „Es ist möglich, den Palästinenserinnen zuzuhören, ohne den Terror der Hamas damit zu rechtfertigen. Dafür gibt es keinerlei Rechtfertigung“, sagt Decker-Michalek.
Wie berichtet, hatten die evangelischen Frauen erst im September palästinensische Frauen aus dem Dorf Al-Walajah im Westjordanland zu Besuch, das nur vier Kilometer nordwestlich von Bethlehem liegt. Sie erzählten von ihrem Leben im Schatten des Nahostkonflikts und ihrem Gemeinschaftsprojekt, in dem sie, unterstützt von einer Organisation des Zivilen Friedensdiensts, gärtnern und Kunsthandwerk herstellen, um zum Lebensunterhalt ihrer Familien beizutragen.
Kaum zurück aus Stade, finden sich Palästinenserinnen im Krieg wieder
Nur einen Monat nach dem Besuch der Frauen in Stade überfielen Hamas-Einheiten überfielen israelische Siedlungen und Ortschaften und verübten brutale Massaker. Die Terroristen ermordeten 1200 Israelis, verschleppten mehr als zweihundert als Geiseln in den Gaza-Streifen und drohen mit Hinrichtungen.
Der Krieg, der daraus resultierte, hat auch für die Frauen, die in Stade zu Gast waren, bedeutende Folgen. Auch im Westjordanland hat sich die Lage verschärft: 291 Palästinenser wurden seither nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums getötet, insgesamt 487 Palästinenser kamen bei israelischen Militäreinsätzen, bei Konfrontationen oder eigenen Anschlägen ums Leben. Die israelische Armee teilte am Mittwoch mit, den Fahrer eines Autos nach einem Rammangriff an einer Kreuzung „neutralisiert“ zu haben. Am Nachmittag wurde nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums ein 16-Jähriger bei Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten in Husan westlich von Bethlehem erschossen.
Bethlehem befindet sich unter palästinensischer Verwaltung. Die Zufahrtsstraßen können allerdings von Israel blockiert werden. Die Männer aus Al-Walajah, die zuvor in Israel arbeiteten, sind nun arbeitslos, berichtet Susanne Decker-Michalek, die weiterhin Kontakt mit Angelina Höher vom Verein Kurve Wustrow im Zivilen Friedensdienst in Bethlehem hält, der die Frauen aus Al-Walajah begleitet. Sie hat auch einen Online-Vortrag für die Frauen aus den Gemeinden gehalten, in denen reihum Gottesdienste zum Weltgebetstag stattfinden werden. Seit November finden wöchentlich Vorbereitungsseminare für die Mitwirkenden statt. Mit dabei sind vor allem Pastoren und Pastorinnen, die lange Jahre mit Israel und/oder Palästina in Kontakt stehen.
Friede auf Erden - die Weihnachtsbotschaft in schwieriger Zeit
„Wir wollen vor allem mit ganz viel Empathie zuhören. Die in den Konflikt so akut verwickelten Gruppen sind zurzeit überfordert damit“, sagt Susanne Decker-Michalek. Es sei ihre Absicht, sich zurückzuhalten mit Patentlösungen und den Geschichten Raum zu geben, statt zu beurteilen, wer Recht hat. Im Januar soll die neue Gottesdienstordnung für den Weltgebetstag in Deutschland fertig sein. „Ich gehe davon aus, dass wir den Palästinenserinnen noch einmal eine Stimme geben werden“, sagt Decker-Michalek. Am Mittwoch, 10. Januar, um 19 Uhr wird im Vorbereitungsseminar die palästinensische Theologin und Publizistin Dr. Viola Raheb sprechen, deren Bruder Mitri Raheb aktuell lutherischer Pastor in Bethlehem ist. Die Seminare sind offen für alle Interessierten. Wer dabei sei möchte, kann sich per Mail anmelden unter dorothea.rubarth@evlka.de.

Das Friedeslicht aus Bethlehem wird jedes Jahr in der Geburtsgrotte Jesu von einem Kind entzündet und dann in die Welt getragen. Auch in einigen Kirchen im Kreis Stade wird es zu Weihnachten brennen. Foto: Matthias Bein/dpa
Die Christen machen unter den Palästinensern nur einen kleinen Anteil von weniger als zwei Prozent aus, weiß Superintendent Marc Wischnowsky. Die Weihnachtsbotschaft sei aber universell: „Trotzdem, auch in dieser Situation, wird es gut. Ich glaube, dass Gott bei jedem Flüchtling in Gaza und bei jeder zerbrochenen Familie in Israel ist.“ Er erinnert daran, dass es auch jetzt noch auf allen Seiten, unter Christen, Juden und Muslimen, Menschen gibt, die nicht aufgeben und es weiterhin für möglich halten, den Frieden auf Erden weiterzudenken.

In der Weihnachtskirche in Bethlehem hat der christlich-palästinensische Pfarrer Munther Issak diese Krippeninstallation aufgebaut: Das Jesuskind, eingehüllt in ein traditionelles palästinenisches Tuch, liegt inmitten von Trümmern. Foto: Munther Issak/Evangelisch-lutherische Weihnachtskirche/dpa