TWie das City-Kino Buxtehude gegen leere Reihen ankämpft

Die Mitarbeiter Zoé Mittelstädt und Marcel Ramm dürfen sich im City-Kino kostenlos Filme anschauen. Foto: Scholz
Simon Balimann ist der Herr der Filme im City-Kino Buxtehude. Warum der Theaterleiter den Betrieb laufen lässt, selbst wenn nur zwei Leute kommen.
Buxtehude. Der Blick geht hoch zu den Bildschirmen. Elio (Kino 1): 139 Plätze frei. Elio (Kino 2): 61 Plätze frei. Formel 1 (Kino 3): 54 Plätze frei. Es ist 15 Uhr. Drei Angestellte stehen hinter dem Verkaufstresen. Popcorn, Nachos, Süßigkeiten - alles bereit. Was fehlt, sind die Gäste. Ferienzeit in Buxtehude. Sieht so ein typischer Kinonachmittag aus?
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Aus einem Raum neben Kino 2 dringt eine Stimme. Die Tür ist angelehnt, darauf steht in Harry-Potter-Schrift: „Simons Kammer des Schreckens“. Es ist Simons Büro. Und es ist voll. Server, Soundprozessoren, ein Laserprojektor, DVDs in Regalen, fünf Monitore. Und mittendrin: Simon Balimann, der Theaterleiter.
Sein Lieblingsfilm ist elfeinhalb Stunden lang
„Sorry, ich habe eben noch mit meinem Chef telefoniert“, sagt Balimann. Schwarzes Hemd, gegelte Haare, Anfang 40 - und eine Stimme, die sofort klarmacht, dass dieser Mann liebt, was er tut. Begeistert, schnell, ansteckend.

Theaterleiter Simon Balimann. Foto: Scholz
Vor 16 Jahren kam er eher zufällig ins City-Kino, nach einem abgebrochenen Ingenieursstudium - und blieb. Balimann lernte hier seine heutige Frau kennen, mit der er zwei Kinder und eine große Filmsammlung hat. 1430 Titel hat er in einer App gelistet. Sein Lieblingsfilm? Herr der Ringe. Welcher Teil? Balimann wirkt irritiert - für ihn sind die drei Filme ein Gesamtwerk, nur eben elfeinhalb Stunden lang.
Welche Filme gezeigt werden - und welche nicht
Simon Balimann zeigt auf die Monitore. „Hier spiele ich immer Filmtetris“, sagt er. Hier entscheidet sich also, welche Filme in der kommenden Kinowoche gezeigt werden. Und das ist gar nicht so einfach. „Jede Woche starten zehn bis zwanzig Filme, und ich habe nur drei Säle.“

Balimann in seinem Büro: „Hier spiele ich immer Filmtetris.“ Foto: Scholz
Während nebenan Kino 2 bebt und Dinosaurier brüllen (Jurassic World), erklärt Balimann, dass er die Filme nicht einfach dann zeigen kann, wann er will. In der Regel handelt er montags die Konditionen mit den Verleihern aus: Jurassic World muss zum Start abends in 3D gezeigt werden, Formel 1 braucht in der zweiten Woche zwei Vorstellungen am Tag. Aus diesen Vorgaben puzzelt Balimann schließlich das Programm zusammen.
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Balimann liebt Filme. Doch manchmal versteht er die Branche nicht: Warum laufen Filme wenig später schon bei der Streaming-Konkurrenz? Warum starten gleich mehrere Top-Filme so dicht beieinander? Superman fliegt im City-Kino deshalb zum Bundesstart aus dem Programm. Kein Platz. Und überhaupt: „Superheldenmüdigkeit!“ Es sprudelt jetzt aus ihm heraus. Was besser laufen wird? „Die Schule der magischen Tiere, der Trailer wird geklickt wie blöd.“ Auch Avatar 3 werde funktionieren, ist sich Balimann sicher. „Keine hochtrabende Story, aber wunderschön gemacht.“ Ein Hoch auf James Cameron. „Sorry, bin ich zu schnell?“ Balimann gackert.
Popcorn aus Säcken - wo ist die Kinomagie geblieben?
Zeit für einen Rundgang. Erste Station: die Küche. Balimann zeigt einen transparenten Plastikbeutel: Popcorn. 120 Liter passen in diesen speziellen Frischhaltesack. „Wir haben gestern schon zwei Säcke vorproduziert“, sagt Balimann und lächelt dann: „Tut mir leid, wenn ich die Magie ein bisschen zerstöre.“ Die meisten Besucher merken davon nichts.

120 Liter Popcorn passen in die speziellen Frischhaltesäcke. Foto: Scholz
Das Kino ist ein Labyrinth: nachträglich eingezogene Technik- und Lagerräume, Regale mit Süßkram, Kisten voller Merchandising. Oder Kino 3, der kleinste Saal, war früher tatsächlich eine Apotheke. Dort läuft gleich Formel 1. Besucher: Fehlanzeige „Wenn nach 15 Minuten keiner da ist, machen wir den Film aus“, sagt Balimann. Aber dann: zwei Menschen betreten das Kino. Balimann beglückwünscht sie zur Wahl des Films und verlässt den Saal.
Buxtehuder Kino verzeichnet ein Besucherplus
Nur zwei Besucher - lohnt sich Kino überhaupt noch? „Ich werde das oft gefragt“, sagt Balimann. Eine berechtigte Frage: Laut dem Hauptverband Deutscher Filmtheater gingen im vergangenen Jahr 7,3 Prozent weniger Menschen ins Kino als 2023. Und in Buxtehude? Balimann ist stolz auf ein Plus im einstelligen Bereich und freut sich über mehr als 61.000 Besucher im Jahr. „Das ist anderthalb Mal Buxtehude“, sagt er nicht ohne Stolz. Wie kann das sein?
Balimann vermutet dahinter einen Mix aus mehreren Gründen, unter anderem die günstigen Preise und das Programm mit speziellen Events: Herr-der-Ringe-Marathon, Kino für Frauen, Horrornächte, Kinderkino bei gedimmtem Licht. „Welches Kino bietet so was schon an?“, sagt Balimann. „Ein modernes Multiplex jedenfalls nicht.“ Und vielleicht am wichtigsten: das Persönliche. „Die Leute merken, dass wir alle irgendwie verrückt sind und hinter dem stehen, was wir machen. Wir lieben Filme.“
„Marcel war Stammkunde, bevor er hier anfing“
Zurück im Foyer. Hinter dem Verkaufstresen stehen Zoé Mittelstädt (Lieblingsfilm: Ratatouille), Seviye Demirtas (Pulp Fiction) und Marcel Ramm (Star Wars) - sie sind Anfang 20 und selbst filmverliebt. „Marcel war Stammkunde, bevor er hier anfing“, erzählt Demirtas. Alle lachen.

Seviye Demirtas, Marcel Ramm und Zoé Mittelstädt (von links) hinterm Verkaufstresen. Foto: Scholz
Mittelstädt kippt eine Schaufel Zucker in den Popcornkessel und schließt den Deckel. „Das dauert jetzt ein paar Minuten“, sagt Mittelstädt. Bei fast 150 Gästen am Tag kaufen zwei Drittel eine Tüte Popcorn. Manche kommen sogar nur deshalb. In diesem Moment tritt eine Frau herein, kauft salziges Popcorn - und geht wieder.

Popcorn ist der absolute Renner unter den Snacks. Foto: Scholz
Zwischen den Vorstellungen reinigen die drei die Kinosäle. Der Animationsfilm Elio ist vorbei. Als sie Kino 1 betreten, wirken sie kurz erschrocken. Überall Popcorn! Sitze, Boden, Bühne. Und die Kissen auf den Loveseats: zerwühlt. Die beiden Mädchen im Saal hatten eigentlich nur eine kleine und eine mittlere Tüte. „Wir waren zuversichtlich“, sagt Mittelstädt und grinst.

Zwischen den Vorstellungen werden die Kinosäle gereinigt. Foto: Scholz
Während sie die Kissen aufschüttelt, versucht Ramm es zunächst mit einem Handsauger. Doch der kommt gegen die Popcornmengen nicht an. „Verstopft“, sagt er und holt den stärkeren Bodensauger.
Die Liebe zum Kino
Warum sie das alles machen? Kino ist für die drei nicht nur ein Job. „Man sitzt mit vielen Menschen vor einer großen Leinwand und kann sich auf den Film einlassen“, sagt Mittelstädt. „Zu Hause lässt man sich ständig ablenken.“ Und: Als Angestellte dürfen sie die Filme kostenlos sehen.
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Simon Balimann ist inzwischen auf dem Weg nach Hamburg - zu einer Vorstellung von Superman in einem anderen Kino. „Ich gucke mir super gerne andere Kinos an“, sagt er. Man glaubt es ihm sofort.
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