Zähl Pixel
Kochen

TWie eine Gastro-Pionierin mit Foodlab in Hamburg neue Trends setzt

Nach ihrem Foodblog Hamburger Deern gründete Christin Siegemund später Foodlab.

Nach ihrem Foodblog Hamburger Deern gründete Christin Siegemund später Foodlab. Foto: Brita Plath

Christin Siegemund schuf in der HafenCity ein nie da gewesenes kulinarisches Testfeld. Hinter ihr liegt ein ungewöhnlicher Weg - von der Werbefrau zur Food-Vorreiterin der Stadt.

Von Markus Lorenz Samstag, 07.09.2024, 11:50 Uhr

Hamburg. TAGEBLATT: Frau Siegmund, können Sie eigentlich kochen?

Christin Siegemund: Meine Familie sagt, ja. Ich koche auf jeden Fall total gern. Und ich esse sehr gern.

War das Antrieb für die Gründung des Foodlab? Beruflich liegen Ihre Wurzeln im Marketing und in der Kommunikation…

Ehrlich gesagt, war es zu Beginn ein egoistisches Motiv: Ich wollte einen guten Ort zum Mittagessen haben. Denn in der Nähe meines damaligen Arbeitgebers in einem Gewerbegebiet gab es außer McDonalds, Dönerbude und Italiener nicht viel.

Warum haben Sie dann kein Restaurant eröffnet, sondern das Foodlab, eine kulinarische Spielwiese für neue Konzepte?

Ich hatte schon 2012 angefangen, einen Foodblog zu schreiben, aus Interesse an Ernährung. Nach der fünfjährigen Elternzeit für unsere Zwillinge wollte ich nicht zurück in meinen bisherigen Beruf. Über den Blog bekam ich Kontakt zu Food-Start-ups, habe für einige Marketing und Social Media gemacht, auch mal an der Entwicklung von Verpackung mitgearbeitet. So bin ich immer tiefer in die Szene gelangt und habe irgendwann erkannt: Es fehlt ein gemeinsamer Platz für Food-Start-ups, wo sie Antworten auf wichtige Fragen und die nötige Unterstützung finden. Also habe ich beschlossen, einen solchen Ort selbst zu gründen, während der Elternzeit einen Businessplan geschrieben, die Location in der HafenCity gefunden und im März 2020 eröffnet.

Sich als Branchenfremde mit einer solchen Idee selbstständig zu machen – ganz schön mutig, oder?

Ich empfinde mich nicht als mutig. Bei den Planungen war ich irgendwann an einen Punkt gekommen, an dem ich nicht mehr gut zurückkonnte. Ich habe mich also selbst ein bisschen ausgetrickst. Ja, das hat alles wahnsinnig viel Arbeit gekostet. Aber ich finde, eine Firmengründung ist ein bisschen wie Kinderkriegen: Man hat ja Zeit, sich darauf vorzubereiten.

Klingt so einfach. Was es das?

Ich bin jeden Schritt einzeln gegangen, wurde immer begleitet von Menschen, die sehr viel Ahnung haben. Auch mein Mann war für mich ein wichtiger Partner, mit dem ich mich sehr viel ausgetauscht habe. Das Schlimmste, was mir passieren kann, ist eine Insolvenz. Also musste ich gucken, ob ich das finanziell verkraften könnte. Die Antwort lautete: ja. Wobei es nicht so ist, dass ich Tochter reicher Eltern bin oder mein Mann mir das Geld geschenkt hätte. Ich habe zwei Kreditverträge laufen. Alles ist aus eigener Kraft erschaffen. Ich bin all-in gegangen.

Was genau ist das Foodlab?

Netzwerk, Plattform, Testfläche und Genussort. Ein Ort für Foodies, egal ob man hier arbeitet oder einfach kommt, um etwas Neues zu entdecken. Das gab es in der Form vorher nirgends. Inzwischen sind wir Vorbild für andere. Fast sämtliche Stadt- und Wirtschaftsförderer aus Norddeutschland waren hier, um zu sehen, was wir tun – und einige haben fleißig kopiert.

Kann man sich das Foodlab als eine Art „Die Höhle der Löwen“ für Gastro-Ideen vorstellen?

Nein. Dies ist ein Ort, an dem man auch scheitern darf. An dem man auf die Schnauze fallen darf, um sich dann neu aufzurichten. Es ist eine Testfläche. Wir bewerten nicht, was ist gut, was ist schlecht, und es gibt bei uns kein Geld. Das, was der „Höhle der Löwen“ vielleicht am nächsten kommt, ist unser Accelerator-Programm.

Was steckt dahinter?

Wir betreuen sechs Food-Startup-Konzepte. Dahinter stehen Menschen, die ihren eigenen Laden haben wollen, sei es ein Café, ein Foodtruck, ein Restaurant, was auch immer. Sie durchlaufen bei uns ein sechsmonatiges Programm mit diversen Workshops. Es gibt eine Jury, die mit auswählt, die aber auch begleitet und ganz viel Input liefert.

Wie viele Start-ups haben dank Foodlab den Durchbruch geschafft?

Von den 51 Konzepten, die wir hier bisher hatten, sind 29 inzwischen in einem eigenen Outlet.

Einige Erfolgsstorys, bitte …

V‘italian, ein veganes Pasta-Konzept, deren Betreiber jetzt in Kopenhagen ein Restaurant eröffnet haben, The Hummus Bar mit Rolls und Bowls in der Langen Reihe und die Ceviche Bar, ein Catering-Konzept mit peruanischer Küche in Eppendorf. Aromakollektiv ist ebenfalls hier gestartet, auch ein Catering-Unternehmen. Bei Produktentwicklungen haben wir Vanozza, die vegane Mozzarella und gerade veganen Feta-Käse gelauncht. Und That‘s Kimchi, die Kimchi-Mayo und Kimchi-Sauce machen, was bald bei Jim Block auf dem Burger liegen wird.

Was brauchen Newcomer in der Gastroszene, um sich durchzusetzen?

Chancen haben nur die, die all-in gehen. Ich glaube nicht an Gründungen in Teilzeit. Man braucht Leidenschaft, aber vor allem den vollen Fokus auf das, was man tut.

Stand heute: Ist das Foodlab ein Erfolg?

Ich bin sehr dankbar, dass ich die Freiheit habe, jeden Tag das zu tun, was ich unfassbar liebe. Das ist auch die Freiheit, unabhängig zu entscheiden, weil ich keine Investoren im Boot habe, die mir Fesseln anlegen. Zugleich ist es so: Wir schreiben bis heute keine schwarzen Zahlen.

Woran liegt das?

In erster Linie daran, dass wir erst seit Mitte 2022 komplett geöffnet haben. Bis dahin konnten wir wegen der Corona-Auflagen zum Beispiel keine Veranstaltungen machen. Solange aber die Einnahmeseite stimmt, bereitet mir das keine schlaflosen Nächte. Ich beherzige, was ein ehemaliger Chef gesagt hat: Mut zur Lücke. Ich glaube, Unternehmerinnen und Unternehmer finden immer eine Lösung, völlig egal, wie schief das Schiff gerade liegt, oder wie stürmisch die See ist (zeigt lächelnd auf die Elbe vor dem Fenster).

Hamburg will Food-Hotspot sein, auch im internationalen Vergleich. Ist das realistisch?

Es gibt sehr viele kreative Köpfe in dieser Stadt und sehr viele gute Köpfe, die innovativ genug sind und neue Verfahrensweisen entwickeln, neue Produkte. Ob Hamburg innovativ und schnell genug ist, damit solche jungen Unternehmer nicht abwandern, weiß ich nicht. Ich glaube, die Politik darf da einen Zacken zulegen.

Sind Menschen in Hamburg überhaupt offen für innovative Gastro- und Ernährungsideen? Oder norddeutsch-zurückhaltend beim Essen?

Die Menschen hier sind auf jeden Fall für Neues zu begeistern. Und die Hamburger sind treu. Das heißt: Wenn hier etwas eröffnet oder ein Produkt entwickelt wird, dann hat das meistens eine sehr große Chance zu überleben. Nehmen wir die Beispiele Ankerkraut, Lemonaid und Fritz-Kola. Hamburg ist eine großartige Testfläche, weil die Hamburger wahrscheinlich ein bisschen schwerer zu knacken sind als andere.

Was sind die großen aktuellen Foodtrends?

Das sind die Trends, die schon die letzten Jahre dominiert haben: vegan, aber mehr hin zu Plant-based und Clean Labeling, also die Zutatenliste so kurz wie möglich halten. Auch Optimierung und Individualisierung wird riesengroß …

Wofür steht das?

Gemeint sind unter anderem Proteine und Longevity, also Langlebigkeit. Ich glaube, das wird in ein paar Jahren ein großes Thema, über Nahrungsergänzungsmittel hinaus. Wir werden irgendwann lernen, was wir eigentlich auf unserem Teller haben wollen und was uns guttut. Im Sinne von: Wie muss ich mich ernähren, um möglichst lange gesund zu bleiben? Wie ernähre ich mich so, dass es zu mir passt? Auch das Thema Snacking wird nicht mehr aufhören. Das heißt, mehrere Snacks am Tag zu sich zu nehmen statt drei Hauptmahlzeiten.

Andererseits gibt es doch Dönerbuden und Pizza-Lieferdienste zuhauf, bei denen es den Kunden offenbar egal ist, was im Essen steckt, oder?

Es gibt zum einen Menschen, die das überhaupt nicht interessiert. Und es gibt Menschen, wahrscheinlich vor allem in der Großstadt, die eher Wert darauf legen, wie sie sich ernähren, was sie essen, was das Essen für sie tut.

Brauchen wir alle also mehr Wissen darüber, was gute, gesunde und nachhaltige Ernährung ausmacht?

Das fragen Sie jemanden, der zwei Kinder hat, der sich mit dem Thema Ernährung so viel beschäftigt. Ich weiß nicht, ob ich da objektiv bin (lacht). Ich finde Ernährungserziehung wahnsinnig wichtig. Ich habe zwei Mädchen, die sind jetzt zehn, von denen habe ich schon gehört: „Mama, ich bin zu dick.“ Das muss man dann relativieren. „Germany‘s Next Top Model“ dürfen die beiden jedenfalls nicht gucken. Ich spreche mit meinen Töchtern über richtige Ernährung, Themen wie Blutzuckerspiegel, was eigentlich Kraft gibt und was gesund ist. Ich finde es verrückt, dass sowas nicht Thema in der Schule ist. Für mich sollte es Ernährung als Unterrichtsfach geben.

Zur Person – Hamburger Deern und Zwillingsmama

Christin Siegemund ist gebürtige Hamburgerin und hat fast 20 Jahre in der Werbung und im Marketing gearbeitet. Nach der Elternzeit für ihre Zwillinge suchte sie eine neue Herausforderung und fand sie zunächst in ihrem Foodblog Hamburger Deern, später in der Gründung des Foodlab, deren geschäftsführende Gesellschafterin sie ist. Die Plattform für neue Nahrungskonzepte und innovative Gastro-Ideen, samt Pop-up-Restaurant mit wechselnden Anbietern, und hat seither etwa 50 Start-ups beraten und gefördert. Zeitweise gehörte TV-Koch Christian Rach zum Foodlab-Beirat. Christin Siegemund ist mit einem selbstständigen Unternehmensberater verheiratet. Das Paar hat Zwillingsmädchen (10 Jahre), die Familie lebt in Winterhude.

Persönlich – von der Liebe und von zu vielen Köchen

Gegessen wird, was auf den Tisch kommt … stimmt!

Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht … nein, immer ausprobieren.

Das Auge isst mit … auf jeden Fall.

Viele Köche verderben den Brei … stimmt, denn wenn jeder seinen Senf dazu gibt, geht die Grundidee verloren.

Liebe geht durch den Magen … ja, man merkt, wenn ein Gericht kein Herz hat.

Der Appetit kommt beim Essen … meistens schon vorher beim Riechen.

Weitere Themen

Weitere Artikel