TWo im Kreis Stade die meisten Menschen überschuldet sind

Wie habe sich Inflation und Zinsanstieg auf die Verschuldung von Bürgern ausgewirkt? Foto: Hannes P. Albert
Etwa jeder zwölfte Erwachsene in Deutschland ist überschuldet. Im Landkreis Stade sieht es nur geringfügig besser aus. Doch es gibt große Unterschiede in den Kommunen und Ortschaften. Hier sind die Sorgen im Kreis am größten und geringsten.
Landkreis. Erstmals seit 2018 ist die Anzahl der überschuldeten Bundesbürger nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Creditreform wieder gestiegen. Es war zwar nur ein minimales Plus von 17.000 Menschen auf 5,9 Millionen und damit einen Anteil von 8,51 Prozent der Erwachsenen, wie aus dem „Schuldneratlas 2023“ hervorging. Nach Lesart der Creditreform-Experten ist das aber nur ein Vorbote von einem stärkeren Anstieg im kommenden Jahr. In die Statistik zählen Bürger, die überschuldet sind, das heißt ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können.
Der Landkreis Stade kommt auf eine Schuldnerquote von 7,42 Prozent. Damit liegt der Kreis unter dem bundesschnitt sowie auf Platz 188 aller 400 Kreise und Städte. Im Landkreis ist die Quote trotz aller Corona-, Inflations- und Arbeitsmarktsorgen der vergangenen Jahre zum vierten Mal in Folge positiv. Das heißt es gibt im Vergleich weniger in die Schulden geratenen Bürger.
Landkreis Stade (Schuldnerquote):
- 2023: 7,42 Prozent
- 2022: 7,64 Prozent
- 2021: 8,02 Prozent
- 2020: 9,22 Prozent
- 2019: 9,35 Prozent
- 2018: 9,30 Prozent
Am Ende aller Kreise und Städte steht zum wiederholten Male Bremerhaven. Mit 19,0 Prozent haben rund 17.600 Einwohner nachweislich Probleme damit, ihren Zahlungsaufforderungen nachzukommen.
Schuldner-Atlas: Nordkreis und Hansestadt Stade vorn
Schuldner-Hochburg im Landkreis ist laut Creditreform-Studie der Norden sowie die Hansestadt Stade. Gewertet wird nach Postleitzahlen, sodass es etwa für Stade unterschiedliche Schuldner-Quoten gibt.
Demnach kommt Freiburg an der Elbe (Samtgemeinde Nordkehdingen) mit einer Quote von 12,97 Prozent auf den höchsten Wert, gefolgt von Stade. In der Hansestadt ist die Schuldnerbilanz im Innenstadtbereich höher als in den Ortschaften rund ums Stadtzentrum. So kommt etwa Bützfleth auf eine Quote von 9,38 Prozent, während Stade unter der Postleitzahl 21682 eine Quote von 10,43 Prozent erfüllt, unter 21680 (PZ) sogar den zweithöchsten Wert von 11,78 Prozent. Zum Vergleich: In Buxtehude gibt es deutlich weniger Schuldner. Dort wird eine Quote von 7,32 Prozent erreicht. In Balje (ebenfalls SG Nordkehdingen) sind 10,11 Prozent der Einwohner überschuldet.

Von Grün bis Rot: Die Schuldner-Quoten im Landkreis Stade. Foto: mychart.com/Microm
Das Klischee der sparsamen Altländer wirkt dagegen laut Auflistung der Schuldner-Quoten überholt. Sowohl Steinkirchen, Guderhandviertel, Grünendeich und Mittelnkirchen (alle 5,9%) als auch Jork (5,37%) können nicht mit der Stader Geest mithalten. Im Gegenteil: Das Altländer Sorgenkind heißt Hollern-Twielenfleth und erreicht eine Schuldner-Quote von 7,57 Prozent.
Die geringste Überschuldung gibt es demnach in Sauensiek mit 2,7 Prozent, gefolgt von Beckdorf (3,35%) und Apensen (3,8%). Einzig Kutenholz stellt einen Ausreißer dar (7,36%).
Die Tabelle der Schuldner-Quote im Landkreis Stade (in Prozent):
- Freiburg 12,97
- Stade (Zentrum/21680) 11,78
- Stade (Zentrum/21682) 10,43
- Balje 10,11
- Stade-Bützfleth, -Haddorf beide 9,38
- Drochtersen 8,61
- Wischhafen 7,97
- Burweg, Himmelpforten, Düdenbüttel alle 7,92
- Hollern-Twielenfleth 7,57
- Kutenholz 7,36
- Buxtehude 7,32
- Großenwörden 7,05
- Horneburg, Bliedersdorf, Nottensdorf, Neuenkirchen alle 7,0
- Oldendorf, Kranenburg, Heinbockel alle 6,87
- Oederquart 6,83
- Krummendeich, Hammah beide 6,53
- Stade-Wiepenkathen, -Ottenbeck, -Hagen alle 6,03
- Steinkirchen, Guderhandviertel, Grünendeich, Mittelnkirchen alle 5,9
- Estorf 5,88
- Ahlerstedt 5,79
- Harsefeld, Brest, Bargstedt alle 5,47
- Jork, 5,37
- Fredenbeck 5,11
- Engelschoff 4,28
- Apensen 3,8
- Beckdorf 3,35
- Sauensiek 2,7
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Experten: Überschuldung wird zunhemen
„Es wird mehr Überschuldungen geben“, sagte der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch.
Für seinen „Schuldneratlas“ wertet Creditreform seit 2004 anonymisierte Daten aus amtlichen Registern, Online-Händlern und anderen Quellen aus.
Jahrelang war es in der Statistik runtergegangen. In Coronazeiten wurden die Menschen sparsamer und gerieten auch deshalb seltener in die Schuldenfalle, weil es weniger Möglichkeiten zum Geldausgeben gab. Eine Rolle spielten auch niedrige Zinsen und staatliche Hilfen, mit denen Firmen gestützt wurden und Jobs erhalten blieben.
Inzwischen sieht die Lage anders aus: Die konjunkturellen Aussichten sind düster, die Arbeitslosenzahlen steigen und die Zinsen ziehen an. Wer zum Beispiel seine Wohnung abbezahlt und dafür einen neuen Kredit braucht, muss nun viel tiefer in die Tasche greifen als zuvor. Hinzu kommt, dass Lebenshaltungskosten weiterhin hoch sind. „Es ist der Krisen zu viel und der Durchschlag auf die Verbraucher ist da“, sagte Wirtschaftsforscher Hantzsch.
Überschuldung bei Unter-30-Jährigen nimmt zu
Der Schuldenatlas gab zudem Einblick in die Gründe dafür, dass Menschen finanziell aus dem Gleichgewicht geraten. In 19 Prozent der Fälle liegt es an Arbeitslosigkeit, in 18 Prozent an einer Erkrankung, einer Sucht oder einem Unfall. Auch Trennung vom Ehepartner, eine gescheiterte Selbstständigkeit und eine unwirtschaftliche Haushaltsführung sind entscheidende Faktoren.
Bei einem Blick auf die Altersgruppen fällt auf, dass sich das Problem der Überschuldung bei den Unter-30-Jährigen verschärft hat. Das liegt auch an einer recht neuen Form von Ratenkrediten von Online-Zahlungsdienstleistern, die mit dem Slogan „Buy now pay later“ (Kauf jetzt, zahle später) besonders unter jungen Leuten Anklang finden.
Konjunkturforscher Rainer Bovelet sieht das als Problem. „Die Zahlungen werden erst in einem halben oder ganzen Jahr fällig - da kann es passieren, dass die Leute den Überblick verlieren.“ Zehn Jahre lang hatte es keinen Überschuldungsanstieg in der Unter-30-Altersgruppe gegeben, nun zog die Zahl wieder an.
Unterdessen berichtete die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung von deutlich steigenden Anfragen von Menschen, die mit Schulden kämpfen.
Das sagt die Verbraucherzentrale zum Schuldner-Report
Die Prognose von Creditreform, dass sich das Problem verschärfen werde, sehe man mit Sorge. „Die gemeinnützigen Sozialen Beratungsstellen arbeiten häufig seit Monaten am Limit“, sagte Geschäftsführerin Ines Moers. Wegen der hohen Nachfrage seien die Wartezeiten bei den Beratungsstellen lang. Die staatlich anerkannten und kostenfrei zugänglichen Beratungsangebote sollten „massiv ausgebaut werden“, forderte sie.
Verbraucherschützer setzen sich für einen besseren Schutz der Menschen bei der Kreditvergabe ein, damit diese sich gar nicht erst in den Schuldensog geraten. „Ein effektiver Schutz vor Überschuldung kann nur gelingen, wenn die Kreditgeber das für die Rückzahlung zur Verfügung stehende Einkommen bei der Kreditwürdigkeitsprüfung zwingend erfassen müssen“, sagte Dorothea Mohn vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und wertete die „Buy now pay later“-Angebote ebenfalls als Problem. „Hier muss die Bundesregierung gesetzlich nachschärfen.“
Pro-Kopf-Einkommen
Kaufkraft: Bürger im Kreis Stade reicher als Hamburger
Die Creditreform-Experten sind sich zwar sicher, dass die Zahl der Überschuldungen im kommenden Jahr anziehen wird, eine Zahlen-Schätzung wollten sie aber nicht machen. 2022 hatten sie ziemlich daneben gelegen: Sie hatten schon damals eine Zunahme prognostiziert und für 2023 ein Plus von 600.000 als „nicht unrealistisch“ bezeichnet.
Nun sind es nur 17.000 geworden. „Wir haben deutlich mehr erwartet“, räumte Wirtschaftsforscher Hantzsch ein. Vor einem Jahr habe eine Energiemangellage gedroht und man habe extrem hohe Strom- und Gas-Kosten befürchtet. Dank staatlicher Stützungsmaßnahmen habe sich die Situation aber doch nicht so schlimm entwickelt.
Außerdem hätten mehr Bürger finanziell vernünftig agiert als angenommen. „Viele Verbraucher sagen sich, in solch unsicheren Zeiten werden weder das Haus oder Wohnung gekauft, noch das Auto gewechselt oder größere Konsumausgaben getätigt - man hält sich zurück, weil man eben nicht weiß, was in der Zukunft kommt.“
In das pessimistische Bild, das Creditreform zeichnete, passte auch das Ergebnis einer ebenfalls am Mittwoch veröffentlichten Umfrage der Auskunftei CRIF. 39 Prozent der Bundesbürger rechnen im kommenden Jahr damit, dass ihnen ein geringeres Monatsbudget zur Verfügung stehen wird. 16 Prozent der Befragten gaben an, auf neue Kredite angewiesen zu sein, um über die Runden zu kommen. (dpa/st)