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Wirtschaft

TKampf um Sietas-Kräne: Hamburger Behörde knickt ein

Mit Polizei und dem Segen der Kulturbehörde hatte der 17-jährige Ermiya Ciger den Abbau der alten Kräne zunächst gestoppt.

Mit Polizei und dem Segen der Kulturbehörde hatte der 17-jährige Ermiya Ciger den Abbau der alten Kräne zunächst gestoppt. Foto: Richter

Denkmalschutz-Krimi um die Wahrzeichen der Sietas-Werft: Der Demontage folgt das Einschreiten der Kulturbehörde - die am Montagabend einen Rückzieher macht. Mittendrin: ein 17-jähriger Neuenfelder.

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Von Anping Richter
Montag, 23.09.2024, 19:57 Uhr

Cranz. „Die Kräne abzubauen, das ist, als ob meiner Heimat das Herz herausgerissen wird“, sagt Ermiya Ciger. Der 17-Jährige, den seine Freunde Emir nennen, ist in der Neuenfelder Seehof-Siedlung aufgewachsen. Einen Wecker brauchte er nie, um rechtzeitig zur Schule zu kommen: Seine ganze Kindheit hindurch hat die Werksirene der nahen Sietas-Werft ihn jeden Morgen um sieben Uhr geweckt.

17-jähriger SPD-Politiker schlägt Alarm

Heute ist Ermiya Ciger Schüler der 12. Klasse des Gymnasiums Finkenwerder und Vorsitzender des SPD-Distrikts Neuenfelde. Am Donnerstag vorletzter Woche fiel ihm auf, dass Arbeiter begonnen hatten, zwei der vier hellblauen Liebherr-Portalkräne auf dem Werft-Gelände abzubauen.

An drei der vier hellblauen Kaikräne sind die Ausleger schon abgebaut worden.

An drei der vier hellblauen Kaikräne sind die Ausleger schon abgebaut worden. Foto: Richter

Ciger engagiert sich schon länger für den Erhalt der Kräne und des Wirtschaftsstandorts auf der ehemaligen Sietas-Werft in Neuenfelde. Eine Verbündete hat er in der Bürgerschaftsabgeordneten Gudrun Schittek (Grüne) aus dem Nachbarort Cranz gefunden, die er sofort verständigte.

Polizei muss Denkmalschutz vor Ort durchsetzen

Sie wandten sich an die Hamburger Kulturbehörde. Die stellte die Kräne unter Denkmalschutz. Doch die Bauleitung auf dem ehemaligen Sietas-Gelände wusste davon offenbar nichts, die Demontage ging weiter. Ciger und Schittek riefen die Polizei zur Hilfe.

„Ich habe ständig mit den Behörden telefoniert“, berichtet Ciger. Am Freitag vergangener Woche rückten dann Beamte des Polizeikommissariats 47 (Neugraben) auf dem Werksgelände an und stoppten die Abbau-Arbeiten. Doch am Sonnabend machten sich die Arbeiter erneut ans Werk. Es fehlte offenbar eine schriftliche Handhabe der Kulturbehörde.

Behörde macht überraschenden Rückzieher

Am Montag schien es zunächst, als habe sich das geändert und die Kräne seien gerettet: „Das Kran-Ensemble auf der ehemaligen Sietas-Werft, bestehend aus dem Jucho-Portalkran und den vier Liebherr-Portalkranen, ist ein seltenes Beispiel des Kranbaus der 1960er und 1970er Jahre und wurde jetzt als stadtbildprägendes Industriedenkmal unter Denkmalschutz gestellt“, teilte die Kulturbehörde offiziell mit.

Ermiya Ciger war erleichtert - bis ihn am Montagabend gegen 17 Uhr die Nachricht erreichte, dass die Kulturbehörde den Denkmalschutz wieder zurückgenommen hat. Als Grund dafür habe sie genannt, dass es bereits bindende Verträge über den Verkauf der Liebherr-Kräne gebe. Der wirtschaftliche Schaden, der durch den Denkmalschutz entstehen würde, sei so hoch, dass das Privatinteresse der Firma das öffentliche Interesse des Denkmalschutzes überwiege, so die Behörde.

„Die Kulturbehörde hat versagt“

„Jetzt den Denkmalschutz zurückzustellen, ist mit Abstand das Schlimmste, was man tun kann. Die Kulturbehörde hat versagt und uns in Neuenfelde im Stich gelassen“, sagt der junge SPD-Vorsitzende. Auch die Grüne Schittek zeigte sich von der Nachricht, die sie bei der Arbeit in ihrer Arztpraxis erreichte, enttäuscht.

Die Harburger Grünen-Fraktion hatte den Hamburger Senat zuletzt im Oktober vor einem Jahr aufgefordert, die Kräne auf dem Gelände der insolventen Werft zu erhalten und zu kaufen. Vergeblich. „Wir wollen, dass die Möglichkeiten, die die Werft bietet und der Wasserweg zur Elbe erhalten bleiben“, sagt Schittek.

Wie es mit dem gesamten Grundstück weitergeht, ist offen. Auf der 2021 untergegangenen Pella Sietas-Werft hat seither der Insolvenzverwalter Dr. Achim Ahrend das Sagen. Im Gespräch ist, dass die Stadt das etwa 20 Fußballfelder große Gelände nach einer möglichen Zwangsversteigerung übernimmt, um es an Gewerbebetriebe, darunter auch Airbus, zu verpachten.

Sietas-Werft war neun Generationen lang in Familienbesitz

Die Sietas-Werft ist im Alten Land seit 1635 nachgewiesen und war neun Generationen lang in Familienbesitz. „Wir haben hier die besten Schiffe der Welt gebaut“, sagt Ermiya Ciger, dessen Großvater einst als Gastarbeiter aus der Türkei zur Arbeit nach Neuenfelde kam.

Beim Bau von Küstenmotorschiffen, Containerschiffen und Offshore-Windkraft-Errichterschiffen gehörte die Sietas-Werft tatsächlich weltweit zu den Pionieren. Zur besten Zeit arbeiteten bei Sietas und den dazugehörigen Tochterfirmen 4000 Menschen. 2011 geriet das Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten. Der russische Betreiber Pella-Sietas übernahm, doch auch diese Firma meldete 2021 Insolvenz an.

Es gibt auf dem Gelände trotzdem Betriebe, die noch die Fahne der maritimen Industrie hochhalten. Die Este Project Service (EPS) zum Beispiel, die in den ehemaligen Hallen der Neuenfelder Maschinenfabrik ansässig ist und auf den Umschlag von Schwergut von bis zu 450 Tonnen spezialisiert ist und auch die Kräne auf dem alten Sietas-Gelände nutzt.

300 Tonnen stehen drauf, aber der Jucho wurde nachgerüstet und kann inzwischen 450 Tonnen heben.

300 Tonnen stehen drauf, aber der Jucho wurde nachgerüstet und kann inzwischen 450 Tonnen heben. Foto: Richter

Nachwuchspolitiker Ermiya Ciger sieht noch Hoffnung: „Das hier hat Zukunft - auch wenn es gerade aussieht wie ein Schrotthaufen.“ Er und Schittek wollen weiter für den Erhalt des maritimen Wirtschaftsstandorts kämpfen.

Eines scheinen sie geschafft zu haben: Der große Jucho-Portalkran, ein Stahlkoloss mit einer Hebekapazität von bis zu 450 Tonnen und weithin sichtbare Landmarke der alten Neuenfelder Werft, bleibt laut Kulturbehörde geschützt.

Nichtsdestotrotz: Am Montagabend machten sich die Arbeiter wieder an den hellblauen Liebherr-Kränen zu schaffen. Die Demontage geht weiter.

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