T100 Jahre: Was die Schützengilde Steinkirchen besonders macht

Heinrich Garrn, Thomas Schnell und Jürgen Stechmann sind im Schießstand in Steinkirchen heimisch. Foto: Thies Meyer
Die 100-jährige Geschichte der Schützengilde Steinkirchen ist eng mit der des Alten Landes verwurzelt. Drei Schützen erzählen von prägenden Momenten.
Steinkirchen. Sieben Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs: Die Bürger Steinkirchens wollten in einer Zeit des Umbruchs „wieder etwas ins Leben rufen“, sagt Heinrich Garrn, ehemaliger Vorsitzender.
Bauern, Gastwirte, Handwerker, Kaufleute, Mühlenbesitzer, Schuhmachermeister oder Zahnärzte - sie alle waren Freunde des friedlichen Schießsports. Besonders Gastwirt Claus Moje und Bauer Carl Holst brannten für die Gründung.

Die Schützengilde trifft sich 1930 bei Schützenkönig Johannes Stechmann. Foto: Verein
15 Bürger gründeten am 9. Mai 1925 die Schützengilde Steinkirchen und Umgebung e.V. „Mein Großvater Johannes war Gründungsmitglied“, sagt Jürgen Stechmann, der 3. Vorsitzender der Gilde ist und im Sportausschuss sitzt.
Das ist die Krippe der Gründung
Vor 100 Jahren inserierten die Bürger in der Altländer Zeitung ihre Gründungsidee, um die Steinkirchener davon zu begeistern. Wo heute in der Bürgerei die Volksbank steht, lud damals Gastwirt Moje Menschen in sein Lokal. Der Mitgründer plante, es in einen Schützenhof zu verwandeln. Das Problem: die Geldfrage.

Mit den Königsscheiben kann sich jeder Schützenkönig in der Schützenhalle verewigen. Foto: Thies Meyer
Mit Anteilsscheinen sammelte die Gilde Geld im Alten Land. „Das war Wahnsinn, was da zusammengekommen ist“, sagt Garrn. Mit 4325 Reichsmark finanzierten die Steinkirchener den ersten Schießstand. Bürger und Unternehmen spendeten von 10 bis 1000 Reichsmark - am meisten der Bierverleger Staschull aus Buxtehude.
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Steinkirchen ist Nachzügler - aber auch Vorreiter
Eine wichtige Unterscheidung: Schützengilde und -verein sind verschieden. „Die meisten heißen Schützenvereine, aber die Gilden bestanden nur aus älteren Männern“, sagt Garrn. Frauen seien lange Zeit „unter ferner liefen“ gewesen.
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Gilden, eine Art Genossenschaft, gründeten sich erstmals im Mittelalter. Ihr Zweck: gemeinsame Interessen zu schützen und zu fördern. Schützengilden wahren insbesondere ihre Traditionen und Bräuche. Schützenvereinen ist der Sport heiliger, als streng nach ihren Traditionen zu leben - hier zählt der Schießsport mehr.

Der Spielmannszug auf dem Alten Marktplatz 1952. Foto: Verein
In der Region gab es seit der Frühen Neuzeit Schützengilden in Buxtehude (1539), Freiburg (1598) oder Estebrügge (1612). Wie eine Schützengilde organisiert ist, schauten sich die Steinkirchener Schützen dort ab.
Am 24. und 25. August 1925 kürte sich Jakob Daberhahl zum ersten Schützenkönig. 100 Jahre später ist es am zweiten Augustwochenende das 90. Schützenfest - denn der Zweite Weltkrieg verhinderte ein Schützenfest von 1940 bis 1948. 1940 wurde lediglich ein Schützenkönig - Heinrich Detje - ausgeschossen, ein Fest gab es nicht. Detje starb im Krieg.
Nach acht Jahren Wartezeit und erst vier Jahre nach der deutschen Kapitulation veranstaltete die Gilde wieder ein Schützenfest. 2020 und 2021 nahm die Corona-Pandemie den Schützen ihren Jahreshöhepunkt.

Vor rund 90 Jahren: Zum Kinderschützenfest bekamen die Mädchen oft ein neues Kleid. Mit Blumenschmuck in den Haaren und Blumenkränzen liefen sie bei den Umzügen durch Steinkirchen mit. Foto: Verein
Männer dominierten lange Zeit die Gilde, doch 1961 geschah Revolutionäres: Eine Damenabteilung gründete sich. Stechmann sagt: „Wir waren da sehr früh dran.“ Steinkirchen feierte Ilse Mohr als erste Schützenkönigin. Heute sind 150 der 450 Mitglieder - also ein Drittel - der Steinkirchener Schützen weiblich.
Das geht nur im Alten Land
Heinrich Garrn kennt so einige Anekdoten aus der Vergangenheit: Als Walter Cohrs, der einst ein Hotel an der Elbe betrieb, 1934 Schützenkönig wurde, schipperten 130 Schützen beim nächsten Fest lüheabwärts vom Steinkirchener Hafen mit einem Obstkran zum Königsfrühstück. Drei Jahre später ging es in die andere Richtung: lüheaufwärts von Stein- nach Mittelnkirchen zu König Emil Garrn.

Der Schießstand Steinkirchen wurde 1996 und 1997 abgerissen und neu aufgebaut. Foto: Verein
Früher feuerten die Schützen nicht nur auf Scheiben, sondern auch auf Vögel. Sie schossen „Spreen“ (Stare), die in den Obstbäumen saßen und den Obstbauern die Ernte wegfraßen. Auf einer alten Schützenfahne steht ihr Stolz: „Wi Schützen ut Olland, wi hebbt n' faste Hand. Wovon? Möchs du girn weten? Dat kummt von' Spreenscheeten.“

Eine Fahne erinnert an das Schießen von Spreen. Die Schützen schossen früher Vögel in den Kirschbäumen, die den Obstbauern im Alten Land die Ernte vermiesten. Foto: Thies Meyer
Besondere Momente für Garrn, Stechmann und Schnell
Jubiläum feiert auch Thomas Schnell, der 1. Vorsitzende. Seit 40 Jahren lebt er sein Hobby als Schütze in Steinkirchen. Stechmann ist 55 Jahre und Garrn 59 Jahre dabei.

Der Schützenkönig kann sich in der Schützenhalle auf einer Holzscheibe verewigen und zum Beispiel Dinge aus dem Privat- oder Berufsleben auf die Scheibe malen lassen. Ein Airbus A320 ziert die von Ralph Ebers (2011). Foto: Thies Meyer
Ein besonderer Moment für Garrn: 1997 gastierten in der Ersten Bundesliga sämtliche Schützen aus Deutschland in Steinkirchen und mehr als 300 Zuschauer. Damals war er Vorsitzender. Auch Stechmann nennt das als „absolutes Highlight“ und ergänzt: „Mein Königsjahr 2001, das behalte ich für alle Zeit in guter Erinnerung.“

Die Königsscheiben der ersten drei Schützenkönige (von rechts): Jakob Daberhahl (1925), Jacob Kolster (1926) und Adolf Wahlen (1927). Foto: Meyer
Für Schnell war es auch etwas Einzigartiges, den Schützenthron zu erklimmen. Er schätzt die vielen Momente, in denen die Schützen früher „viel in Eigenleistung“ erbaut haben. Das sei heutzutage nicht selbstverständlich: „Damals waren die Mitglieder Feuer und Flamme, anzupacken.“

Die Königsscheibe von Heinrich Garrn lässt keinen Zweifel, woher der Schützenkönig von 2006 kommt und was er liebt: das Alte Land. Foto: Meyer
Eine Tradition der Gilde sind die Königsscheiben in der Schützenhalle. Sie zeigen, womit sich der König verbunden fühlt. Garrns Holzscheibe von 2003 ist mit einem Altländer Fachwerkhaus und der Hogendiekbrücke bemalt. Stechmann entschied sich wegen seines Königsjahres 2001 für eine Ein-Euro-Münze, Schnell (2006) für ein Spielmannszugmotiv mit Lyra, Pauke und Trommel.
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