Applaus bei Premiere: Kleine Jorker Bühne überzeugt mit „Der Gott des Gemetzels“

Die Kleine Jorker Bühne (KJB) überzeugt auf dem Apfelpatenhof Schuback mit „Der Gott des Gemetzels“ der Französin Yasmina Reza. Foto: Vasel
Die Kleine Jorker Bühne (KJB) hat den Theaterbegeisterten mit der schwarzen Komödie „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza einen wunderbaren Abend geschenkt. Dieser war auch eine Mahnung.
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Jork. Der Obsthof Schuback in Jork-Hinterdeich ist seit mehr als einem Jahrzehnt eine feste Spielstätte der Kleinen Jorker Bühne (KJB). Im Juni 2021 ließen die Altländer mit „Anders, was nun?“ die Corona-Zeit mit Witz, Biss und Ironie - bei hochsommerlichen Temperaturen im Schatten einer Halle - Revue passieren. In einer Kulisse aus Obstkisten hatte das Ensemble der 1981 gegründeten KJB mit Blick auf die Plantagen mit dem Shakespeare-Klassiker „Wie es euch gefällt“ beim Sommer-Open-Air 2018 dem Publikum einen wunderbaren Theaterabend geschenkt, von Donnergrollen untermalt.
Und auch bei der Premiere der rasanten, zynischen, schwarzen Komödie „Der Gott des Gemetzels“ der französischen Schriftstellerin Yasmina Reza enttäuschte das vierköpfige Ensemble die Theaterbegeisterten am Mittwochabend nicht. Um 19 Uhr trudelten die ersten Besucher ein und stärkten sich bei Wein und Käse. Die Spannung stieg.

Gegen 20 Uhr schüttete es plötzlich wie aus Eimern. Foto: Vasel
Lediglich das Wetter spielte zu Beginn des Abends nicht mit, als die Schauspieler auf die Bühne traten. Gegen 20 Uhr schüttete es plötzlich wie aus Eimern. Die Worte der Schauspieler gingen im Regen unter. Kurzerhand sprang der Gastgeber Axel Schuback auf die Bühne unter dem Dach seiner Obsthalle. Er unterbrach die Aufführung nach wenigen Minuten. Sein forsches Handeln beeindruckte offenbar auch den Altländer Wettergott. Denn nach dem Verteilen der Regencapes und dem Aufspannen der Regenschirme hörte der Regen auf - und das göttliche (Wort-)Gemetzel begann erneut. 90 Minuten lang rissen Ines Moschner, Marcel Döscher, Susanne Christgau und Philip Lawaczeck die Besucher mit ihrem ausdrucksstarken Spiel mit.
Fassade der Toleranz bröckelt schnell
Die Handlung in Kürze: Die Söhne der zwei Ehepaare haben sich auf dem Schulhof geprügelt. Der kleine Ferdinand hat seinem elfjährigen Mitschüler Bruno mit einem Stock ins Gesicht geschlagen. Dabei sind Bruno zwei Schneidezähne abgebrochen. Wie in bürgerlichen, vermeintlich zivilisierten Kreisen üblich, treffen sich die Eltern von Ferdinand und Bruno in der Wohnung des Opfers zur Aussprache. Ferdinands Eltern - der Wirtschaftsanwalt Alain Reille (Philip Lawaczeck) und seine Frau, die Vermögensberaterin Annette Reille (Susanne Christgau) - treffen auf das Ehepaar Houillé. Veronique Houillé (Ines Moschner) ist Schriftstellerin und Buchhändlerin, ihr Mann Michel Houillé (Marcel Döscher) vertreibt Haushaltswaren. Den Anspruch, den Konflikt ihrer Kinder pädagogisch und politisch korrekt lösen zu wollen, werfen sie schnell über Bord. Die Fassade der Toleranz bröckelt.
KJB überzeugt mit bitterböser Salonkomödie
Ein (bitterböses) Wort ergibt in der Salonkomödie das andere. Die Spielregeln der Zivilisation gelten nicht mehr. Die Eltern zerfleischen sich und benehmen sich wie Kinder. Die Aussprache bei Kaffee, Rum, Zigarre und Clafoutis wird zur Auseinandersetzung - und eskaliert. Annette und Alain, Michel und Veronique liegen sich (auch untereinander) in den Haaren. Annette kotzt sogar auf den Kunstbildband ihrer Gastgeberin. Wenig später wirft sie das Smartphone ihres dauertelefonierenden wichtigtuerischen Gatten in die Tulpen-Vase. Wortgefechte und Handgreiflichkeiten wechseln sich ab. Die zivilisierte Maske fällt, und das Archaische in den Seelen der Ehepaare kommt zum Vorschein. Das Pariser Wohnzimmer wird zur Steinzeit-Höhle.
Beeindruckend, wie es den vier Schauspielern unter der Regie von Katarina Mumm und Ellen Vollmer gelingt, das Bild einer bürgerlichen Gesellschaft zu zeichnen, die in einem Konfliktfall zwischen Gutmenschentum und egoistischem Konkurrenzkampf hin- und hergerissen wird. Der Gott des Gemetzels behält auf der Bühne und bei Reza die Oberhand. Der Firnis der Zivilisation ist dünn, der Applaus für die Mimen am Schluss groß.

Applaus nach der Premiere. Foto: Vasel
Alle vier Aufführung der KJB waren online schnell ausverkauft. Wer Glück hat, kann sich am Freitag, 14. Juni, und am Sonnabend, 15. Juni, jeweils 20 Uhr, eine zurückgegebene Karte vor Ort sichern.