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Cap Anamur

TWie ein Arzt aus Wischhafen kranken Kindern in Afrika das Leben rettet

Dr. Ralf Lünstedt mit einer Patientin. Viele Familien in Sierra Leone können sich medizinische Hilfe nicht leisten.

Dr. Ralf Lünstedt mit einer Patientin. Viele Familien in Sierra Leone können sich medizinische Hilfe nicht leisten. Foto: Cap Anamur / Jürgen Escher

Sechs Monate war der in Wischhafen geborene Mediziner Ralf Lünstedt in Sierra Leone. Was er dort erlebte, ist alles andere als alltäglich.

Von Leonie Bohmann Mittwoch, 25.06.2025, 09:50 Uhr

Wischhafen/Freetown. Freetown, Hauptstadt von Sierra Leone im Westen Afrikas: Dr. Ralf Lünstedt, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Schwerpunkt Herzkrankheiten bei Kindern, war sechs Monate mit der humanitären Hilfsorganisation Cap Anamur dort im Einsatz. Er arbeitete im größten Kinderkrankenhaus des Landes, dem Ola During Children‘s Hospital, unter schwierigen Bedingungen.

Täglich werden dort mehr als 200 Kinder stationär versorgt - bei wenig Personal und mit sehr begrenzten medizinischen Möglichkeiten. Viele Familien können sich medizinische Hilfe bzw. den Weg bis zum Krankenhaus aus weit entfernten Regionen kaum leisten. Besonders für jüngere Kinder wäre diese jedoch dringend notwendig.

Täglich werden mehr als 200 Kinder im Ola During Children‘s Hospital in Freetown stationär versorgt.

Täglich werden mehr als 200 Kinder im Ola During Children‘s Hospital in Freetown stationär versorgt. Foto: Cap Anamur / Jürgen Escher

Lünstedt, 36 Jahre alt, praktiziert an der Universitätsklinik in Freiburg und stammt aus Wischhafen. Seine Familie führt seit Generationen das Backhaus Lünstedt, das Filialen in der ganzen Region hat.

Ein Schwerpunkt von Lünstedt war die Untersuchung von Kindern mit möglichen Herzkrankheiten. Doch viele Geräte, die in Deutschland zum Standard gehören, fehlten in vielen Einrichtungen vor Ort. „Schon einfache Dinge wie passende Blutdruckmanschetten können entscheidend sein. Wenn sie fehlen, geraten selbst Basisuntersuchungen ins Stocken“, sagt Lünstedt.

Besonders häufig: Herzbeutelentzündung

Dank der Unterstützung von Cap Anamur können die Ultraschalluntersuchungen im Ola During Children‘s Hospital kostenlos angeboten werden. Auf diese Weise ließ sich bei vielen Kindern erst eine Herzkrankheit diagnostizieren. Besonders häufig stellte Lünstedt eine Herzbeutelentzündung fest - meist ausgelöst durch Tuberkulose, die in der Regel gut behandelbar ist, wenn sie rechtzeitig erkannt wird.

Technische Ausstattung ist in der Klinik weniger vorhanden als in deutschen Krankenhäusern. „Oft mussten wir mit einem Bruchteil dessen auskommen, was in Deutschland selbstverständlich ist. Dann zählt jede Entscheidung doppelt“, so Lünstedt. Er schulte seine afrikanischen Kolleginnen und Kollegen im herausfordernden Klinikalltag: in der schnellen Einschätzung kritischer Situationen, beim Erkennen von Herzgeräuschen und im Umgang mit dem Ultraschallgerät.

Sechs Monate war Dr. Ralf Lünstedt mit der humanitären Hilfsorganisation Cap Anamur in Freetown im Einsatz.

Sechs Monate war Dr. Ralf Lünstedt mit der humanitären Hilfsorganisation Cap Anamur in Freetown im Einsatz. Foto: Cap Anamur / Jürgen Escher

Gleichzeitig war Fingerspitzengefühl gefragt: Viele Familien in Sierra Leone sprechen kein Englisch und fürchten die Diagnose. Vertrauen entstand nicht über Geräte, sondern über Geduld, Respekt und kulturelle Sensibilität.

In Sierra Leone gibt es keine Möglichkeit für Herzoperationen. Viele Kinder mit schweren Herzfehlern erhalten deshalb nie eine Behandlung. Nur für wenige eröffnen sich Behandlungsmöglichkeiten im Ausland - wenn Familien oder Spenderinnen und Spender hohen Kosten stemmen können. Zwei Kinder konnte Lünstedt während seiner Zeit für Behandlungen im Ausland begleiten. Das eine ist zur Operation nach Tunesien gereist. Das andere wurde erfolgreich in Israel operiert und ist inzwischen nach Sierra Leone zurückgekehrt.

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Neben seiner Arbeit in der Herzdiagnostik war Lünstedt auch in der Notaufnahme und auf der Intensivstation im Einsatz. Viele der kleinen Patientinnen und Patienten waren schwer erkrankt, zum Beispiel an Malaria oder einer Lungenentzündung. Die Bedingungen vor Ort waren herausfordernd: Häufig stand nur ein einziges Überwachungsgerät zur Verfügung, Sauerstoff war Mangelware, Stromausfälle gehörten zum Alltag.

„Jeder Stromausfall, jede fehlende Packung Medikament zeigt, wie fragil das System hier ist.“, erklärt der gebürtige Wischhafener. Cap Anamur stellt dringend benötigte Medikamente und medizinisches Material bereit - oft die einzige Chance, Leben zu retten.

Immer mehr junge Menschen entscheiden sich für ein Medizinstudium

Trotz aller Herausforderungen gibt es Grund zur Hoffnung: In Sierra Leone entscheiden sich immer mehr junge Menschen für ein Medizinstudium, Fachrichtungen wie die Kinderheilkunde entwickeln sich stetig weiter.

Auch Wochen nach seiner Rückkehr denkt Lünstedt oft an Freetown: „Was bleibt, sind die Gesichter der Kinder – und das Wissen, dass unsere Arbeit wirklich etwas bewirken kann.“

Info: Das ist Cap Anamur

Cap Anamur / Deutsche Not-Ärzte e.V. wurde 1979 in Köln von Christel und Rupert Neudeck sowie Freunden wie zum Beispiel Heinrich Böll gegründet. Seitdem leistet der gemeinnützige Verein weltweit humanitäre Hilfe, mit dem Fokus auf medizinische Versorgung und Bildung.

Über den Klinikalltag sagt Dr. Ralf Lünstedt: „Oft mussten wir mit einem Bruchteil dessen auskommen, was in Deutschland selbstverständlich ist. Dann zählt jede Entscheidung doppelt.“

Über den Klinikalltag sagt Dr. Ralf Lünstedt: „Oft mussten wir mit einem Bruchteil dessen auskommen, was in Deutschland selbstverständlich ist. Dann zählt jede Entscheidung doppelt.“ Foto: Cap Anamur / Jürgen Escher

Cap Anamur handelt nach dem Prinzip der nachhaltigen Hilfe: In Kriegs- und Krisengebieten werden Krankenhäuser und Schulen gebaut, lokale Fachkräfte ausgebildet und Hilfsgüter bereitgestellt. Ziel ist es, Projekte in die Verantwortung der Menschen vor Ort zu übergeben – um schnell neue Einsätze starten zu können. Aktuell ist Cap Anamur unter anderem in Sierra Leone, dem Sudan, Libanon, der Zentralafrikanischen Republik und Afghanistan aktiv.

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