TAls die Kaiserin für eine Altländer Braut schwärmte

Altländer Jahrbuch Tracht Blütenfest Museum Altes Land Jork Foto: Vasel
Die Altländer Braut begeisterte bereits 1904 die Kaiserin. Doch erst in den 1970er Jahren begann die Renaissance der Tracht. Expertin Anna Krüger sieht das Erbe in Gefahr.
Jork. Die frühere Blütenkönigin Anna Krüger ist eine Expertin für die Altländer Tracht. Im Jahrbuch hat Krüger die Renaissance der Tracht beleuchtet. Auswanderer nach Amerika gingen um 1874 in Tracht an Bord. Diese ist noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts von älteren Frauen getragen worden. Danach verschwand diese in Truhen und Schränken. Zeitgleich erwarben Museen in Stade und Altona, aber auch das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg - größtes kulturgeschichtliches Museum des deutschsprachigen Raums - um 1900 unzählige Trachten.
30.000 Besucher erleben die Wiedergeburt der Tracht
Der erste Direktor des Nationalmuseums, August von Essenwein (1831-1892), beklagte: „Wir befinden uns hier auf einem Gebiete, auf dem verhältnismäßig nur sehr wenige Originaldenkmäler erhalten sind. Alte Kleider waren nie Gegenstand besonderer Sorgfalt, und unsere Vorfahren haben sie ebenso wie wir den allgemeinen Wandelungsprozeß alles Irdischen durchmachen lassen. Nur der Zufall hat uns da und dort etwas gerettet.“

Hochzeit um 1866 in Ladekop. Die Braut trägt zur kirchlichen Trauung Schwarz, den Flunkkranz und den „Sölbern Boss‘n“. Der Bräutigam trägt bereits keine Tracht mehr. Foto: Archiv Behr
Erst ab 1970 begannen die Altländer, den Wert ihres kulturellen Erbes wiederzuentdecken. Vieles war vorher auf dem Sperrmüll oder bei Antiquitätenhändlern gelandet. Die Altländer Kulturwoche mit Volkskunst aus drei Jahrhunderten zog in fünf Wochen 30.000 Besucher in die Festhalle in Jork. Viele Bürger stellten nach einem Aufruf des jungen Vereins zur Erhaltung und Förderung Altländer Kultur um Carl Röper „kostbare und sehenswerte Kulturgüter“ als Leihgabe zur Verfügung - von Möbeln bis zur Tracht. Krüger spricht von „einer Renaissance der Tracht“. Noch im selben Jahr gründete Hinrich Behr die Altländer Trachtengruppe, 1985 verfasste er sein Standardwerk. 2013 folgte die Ausstellung „Wie meine Urgroßeltern die Tracht trugen“ im Museum. Die Wurzeln für diesen Bewusstseinswandel habe Alice Osse-Gosch bereits 1948 mit ihrem Buch „Die Altländer Tracht“ gelegt, sagt Krüger.
Mode und Tänze wie an den Königshöfen
In diesem hatte sie bereits ein Blütenfest gefordert. „Wäre es nicht wünschenswert, wenn jedes Jahr einmal, vielleicht zur Zeit der Kirschblüte, ein Heimattag eingelegt würde, an dem alle Männer und Frauen, die noch Kleider und Schmuckstücke der Vorfahren besitzen, dieselben anlegen könnten; ein Tag, der die Fest- sowie die Alltagstracht mal wieder zur Geltung brächte? Es müsste ein entzückendes Bild entstehen, an dem jung und alt ihre Freude hätten.“ Ihr Traum wurde schließlich 1982 wahr.

Altländer Trachtengruppe auf der Bühne des Blütenfestes in Jork. Foto: Vasel
Eng ist die Wiederentdeckung nicht nur mit Persönlichkeiten wie Osse-Gosch und Behr, sondern auch mit Elisabeth Lemke und Gerd Matthes verbunden. Mit dem Theaterstück „Ollanner Buurnleben“ (1955) holten sie die Altländer Tracht wieder aus der Mottenkiste.1980 gründete sich die Volkstanzgruppe Steinkirchen. Gästeführer setzen seit 1969 auf die Tracht. Dank Werbegemeinschaft und Sparkasse trägt die Blütenkönigin seit 1983/1984 Tracht.
„Dass die Altländer Tracht zum Marketingcoup taugt, war bereits zu diesem Zeitpunkt keine neue Erkenntnis“, sagt Krüger. Die stolzen und reichen Bauern tanzten und kleideten sich im 18./19. Jahrhundert wie Majestäten. Die Tracht der Frauen nahm von 1810 bis 1830 zeitverzögert Elemente des Empire-Stils auf - Jacken mit extrem hoher Taille. Um 1850 verkauften Händler am alten Steinweg den Altländerinnen Gold- und Silbertressen und Mützenbänder. Stoffe kamen aus Lyon und Leipzig. Trachten spiegelten sozialen Stand und Lebenslauf.
Als eine Kaiserin für eine Altländer Braut schwärmte
Um 1800 warben Altländer auf dem Hamburger Markt in ihrer auffälligen Tracht für ihre Waren. Die bunte Braut in der Mode um 1860 begeisterte beim ersten Norddeutschen Trachtenfest in Scheeßel die Besucher. Kaiserin Auguste Viktoria kürte die Vorläuferin der Blütenkönigin im Jahr 1904 zur schönsten Braut. Sie trug einen roten Rock, eine weiße Schürze in Kombination mit einer dunklen Jacke und den Flunkkranz mit den charakteristischen zwei Flügeln - wie heute.

Blütenkorso im Mai 2024 mit neuer und alter Blütenkönigin: Linn Schuback und Anna-Sophie Sietas (von links). Foto: Vasel
Die wiedererwachte Wertschätzung führte nicht zu einer Massenbewegung. Und während es in Süddeutschland offizielle Trachtenbeauftragte gibt und Geld in Forschung fließt, bewahren im Norden vor allem Ehrenamtliche das Erbe. Die alten Stoffe sind eine Herausforderung für Textil-Restauratoren. Krüger mahnt den Erhalt und die wissenschaftliche Erschließung des Erbes an - vorhandener Trachten, aber auch alter Fotos, Zeichnungen und Gemälde. Letztere sind heute oft die einzigen Quellen für das Tragen. Nur Trachtengruppen und Gästeführung leben Tracht. Doch diese haben Nachwuchsprobleme. Sie mahnt: Ohne Wissenschaft, Konservierung und Trachtengruppen droht der Verlust dieses Erbes.
Mehr über die Geschichte der Tracht sowie über Blütenfest und -königin steht im neuen, lesenswerten Jahrbuch des Altländer Archivs. Neu ist, dass auch der aktuelle Vortrag der Lessing-Gespräche 2024 „Information - eine Gefahr für die Demokratie?“ sowie die Liste der Bürgerpreisträger abgedruckt ist. Erhältlich ist es für 10 Euro im Museum, in der Tourist-Info und in der Drogerie Hubert.

Das Autoren-Team des Jahrbuchs des Altländer Archivs mit Bürgermeister Matthias Riel: Anna Krüger, Anna-Sophia Sietas, Dr. Kai Janofsky, Volker Groneberg und Barbara Wetegrove (von links). Foto: Vasel