TWeihnachten ohne Zoff? Ein Coach verrät, wie das geht

Auch Streit kann mal zu Weihnachten gehören. Dabei sollte aber fair miteinander umgegangen werden. Foto: Christin Klose
Streit unterm Tannenbaum: Experte Stefan Brandt gibt Tipps, wie sich Zwist verhindern lässt.
Sind Menschen an den Weihnachtstagen besonders empfindlich?
Stefan Brandt: Absolut. Das kommt durch den Perfektionsdruck, alle sind gestresst und überfordert. Jeder schleppt sich zum Jahresende. Bis zum Ende muss durchgearbeitet werden, als würde dann im Januar eine neue Zeit anfangen. Aber das ist ja nicht so. Viele Menschen tragen auch emotionalen Ballast mit sich herum - ungelöste Konflikte, unerfüllte Erwartungen oder einfach Erschöpfung. Weihnachten bringt all diese Dinge an die Oberfläche. Es ist eine Zeit, in der vieles intensiver wahrgenommen wird, sowohl das Schöne als auch das Belastende.Welche Strategien gibt es, um mögliche Konflikte im Vorfeld zu entschärfen?
Weihnachten ist immer ein super emotionales Fest für alle und auch übersteigert mit zu hohen Erwartungen. Gerade in dieser Welt mit Social Media wird einem oft vorgegaukelt, was da alles machbar ist, und man macht sich dann viel Stress.
Eine Strategie ist, sich selber zu bescheiden und sich nicht anstecken zu lassen. Sehr wichtig sind auch klare Absprachen im Vorfeld: Wie stellt man sich überhaupt Weihnachten vor? Was ist für euch wichtig an Weihnachten? Welche Themen wollen wir ausklammern, worüber an Weihnachten mal nicht sprechen? Auch das kann man rechtzeitig vor dem Fest absprechen.
Das muss man sich aber auch trauen.
Genau. Aber man kann sagen, über Politik oder meine letzte Diät möchte ich nicht sprechen. Wichtig ist auch, Aufgaben zu verteilen: Wer macht was? Nicht, dass alles an einer Person hängen bleibt - meistens ja an der Mutter. Wer kümmert sich um Deko? Wer ums Essen? Wer bringt Spiele mit? Realistische Erwartungen sind wichtig, dass eben nicht alles perfekt sein muss.
Und es ist doch klar, dass es mal knallen kann, wenn man plötzlich zwei Tage mit Menschen zusammen ist, die man sonst nicht oft sieht. Wenn man von vornherein sagt, es muss alles harmonisch sein, finde ich das unrealistisch. Und oft sind es eben die Sachen, die schieflaufen, wo man hinterher sagt, das war eigentlich das Netteste. Die Gans war verkohlt - und dann haben wir uns irgendwie anders beholfen.
Wie können Traditionen helfen, Harmonie zu schaffen, wann führen sie zu Streit?
Gemeinsame Rituale verbinden, schaffen Vertrautheit, ein Gefühl von Zusammengehörigkeit, eine gemeinsame Geschichte ist schön, man hat positive Erinnerungen. Nachteile von Traditionen sind, wenn krampfhaft daran festgehalten wird.
Das führt zu Erwartungsdruck und Stress. Also, dass unbedingt immer selbst gebackene Kekse da sein müssen. Oder der Weihnachtsbaum muss selbst im Wald geschlagen werden. Da muss man gucken, ob man das aufweichen kann.
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Lockerer sein?
Ja, einmal das und auch schauen, wie bekomme ich neue Menschen eingebunden, Stichwort Patchwork-Familie. Es muss nur ein neuer Partner oder eine neue Partnerin von einem Familienmitglied dazukommen, dann passen die alten Traditionen schon nicht mehr.
Wichtig ist, dass man auch da durchlässig bleibt. Und wenn jemand eigene kleine Rituale mitbringt - warum nicht? Neues kann die Familie bereichern, wenn es allen Freude macht.
Mein Onkel fährt bei Familienfeiern zwischendurch zum Angeln.
Das ist völlig in Ordnung. Die Familie muss nicht immer alles zusammen machen. Dass man im Familien- oder Freundeskreis sagen kann, ich verabschiede mich mal für eine halbe Stunde oder ich gehe jetzt spazieren. Das ist total okay - man muss nicht die ganze Zeit aufeinander glucken.
Jeder hat andere Wege, die Feiertage zu genießen. Es hilft, solche Freiräume vorher zu kommunizieren, damit niemand das Gefühl hat, es sei unhöflich.
Welche Themen sollte man vor Weihnachten klären, um Streit zu vermeiden?
Das sind diese Punkte: Wie sollen die Feiertage ablaufen? Aufgabenverteilung, Gästeliste, wen lädt man ein, das Thema Budget bei den Geschenken. In welchem Rahmen wollen wir uns beschenken? Und es sollten sich auch wirklich alle daran halten. Es hilft, wenn diese Dinge in einer lockeren Runde besprochen werden, am besten bei einer entspannten Tasse Kaffee oder Tee.
Wie können Patchwork-Familien die Feiertage gestalten, ohne Konflikte zu riskieren?
Jeder bringt wahrscheinlich seine Tradition mit. Hier geht es dann darum, Kompromisse zu finden und offenzubleiben. Vielleicht auch einen neutralen Ort wählen. Und neue Rituale schaffen, sich von alten Sachen verabschieden, das ist auch wichtig.
Die Kinder einbeziehen: Wie stellen sie sich das vor? Und nicht zu viel Programm für alle. Die Tage auch entzerren, mit Zeitpuffern, nicht alles so durchplanen. Flexibilität ist hier der Schlüssel - je mehr Raum für individuelle Bedürfnisse bleibt, desto entspannter wird es für alle.
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Wie geht man mit schwierigen Familienmitgliedern um, ohne den Frieden zu gefährden?
Es ist wichtig, Grenzen zu setzen. Auch zu sagen: Also das Thema möchte ich jetzt nicht weiter vertiefen. Man kann auch den Raum verlassen, bevor Gespräche eskalieren. Manchmal hilft es auch, eine neutrale dritte Person ins Gespräch einzubinden, wenn Konflikte unausweichlich sind.
Trauer, Probleme, Ängste: Was können Familien tun, wenn sie an Weihnachten mit Verlusten oder Krisen umgehen müssen?
Ein lieber Angehöriger ist gestorben. Da ist es wichtig, Gefühle zuzulassen und sich nicht zusammenreißen zu müssen. Darüber sprechen, Geschichten finden oder gemeinsam traurig, enttäuscht oder wütend sein.
Eine gemeinsame Zeit gestalten, mit neuen Ritualen, ein Essen im Restaurant oder der Gang zum Friedhof. Das kann verbindend wirken.
Wie kann man den Fokus von Perfektion auf das Wesentliche lenken?
Prioritäten setzen und überlegen, was wollen wir denn eigentlich machen. Das Perfekte liegt meistens im Unperfekten. Das gibt hinterher eine unvergessliche Geschichte. Man sollte sich auch in Dankbarkeit üben und ein bisschen demütig sein für die gemeinsame Zeit, die man miteinander verbringen kann.
Und sich nicht von sozialen Medien beeinflussen lassen. Ist es wichtig, die neue Wichtelwelt bei Instagram zu posten? Eher nicht. Manchmal reicht es, die kleine, echte Freude im Moment zu genießen, statt alles inszenieren zu wollen.
Wie können Singles die Feiertage genießen, ohne sich allein zu fühlen?
Wenn man allein ist, kann man gucken, dass man nicht allein bleibt. Die kritische Zeit ist Heiligabend zwischen 16 und 20 Uhr, wenn Familien am Tannenbaum zusammen sind. Dann sollten sich Singles die Zeit selbst gut gestalten, vielleicht mit einem eigenen Ritual, das Freude macht.
Einen besonderen Film gucken, was Nettes kochen, ehrenamtlich tätig werden oder sich selbst etwas Schönes schenken. Wichtig ist, in Aktion zu gehen und auf andere zuzugehen.
Es gibt sogar Kontaktbörsen, die Menschen vermitteln, die auch allein sind und gemeinsam was machen möchten. Auch kleine Auszeiten wie ein Spaziergang oder ein Videoanruf mit Freunden können helfen, sich weniger allein zu fühlen.

Stefan Brandt ist Diplom-Psychologe und coacht auch Menschen aus dem Elbe-Weser-Dreieck zum Thema Führung, Partnerschaft und Beziehungen. Foto: Brandt
Störenfriede gibt es überall: Darf man auch bewusst Familienmitglieder nicht einladen?
Wenn ich schon weiß, es gibt so eine Krawallbürste unter meinen Lieben, dann muss ich mir überlegen, ob ich diese Person dieses Mal einlade.
Es ist völlig in Ordnung, Leute nicht einzuladen. Man darf sagen: Die letzten Jahre ist es an Weihnachten oft eskaliert, ich habe dieses Jahr mal das Bedürfnis nach Ruhe.
Sollte man alte Konflikte an Weihnachten ansprechen oder lieber ruhen lassen?
Ruhen lassen. (lacht) Das ist ein ungeeigneter Zeitpunkt, wenn alle eher emotional oder gestresst sind. Lieber auf nach Weihnachten verschieben.
Über Alkohol müssen wir noch sprechen.
Oh ja. Mit Alkohol sollte man generell etwas aufpassen. Gerade wenn man weiß, es geht hoch her oder ich bin selbst gerade besonders sensibel, gestresst oder nehme Dinge schnell persönlich. Dann lieber an solchen Tagen mit Alkohol zurückhalten.
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Man sollte sich auf die Familie freuen, früh genug bleiben Plätze leer. Welche Rolle spielen Demut und Dankbarkeit?
Sich klarmachen, das sind alles Menschen, die hier freiwillig zusammenkommen. Dass man sich deutlich macht, worum es eigentlich geht und nicht der Konsum im Vordergrund steht - was wir essen und schenken. Menschen, die sich hoffentlich mögen, verbringen ein paar nette Tage miteinander.
Das heißt nicht, dass man alles kritiklos hinnehmen muss. Eher, sich nicht ständig über Kleinigkeiten aufzuregen. Nicht alles auf die Goldwaage legen. Toleranz ist hier auch ein hohes Gut - und Respekt. Auch mal verzeihen können, Demut und Dankbarkeit eben.
So gelingt das Fest: Wenn alle offen sagen, wie sie sich das vorstellen. Und auch schauen: Wie geht es mir eigentlich? Wenn es mir gut geht, kann ich auch großmütig mit anderen umgehen.