TWo ein 76-jähriger Landarzt gerade die Ärzteversorgung rettet

Kleine Untersuchungen wie Blutdruck-Kontrolle, Blutabnahme oder Wundversorgung kann Dr. Reinhard Kliem in der provisorischen Praxis im Evangelischen Gemeindehaus in Stotel erledigen. Und natürlich das Wichtigste: das Gespräch mit dem Patienten. Foto: Hansen
Andere Männer in seinem Alter buddeln im Garten, unternehmen Fahrradtouren oder gehen mit ihren Frauen auf Kreuzfahrt. Dr. Reinhard Kliem (76) arbeitet lieber. In seinem alten Beruf, als Landarzt. Weil er seinen Job liebt. Und weil Not am Mann ist.
Loxstedt. Manchmal braucht es nicht viel, um Menschen zu helfen. Einen Raum, ein paar Trennwände, einen Schreibtisch, eine Liege. Und einen PC natürlich. Mit wenigen Handgriffen verwandeln Dr. Reinhard Kliem und seine Helferin Kerstin Jansen-Schmidt das Besprechungszimmer im Gemeindehaus der Stoteler Kirche in eine provisorische Arztpraxis. Jeden Montag machen sie das, seit Anfang März. Um den Stotelern, die seit Dezember keine Arztpraxis mehr im Ort haben, eine Anlaufstelle zu bieten.
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„Schlimm genug, dass die Apotheke weg ist“
Die Patienten freuen sich. Bernd Brexendorf zum Beispiel. Er sitzt an diesem Morgen im Flur des Gemeindehauses, der montags auch als Wartezimmer fungiert, und strahlt. „Schön, dass wir hier in Stotel wieder eine medizinische Versorgung haben“, sagt der 65-Jährige, „dass die Apotheke weg ist, ist schon schlimm genug“. Anita Gajewi, die als Nächste dran, ist noch einige Jahre älter. Auch sie findet die Pop-Up-Praxis „wunderbar“. „Ich wohne in Stotel und habe kein Auto“, erzählt sie, „ich bin froh, dass ich jetzt nicht immer nach Loxstedt muss“.
Auf die Idee mit der Außenstelle in Stotel ist Reinhard Kliems Sohn Philipp gekommen. Der betreibt eine Arztpraxis in Loxstedt, die – nachdem zuletzt nicht nur in Stotel, sondern auch in Schiffdorf und Beverstedt Arztpraxen geschlossen wurden – ziemlich überlaufen ist. Um sie zu entlasten und um Stotel besser zu versorgen, hat er seinen Vater gefragt, ob er nicht vor Ort aushelfen will. Er musste nicht lange bitten. „Ich bin mit Leib und Seele Landarzt. Ich mache das sehr gerne“, sagt Reinhard Kliem und lächelt.
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Einen richtigen Ruhestand kennt Reinhard Kliem nicht
So richtig zur Ruhe gesetzt hat sich der 76-Jährige ohnehin nie. Die Praxis in Loxstedt hat er 2011 abgegeben, weil sein Sohn mit der Facharzt-Ausbildung war und sie übernehmen wollte, erzählt er. Weitergearbeitet hat Kliem trotzdem – er war bis 2015 noch als Notarzt unterwegs und ist heute als Arzt norddeutschlandweit als Begleitung im Einsatz, wenn abgelehnte Asylbewerber in ihr Heimatland abgeschoben werden.
Das Landarzt-Dasein schätzt er aber besonders. Als Hausarzt habe man nun mal einen besonders engen Draht zu den Patienten, „das ist das, was richtig Freude bereitet“, gesteht er. Das sehen die Patienten offenbar ähnlich. Anita Gajewi, die ältere Dame im Wartezimmer, ist seit 40 Jahren bei den Kliems in Behandlung, erst beim Vater, dann beim Sohn.
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„Der Doktor hat mir schon früher sehr geholfen“
Sie freut sich sehr, wieder ihrem alten Arzt gegenüberzusitzen. „Der Doktor“, sagt sie leise, „hat mir sehr geholfen, als mein Mann damals verunglückt ist“. Viele alte Patienten freuten sich über das Wiedersehen mit dem Arzt. „Eine Patientin war so begeistert, dass sie gleich zu ihrer Nachbarin gelaufen ist und gesagt hat, ‚Du, der Alte ist wieder da. Da musst Du unbedingt hin‘“, erzählt Kliem.
Seine Helferin muss schmunzeln. Die beiden wirken wie ein eingespieltes Team. Kein Wunder, auch sie kennen sich schon sehr lange. Kerstin Jansen-Schmidt hat als Schülerin Kliems Kinder gehütet, wenn der Arzt mit seiner Frau ausgehen wollte, hat dann bei ihm die Lehre als Arzthelferin absolviert und ist nach Kinder-Pause und Pflege-Job schon vor Jahren in die Praxis zurückgekehrt. „Als Philipp mich gefragt hat, ob ich das hier machen möchte, hab ich sofort zugesagt“, strahlt sie. „Weil dieses Angebot einfach eine tolle Sache ist.“