Zähl Pixel
Schießsport

TWie der SV Himmelpforten zum Aushängeschild im Parasportschießen wurde

Sabine Steffen kommt alle zwei Wochen aus Armstorf zum Training nach Himmelpforten.

Sabine Steffen kommt alle zwei Wochen aus Armstorf zum Training nach Himmelpforten. Foto: Scholz

Der SV Himmelpforten hat eine der größten Gruppen für Parasportschützen in der Region - und das hat sich herumgesprochen. Denn solche Anlaufstellen gibt es nicht häufig.

author
Von Tim Scholz
Dienstag, 30.04.2024, 05:50 Uhr

Himmelpforten. René Kühlke hat viele Jahre im Stehen geschossen, das Luftgewehr konnte er problemlos halten. „Aber irgendwann konnte ich keine 20 Minuten mehr stehen“, sagt er. Rheuma im Knie. „Ich dachte daran, ganz mit dem Schießen aufzuhören.“

Doch der 50-Jährige fand einen anderen Weg. 2018 ließ er sich von einem Arzt als Parasportschütze klassifizieren und schießt seitdem vom Hocker. Kühlke: „Endlich konnte ich wieder loslegen.“ Danach schaffte er es bei der Deutschen Meisterschaft mehrfach unter die Top 10.

Über die Region hinaus bekannt

Kühlke ist beim SV Himmelpforten einer von vier Parasportschützen, die sich an einem Montagabend im Vorraum des Schützenhauses versammelt haben. Neben Kühlke sind das Abteilungsleiter Stefan Reichelt (43), Ingo Döhring (53) und Sabine Steffen (67).

Die Paraschützen (von links): Ingo Döhring, Stefan Reichelt, Sabine Steffen und René Kühlke.

Die Paraschützen (von links): Ingo Döhring, Stefan Reichelt, Sabine Steffen und René Kühlke. Foto: Scholz

Bundesweit gibt es laut Deutschem Schützenbund etwa 1400 Parasportschützen. Im Bezirksschützenverband (BSV) Stade ist der SV Himmelpforten das Aushängeschild und dafür auch über die Grenzen hinaus bekannt.

Parasportschützen dürfen Hilfsmittel nutzen

Das ist vor allem Stefan Reichelt zu verdanken, der vor zehn Jahren an Krebs erkrankte. „Da kam der Punkt, an dem ich bei den Körperbehinderten mitschießen konnte“, sagt er. Ein Arzt stellte fest, wie stark er eingeschränkt ist und welche Hilfsmittel er benutzen darf.

Wer nicht ausreichend stehen kann, bekommt zum Beispiel einen Hocker. Wer das Gewehr nicht mehr halten kann, bekommt einen Federständer als Auflage. Für Sehbehinderte und Blinde gibt es Aufbauten, damit nach Gehör geschossen werden kann.

Eine der größten Gruppen in der Region

Reichelt wurde in die Klasse SH1/AB1 eingestuft. Diese Schützen können die Waffe im Anschlag frei halten und dürfen auch im Sitzen am Wettkampf teilnehmen. Als Hilfsmittel benutzt Reichelt einen Hocker.

Reichelt wurde bereits mehrfacher Deutscher Meister bei den Parasportschützen. Im Nordwestdeutschen Schützenbund und im BSV Stade engagiert er sich als Referent für den Parasport. Und beim SV Himmelpforten leitet er eine der größten Gruppen für Parasportschützen in der Region.

„Hier wird Inklusion voll gelebt“, sagt Reichelt. Inklusion bedeute, dass die Parasportschützen zusammen mit den Schützen ohne Behinderung an den Stand gehen und voneinander lernen. Und das hat sich herumgesprochen.

„Früher hatte ich zwei gesunde Hände“

Dazu passt die Geschichte von Sabine Steffen, die eigentlich in Armstorf im Landkreis Cuxhaven schießt und sagt: „Früher hatte ich zwei gesunde Hände.“ Doch heute hat sie wegen einer Lähmung des linken Arms und der Hand Probleme beim Laden der Waffe und beim Greifen.

Bei einer Meisterschaft im vergangenen Jahr lernte Sabine Steffen die Himmelpfortener kennen. Jetzt lässt sie sich alle zwei Wochen von ihrem Mann die halbe Stunde nach Himmelpforten fahren und schießt dort auf elektronische statt auf Pappscheiben. „Die Technik ist besser für mich“, sagt sie.

Außerdem profitiere Sabine Steffen vom Wissen der Himmelpfortener, etwa wenn es um die richtige Einstellung des Hockers oder die Formalien zur Anmeldung bei der Deutschen Meisterschaft geht. „Ohne euch hätte ich das nicht geschafft“, sagt sie zu ihren Mannschaftskollegen.

Warum es nicht mehr Parasportschützen gibt

Laut Reichelt gibt es nur wenige solcher Beispiele. Dafür nennt er mehrere Gründe: Zum einen gebe es wenige Anlaufstellen für Parasportschützen; im Nordwesten habe der SV Etzhorn in Oldenburg die nächstgrößere Gruppe. Zum anderen könne der Begriff Parasport falsche Assoziationen wecken. „Viele denken, das ist nur was für Rollstuhlfahrer“, sagt Reichelt.

Sabine Steffen nutzt einen Federständer als Ablage für das Luftgewehr.

Sabine Steffen nutzt einen Federständer als Ablage für das Luftgewehr. Foto: Scholz

Und er hat die Erfahrung gemacht, dass sich viele ältere Schützinnen und Schützen ihre körperlichen Probleme nicht eingestehen wollen. „Das hat viel mit Stolz zu tun“, sagt er. Mit der Folge, dass sie mit dem Schießen aufhören, wenn sie nicht mehr treffen.

Große Umstellung mit dem Hilfsmittel

Für Ingo Döhring war das keine Option. Für ihn kam der „Kipppunkt“ vor fünf Jahren: „Ich war bei der Landesmeisterschaft und konnte nach einiger Zeit nicht mehr stehen“, erzählt der 53-Jährige. Das fiel auch der Aufsicht am Schießstand auf, denn Döhrings Ergebnisse wurden immer schlechter.

Ein Jahr später stand ein 65 Zentimeter hoher Hocker in seinem Hilfsmittelausweis. „Ich habe bestimmt drei Monate gebraucht, um damit klarzukommen“, sagt er. Atmung und Motorik seien im Sitzen anders. Es fühlte sich so an, als hätte er das Schießen neu gelernt. Aber es fühlte sich richtig an.

Weitere Artikel