TWenn Diäten versagen: 46-Jährige kämpft gegen Lipohypertrophie

Tina Mareike Kuschel ist aktuell entspannt, sie hat die dritte Fettabsaugung hinter sich und kann in der Erholungszeit wieder in ihrem Atelier malen. Foto: Borner/Kreiszeitung
Die Hoffnung auf ein leichteres Leben treibt Tina Mareike Kuschel an. Nach mehreren Operationen steht sie vor neuen gesundheitlichen Hürden.
Landkreis Rotenburg. In einem schwarzen Kleid mit rotem Muster steht sie an der Treppe und lächelt breit. Sie geht mit sicheren Schritten ins Wohnzimmer und lässt sich aufs weiche Sofa plumpsen, sichtlich entspannt, denn es geht stetig weiter bergauf für Tina Mareike Kuschels Weg zum gesunden Körper.
Sie ist übergewichtig und leidet an Lipohypertrophie, einer Fettverteilungsstörung. Ihr dadurch entstandenes Fett kann sie deshalb nicht durch Diäten abbauen. Die Krankheit zu ignorieren ist unmöglich, denn ihr Gewicht belastet ihren Körper von Rückenschmerzen bis zur Atemlosigkeit beim Spaziergang. Aber für die Optimistin Kuschel aus Vierden bei Sittensen ist klar: Sie kämpft weiter. Nach vielen Diätversuchen und Beratungen hatte sie sich für mehrere Operationen und Fettabsaugungen entschieden. In einer losen Serie begleitet die Mediengruppe Kreiszeitung sie dabei. Also, was ist in den vergangenen Monaten in ihrem Leben passiert?
Wasser lagert sich in den operierten Beinen ab
Auf der medizinischen Bühne hat sie die nächsten zwei Fettabsaugungen erfolgreich hinter sich gebracht. Ihre Gefühle dazu sind allerdings gemischt. Das Problem: Trotz der Entnahme von vielen Kilos an Fett verliert sie kaum Gewicht, weil sich immer wieder Wasser in ihren operierten Beinen ablagert. „19 Kilo Fett sind schon raus und ich sehe keinen Unterschied“, sagt die mittlerweile 46-Jährige. 25 Kilo sind es, wenn sie die Fettschürze dazurechnet, die bei einem vorherigen Eingriff entfernt wurde. Nach der ersten Fettabsaugung habe sie sich nichts gedacht, aber jetzt, nach mehreren weiteren Operationen, ist sie frustriert.
Ihre aktuellste Liposuktion (Fettabsaugung) hat außerdem wie beim ersten Mal ihren Kreislauf völlig durcheinandergebracht und anhaltende Schmerzen in einem der Beine verursacht, so dass sie länger im Krankenhaus bleiben musste. „Mir ging’s wirklich nicht gut, ich hatte drei Tage nach der OP solche Schmerzen und am vierten Tag ging es mir dann richtig schlecht“, erinnert sie sich. Ihr Hb-Wert, das Maß für die Konzentration des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin im Blut, war im Keller, also brauchte sie eine Bluttransfusion. Der geplante Kurzaufenthalt im Agaplesion Diakonieklinikum in Rotenburg zog sich also wieder in die Länge. „Jetzt geht es mir aber gut, es ist halt immer ein Abenteuer mit mir“, nimmt Kuschel die Erfahrung weiterhin mit Humor.
Haut muss nach Eingriffen gestrafft werden
Bei den kommenden Fettabsaugungen will das Chirurgenteam laut ihrer Aussage nun weniger absaugen, um ihren Körper zu schonen. „Was aber wiederum zur Folge hat, dass ich mehr OPs brauche, die werden sich jetzt bestimmt bis ins nächste Jahr ziehen“, sagt Kuschel und seufzt. Danach muss eigentlich die übrige Haut gestrafft werden, die Eingriffe sind allerdings auch jetzt noch nicht von der Krankenkasse genehmigt worden. „Sie wollen erst die hängende Haut sehen, obwohl ich sogar ärztliche Schreiben eingereicht habe“, erklärt Kuschel, „das ist wirklich kompliziert. Mir wurde schon von einem Mitarbeiter der Krankenkasse gesagt, dass mein Überprüfungsantrag wohl wieder abgelehnt wird.“
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Ähnlich setzt sich die Problematik der Entzündungen unter ihren Brüsten fort, auch hier wäre eine Operation nötig. „Für eine Straffung müsste ich die Entzündung dermatologisch protokollieren lassen, aber Termine zu bekommen ist sehr schwer“, kritisiert Kuschel. Nur dank ihres Arztes erhielt sie einen Termin bei einer Dermatologin, die ihr die Entzündungen attestieren konnte. „Ich hätte sie umarmen können vor Freude. Ob es was bei meinem Antrag nützt, wird sich leider erst zeigen.“
Zusätzlich war die 46-Jährige bei einem Orthopäden, der ebenfalls ein Schreiben an die Krankenkasse verfasste, wegen ihrer Haltungsprobleme durch das Übergewicht. „Bisher habe ich nichts mehr von der Krankenkasse gehört, es bleibt spannend. Und trotzdem bin ich unglaublich dankbar, dass sie meine ersten OPs so schnell und unkompliziert genehmigt hat.“ Aufgeben will Kuschel jetzt sichtlich nicht, denn die Folge-OPs müssen eben sein.
Erste Buchlesung
Ein Ereignis der letzten Monate lässt Kuschel jetzt noch förmlich erstrahlen: die erste Lesung ihres Buches über ihr Leben „Happy Hippotrophie“. Vor einem gefüllten Saal von geladenen Verwandten und Wegbegleitern sowie interessierter Fremder hat sie eine Stunde gelesen. Trotz Heiserkeit nach einer Erkältung hat es gut geklappt. Zwischenapplaus, Standing Ovations am Ende und die vielen lieben Worte seien besonders schön gewesen, berichtet sie.
„Die Reaktionen auf meine Geschichte waren so berührend, denn das wollte ich mit dem Buch erreichen. Andere zu begleiten und sie mitzureißen“, freut sie sich. Besonders war für sie auch der Auftritt ihrer Freundin Maricel, Musicaldarstellerin, die unter anderem in Musicals wie „Mama Mia“ und „Pretty Woman“ mitgewirkt hat. Sie sang ihr Lied „Stärker“, das für Kuschel zum Song ihres Lebens geworden sei. Auch einer ihrer behandelnden Ärzte und Landtagsabgeordneter Marco Mohrmann waren dabei. „War es wie erwartet? Nein, besser“, fasst die Autorin zusammen.

Das Signieren ihrer Bücher war für Tina Mareike Kuschel bei ihrer Lesung besonders emotional. Foto: Borner/Kreiszeitung
Sie plant jetzt weitere Lesungen, im nächsten Jahr will sie beispielsweise in der Adipositas-Selbsthilfegruppe des Klinikums lesen, an dem sie operiert wird. „Ich habe einige Anfragen bekommen, aus ganz Deutschland. Lust habe ich, aber ich muss schauen, wie fit ich bin, es stehen ja weitere OPs an.“ Jetzt freue sie sich erst mal, dass das Buch so gut ankommt. Eine Buchbestellung alle zwei Tage habe sie auf Amazon im Durchschnitt. „Das hätte ich nicht erwartet, für ein Buch, das im Eigenverlag erschienen ist, ist das super“, sagt Kuschel.
Änderungen bei der Kostenübernahme
Die Adipositas-Patientin freut sich auch, dass es aktuelle Änderungen zu Kostenübernahmen der Krankenkassen bei Lipödemen gibt. Vor eineinhalb Monaten sei das Thema wieder aufgekommen, die kassenärztliche Vereinigung hat bei einer aktuellen Sitzung bekanntgegeben, dass Operationen wegen Lipödemen, die bisher erst ab Stadium 3 gezahlt wurden, nun auch schon in früheren Stadien (Stadium 1 und 2) von der Kasse bezahlt werden. Eine gute Nachricht für alle Betroffenen, findet Kuschel, auch wenn sie von der Entscheidung nicht betroffen ist.
Als problematisch erachtet sie es allerdings, dass weiterhin bei zu großem Übergewicht keine OPs gezahlt werden. „Dabei ist es schlicht unmöglich, das durch die Krankheit entstandene Fett natürlich abzubauen“, kritisiert sie. Die Mehrheit der Gesellschaft kennt sich laut ihr nicht mit Lipödemen aus und dann komme es zu unfairen Kommentaren und Unverständnis. Ein Grund, warum sie ihr Buch geschrieben hat und auf Instagram als „tina.kuschel“ aktiv ist, um über Adipositas und die Fettverteilungsstörung humorvoll aufzuklären.
Ende September geht es für sie und ihren Mann voraussichtlich in eine psychosomatische Reha. Denn Kuschels Abnehmreise ist nicht spurlos an ihr vorübergegangen. „Ich freue mich so drauf“, sagt sie. Denn auch hier galt es mal wieder, sich in Geduld zu üben. Der eigentliche Starttermin Mitte Juli konnte nicht eingehalten werden, weil die Klinik kein Bett für über 130 Kilogramm frei hatte. „Aus Versicherungsgründen müssen die sich an die Regel halten, das verstehe ich ja, aber trotzdem habe ich mich geärgert“, gibt Kuschel zu. Bis zur nächsten Fettabsaugung am 19. August bleibt noch etwas Zeit zur Erholung. „Mir geht es gerade gut, das will ich nutzen, um wieder in mein Atelier zu gehen“, sagt Kuschel, die gerne malt, Kinderbücher illustriert und bereits bei ihrem eigenen Buch die Illustrationen erstellt hat.