TWie das Tagpfauenauge durch den Winter kommt
Während der Winterstarre bleiben die Flügel des Tagpfauenauges zusammengeklappt. Die braun gescheckte Unterseite tarnt ihn, die bunte Oberseite ist nicht sichtbar. Foto: Reinhard Paulin
Es wird immer kälter. Die graue Jahreszeit ist da, die auch für Tiere ungemütlich wird. Wie schafft es ein Schmetterling, wie das Tagpfauenauge, heil durch den Winter zu kommen?
Landkreis. Im Herbst ist es manchmal warm: Außentemperatur: 15 Grad Celsius. Die Sonne hat das Tagpfauenauge erwärmt. Wie alle Insekten ist er wechselwarm. Seine Körpertemperatur: ebenfalls 15 Grad. Der Körper funktioniert noch gut. Das Tagpfauenauge tankt Nektar bei Herbstastern und Efeublüten.
Wenige Tage später wird es bitterkalt, mittags nur noch fünf Grad. Ebenso kühl ist der Körper des Falters. Der Falter hatte abends unter einem Blatt seinen Schlafplatz gefunden. Hier bleibt er heute, denn das kühle Wetter hat für ihn gravierende Folgen: An einem warmen Herbsttag schlug sein Herz etwa 250 mal in der Minute. Doch jetzt ist der Herzschlag auf wenige Male in der Minute herabgesetzt. Das Blut fließt nun sehr langsam und bleibt träge im Umlauf. Alle Körperfunktionen laufen auf Sparflamme.
Aufwachen kostet zu viel Energie
Wenige Tage später allerdings wieder ein wenig Sonnenschein: 12 Grad. Mühsam gelingt ein kurzer Rundflug. Aber nun wird der Überwinterungsplatz endgültig aufgesucht: Ein windgeschützter Holzstoß scheint zu passen. Jetzt beginnt für das Tagpfauenauge die lange Zeit der Winterstarre, die auch bei vorübergehend hohen Wintertemperaturen nicht mehr unterbrochen wird. Es kann nicht anders, denn das ist in den Insektengenen so festgelegt. In der Regel bleibt es in der Starre bis in das nächste Frühjahr.
Das Tagpfauenauge hat seinen Körper gut auf den Winter vorbereitet: Es hat viel Wasser aus seinem Körper entfernt und Salze belassen. Wasser mit hoher Salzkonzentration gefriert erst bei etlichen Graden unter null. Der Falter produziert außerdem eine Mixtur von verschiedenen Frostschutzmitteln, wie Glycerin. So entstehen keine Eiskristalle, die Körperzellen zerstören können. 18 Grad minus zwischen Kaminholz? Das kann problemlos überlebt werden. Und wenn es doch vorübergehend wärmer werden sollte: Bei Januartemperaturen von zehn Grad plus bleibt das Tagpfauenauge in Starre und bewegt sich nicht. Aufwachen kostet Energie, und die wird nicht verschwendet. Die Flügel bleiben zusammengeklappt und geschlossen. Die braun gescheckte Unterseite tarnt ihn, die bunte Oberseite ist nicht sichtbar. Die empfindlichen Fühler sind am Körper angelegt. Doch in seinem Versteck ist das Tagpfauenauge nicht sicher. Fressfeinde wie Mäuse könnten es aufspüren und fressen.
So verbringt das Tagpfauenauge Spätherbst, Winter und Vorfrühling. Wenn alles gutgeht, wacht es an einem warmen Apriltag wieder auf. Männchen sind ein wenig früher wach, besetzen einen Balzplatz und warten auf ein Weibchen, das sie dann umwerben. Wenn der Garten aufblüht, kann das Schmetterlingsjahr beginnen.
Serie und Buch
Was kreucht und fleucht denn da in der Region? Wolfgang Kurtze, Vorsitzender der Lions-Naturschutz-Stiftung, schreibt über Phänomene und Kuriositäten in der Natur. Das TAGEBLATT veröffentlicht die Artikel des promovierten Biologen in loser Reihenfolge. Die erfolgreiche TAGEBLATT-Serie „Phänomene der Natur“ rückt kurzweilig Wissenswertes aus der Natur in den Mittelpunkt. Jetzt ist der zweite Band von Wolfgang Kurtze im Buchhandel erhältlich. Herausgeber ist die Lions Stiftung Stade zur Förderung des Natur- und Umweltschutzes. Erhältlich ist das reich illustrierte und in Jahreszeiten gegliederte Werk im Buchhandel für 19,90 Euro.