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Schutzkonzept

TWie der Buxtehuder SV vor sexualisierter Gewalt schützen will

Mit einem Schutzkonzept wollen die Vereine eine Kultur des Hinschauen schaffen.

Mit einem Schutzkonzept wollen die Vereine eine Kultur des Hinschauen schaffen. Foto: Soeren Stache/dpa (Symbolfoto)

Sexualisierte Gewalt in Sportvereinen ist kein Einzelfall. Dennoch gibt es bislang nur wenige Vereine mit einem Präventionskonzept. Der Buxtehuder SV zieht jetzt nach.

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Von Tim Scholz
Donnerstag, 19.09.2024, 10:55 Uhr

Landkreis. Man stelle sich vor, ein fünfjähriges Mädchen ist beim Kinderturnen hingefallen und weint. „Früher hätte es der Trainer wahrscheinlich auf den Schoß genommen und getröstet“, sagt Stefan Hebecker. Und heute? Geht das überhaupt noch?

Hebecker gehört zum zwölfköpfigen Projektteam des Buxtehuder SV, das in den vergangenen vier Jahren ein Konzept erarbeitet hat, das vor allem Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt schützen soll.

Das Team diskutierte dabei, wo Grenzen bewusst oder unbewusst überschritten werden können, und entwickelte Verhaltensregeln, die in dem 24-seitigen Konzept festgehalten wurden.

Diese Stader Vereine haben ein Schutzkonzept

Der BSV ist damit der 28. Verein, den der Landessportbund Niedersachsen (LSB) seit 2020 für sein Schutzkonzept auszeichnet. Im Landkreis Stade sind bisher nur der TSV Wiepenkathen und der TV Wischhafen zertifiziert.

2020 hat der BSV begonnen, das Konzept auszuarbeiten. Jetzt ist es fertig.

2020 hat der BSV begonnen, das Konzept auszuarbeiten. Jetzt ist es fertig. Foto: Scholz

Der Kreissportbund Stade (KSB) wünscht sich mehr Vereine mit einem Schutzkonzept. „Wir hoffen natürlich, dass sich viele Kinder und Jugendliche im Sportverein wohlfühlen“, sagt Birgit Lille, die im Vorstand für das Thema zuständig ist. Doch das lässt sich nicht immer garantieren.

Was ein Schutzkonzept im Verein bewirken kann

Laut der Studie „Sicher im Sport“ (2021) ist sexualisierte Gewalt im Vereinssport kein Einzelfall. Die Wissenschaftler befragten über 4300 Vereinsmitglieder und fanden heraus, dass 26 Prozent mindestens einmal sexualisierte Grenzverletzungen oder Belästigungen im Sportverein erfahren haben, zum Beispiel anzügliche Bemerkungen oder unerwünschte Text- oder Bildnachrichten mit sexuellem Inhalt.

19 Prozent berichten sogar von sexualisierter Gewalt mit Körperkontakt, zum Beispiel sexuellen Berührungen oder Handlungen gegen den Willen.

Mit einem Schutzkonzept könne man solche Fälle nicht zu 100 Prozent verhindern, sagt Lille, aber man könne die Menschen im Verein sensibilisieren, hinzuschauen und es den Tätern so schwer wie möglich zu machen.

Ehrenkodex und Führungszeugnis reichen nicht

Der BSV, mit rund 4000 Mitgliedern einer der größten Sportvereine in der Region, verfügte bereits vor vier Jahren über „schützende Faktoren“ wie einen Ehrenkodex, mit dem sich die Mitarbeiter verpflichten, keine Form von Gewalt gegenüber jungen Menschen auszuüben. Außerdem müssen Trainer ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Doch das reichte dem Verein nicht mehr.

Ralf Kappel, Stefan Hebecker und Nina Djafari (von links) vom BSV.

Ralf Kappel, Stefan Hebecker und Nina Djafari (von links) vom BSV. Foto: Scholz

Da in den Medien immer wieder über Missbrauchsfälle in Vereinen oder in der Kirche berichtet wird, „haben wir uns gefragt, wie wir selbst reagieren würden“, sagt BSV-Vorstandsmitglied Ralf Kappel. Und vor allem: „Was können wir präventiv tun?“

Wann darf ein Trainer in die Kabine?

Mithilfe von KSB und LSB entwickelte der BSV das Konzept. Das Team analysierte Risikobereiche und diskutierte verschiedene Szenarien: Wann darf ein Trainer oder eine Trainerin die Umkleidekabine betreten? Was ist mit Einzeltraining? Darf ein Trainer seine Mannschaft zum Grillen zu sich nach Hause einladen?

Welches Verhalten in Ordnung und welches eine Grenzverletzung ist, darüber gibt es gerade in einem großen Verein unterschiedliche Auffassungen. „Manche Aktivitäten wie das gemeinsame Grillen dienen ja auch der Gemeinschaft“, gibt Hebecker zu bedenken.

Was ist mit Berührungen?

So hat der BSV in seinem Konzept eine Reihe von Verhaltensregeln festgelegt. Beispielsweise sollen Einzeltrainings möglichst vermieden und eine weitere Person hinzugezogen werden. Auch dürfen Trainer die Kabine nur „nach Rückmeldung“ betreten und nicht mit den Kindern duschen. Sexualisierte und diskriminierende Sprache sind ebenfalls zu unterlassen.

Und was ist mit Hilfestellungen, die im Sport notwendig sind, aber auch das Risiko bergen, missbraucht zu werden?

Hilfestellungen sollen „sportfachlich korrekt ausgeführt“ und vorher deutlich mitgeteilt werden, heißt es im Konzept. Wer ein Kind auf dem Arm nimmt, um es zu trösten, sollte das nur tun, wenn das Kind es will. Und es darf nicht überhand nehmen.

Buxtehuder SV schult alle 200 Trainer

Vereinzelt habe es auch Widerstände gegeben, berichtet BSV-Vorstandssprecherin Nina Djafari. „Einige Trainer fühlten sich unter Generalverdacht gestellt“, sagt sie. Durch persönliche Gespräche konnten die Bedenken schnell beseitigt worden.

Daher sei es auch wichtig, alle Menschen im Verein mitzunehmen und das Konzept bekannt zu machen, sagt Djafari. So wurde das Konzept auf der Website des BSV veröffentlicht. Außerdem wurde bereits ein Großteil der 200 Trainer geschult. Alle vier Jahre soll dies wiederholt werden.

Sollte es einen Vorfall oder Verdacht geben, können sich die Kinder, Jugendliche, Eltern, Trainer, Betreuer und Abteilungsleiter an die Vertrauenspersonen wenden, die den Verdacht einschätzen, weitere Schritte einleiten und gegebenenfalls Kontakt zu Beratungsstellen herstellen.

TV Wischhafen erhält Auszeichnung

Am Freitag zeichnet der LSB den BSV für sein Schutzkonzept aus. Der TV Wischhafen hat die Auszeichnung - eine Plakette und 1000 Euro für die Kinder- und Jugendarbeit - bereits in der vergangenen Woche erhalten. Fast zwei Jahre lang hat der Verein an dem Schutzkonzept gearbeitet.

„Das ist ein langer und anstrengender Prozess. Nicht viele Vereine trauen sich das zu, weil vor allem Ehrenamtliche daran beteiligt sind“, sagt KSB-Vorstandsmitglied Lille, die selbst zum Beratungsteam des TV Wischhafen gehörte. Jetzt, betont sie, habe man wieder Kapazitäten für den nächsten Verein.

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