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Steinkirchen

TAltländer Apfelfest: Wenn Pomologen zur letzten Rettung werden

Er lüftet das Rätsel: Pomologe Andreas Kallwitz (links) bestimmt die Äpfel, die Jürgen Michaelis und seine Enkelkinder Emma und Oskar mitgebracht haben.

Er lüftet das Rätsel: Pomologe Andreas Kallwitz (links) bestimmt die Äpfel, die Jürgen Michaelis und seine Enkelkinder Emma und Oskar mitgebracht haben. Foto: Vasel

Jürgen Michaelis setzt auf den Pomologen Andreas Kallwitz. Der Bremer soll für ihn beim Altländer Apfelfest in Steinkirchen das Rätsel seiner Äpfel lösen.

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Von Björn Vasel
Sonntag, 14.09.2025, 19:30 Uhr

Steinkirchen. Tausende strömten am Sonntag zum Altländer Apfelfest in Steinkirchen. Vor dem Dorfgemeinschaftshaus sitzen die Pomologen Michael Schulz und Andreas Kallwitz. Für viele sind die Apfelexperten die letzte Rettung. Denn viele wissen nicht mehr, welche Sorte in ihrem Garten wächst.

Auch Jürgen Michaelis nutzt die Chance. Gemeinsam mit seinen beiden Enkelkindern Emma und Oskar hat der stellvertretende Bürgermeister der Gemeinde Steinkirchen einige Äpfel im heimischen Garten gepflückt.

Prall gefüllte Aktenordner mit Fotos alter Apfelsorten

Andreas Kallwitz nimmt die Äpfel in die Hand, mit seinem Messer schneidet er einen Apfel auf. Im Kopf hat er seinen Kriterienkatalog - und einen großen Erfahrungsschatz.

Bei der Bestimmung einer Apfelsorte prüft der Pomologe nicht nur die äußere Form der Frucht, die Farbe der Schale, die Kelchgrube und das Kernhaus, sondern auch den Duft und den Geschmack. In mehreren Apfelkisten liegen prall gefüllte Aktenordner. Rund 800 alte Apfelsorten hat Kallwitz fotografiert. Beschreibungen ergänzen die Fotos der Früchte.

Pomologe löst das Geheimnis der Äpfel

Nach knapp 45 Sekunden ist er überzeugt: „Das ist der Wohlschmecker aus Vierlanden - ganz eindeutig.“ Andreas Kallwitz blickt zu seinem Mitstreiter Schulz. Der nickt.

„Das ist eine ganz leckere Sorte, sie hat einen ganz intensiven Geschmack“, sagt der unter anderem durch die TV-Sendung „buten un binnen“ bekannte Bremer, der auch im Landkreis Stade auf Apfelfesten ein gefragter Experte ist. Michaelis kann das nur bestätigen. Der Wohlschmecker aus Vierlanden ist ein sehr aromatischer Frühherbstapfel.

Der Wohlschmecker aus Vierlanden - auf einer Tafel aus Lowels Werk „Deutsche Äpfel“ von 1941.

Der Wohlschmecker aus Vierlanden - auf einer Tafel aus Lowels Werk „Deutsche Äpfel“ von 1941. Foto: Vasel

Dieser wurde 1905 erstmalig im Obstsortenverzeichnis für das Alte Land erwähnt. Die Schale der mittelgroßen, leicht kegelförmigen Apfelsorte ist karminrot marmoriert. Die Ausfärnung geht leicht ins Rosa. Sortentypisch seien die hellbraunen Rostnetze, erklärt Kallwitz. Das Fruchtfleisch ist leicht hellgelb.

Ein parfümierter Apfel?

Der Geschmack ist ausgewogen, süß und würzig. Der mild-süßsäuerliche Tafelapfel sei, so Andreas Kallwitz, sehr parfümiert. Die norddeutsche Sorte ist vor allem in und um Hamburg zu finden. Gepflückt wird der Wohlschmecker von September bis Anfang Oktober. Der Apfel ist nur kurz lagerfähig. Die Apfelsorte gilt als robust und starkwüchsig, sie liefere regelmäßige Erträge.

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Dr. Ernst-Ludwig Loewel, der langjährige Leiter der Obstbauversuchsanstalt in Jork (1925 - 1974), listete die Apfelsorte noch 1941 in seinem Standardwerk Deutsche Äpfel auf. In der Erntestatistik von 1939 tauchte der Wohlschmecker aus Vierlanden bereits nicht mehr in den Top 13 auf, die Sorte hatte einen Anteil unter einem Prozent.

Loewel lobte gleichwohl den Geschmack. Doch der Ertrag war „nicht befriedigend“, der Tafelapfel wurde „schnell mehlig“. Der Wohlschmecker stammt vermutlich vom Echte Prinzenapfel (1780) ab.

Die Tourist-Info war Anlaufpunkt vieler Ausflügler - insbesondere aus Hamburg, aber auch aus dem Elbe-Weser-Raum.

Die Tourist-Info war Anlaufpunkt vieler Ausflügler - insbesondere aus Hamburg, aber auch aus dem Elbe-Weser-Raum. Foto: Vasel

Michael Schulz liebt die alten Sorten. Die Supermarktsorten sind ihm allzu oft zu süßlich und zu weich. Auch bei den alten überzeugten nicht alle, doch er liebe säuerliche Äpfel.

Für Kallwitz und Schulz sind die alten Sorten einfach unverzichtbar. Sie seien auch mit Blick auf den Klimawandel ein wichtiger Genpool für zukünftige Züchtungen.

Mit dem Klimawandel tauchten neue Pflanzenkrankheiten auf. Und: Auch Verbraucherwünsche könnten sich ändern. Viele der Regionalsorten seien hervorragend an die lokalen Klima- und Bodenverhältnisse angepasst - in der Marsch, im Moor und auf der Geest. Sie seien Teil der kulturhistorischen Identität.

Was Pomologen tun

Die Pomologie ist die Lehre der Arten und Sorten von Obst sowie deren Bestimmung und systematischer Einteilung. Der Begriff wurde 1758 von Johann Hermann Knoop mit seinem Werk Pomologia geprägt.

Der Begriff leitet sich von dem lateinischen Begriff pomum (Baumfrucht) ab. Die Pomologen bauen auf ihre Erfahrung, es ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Kallwitz betrieb früher Techno-Clubs, dann entdeckte der Heiler seine Begeisterung für alte Sorten.

Pflanztipps beim Tag der offenen Tür im Boomgarden

Wer sich für alte Sorten interessiert, sollte sich am Sonntag, 21. September, beim Tag der offenen Tür im Boomgarden-Park von Eckart Brandt in Helmste von 11 bis 17 Uhr informieren (Bargster Karkweg). Kallwitz selbst hat auf seinen Streuobstwiesen 350 Apfel- und um die 200 Pflaumensorten gepflanzt.

Sein Tipp: Wer im Garten in der Marsch einen Apfelbaum pflanzen will, sollte nicht nur Geschmack und Aussehen, sondern auch den Boden im Blick haben. Er schätzt alte Sorten wie Juwel von Kirchwerder, Prinzenapfel, Boskoop und Horneburger Pfannkuchen.

Alle Plätze besetzt beim Auftritt der Altländer Volkstanzgruppe.

Alle Plätze besetzt beim Auftritt der Altländer Volkstanzgruppe. Foto: Vasel

Das Apfelfest in Steinkirchen zog Tausende an - aus ganz Norddeutschland. In einem Bahn-Magazin werde es als das siebtschönste Deutschlands bezeichnet, so Jürgen Hagenah von der Altländer Volkstanzgruppe.

Das Konzept: Obst, Musik, Kunst- und Genusshandwerk, Trachten und Tanz überzeugte. Regionalmanagerin Anne Rosenfeld von der Samtgemeinde Lühe war am Abend „mehr als zufrieden“.

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