TMaschendraht und freilaufender Hund: Sie schlichten Nachbarschafts-Streit

Thomas Lindner schlichtet seit zehn Jahren als Schiedsmann in Jork Nachbarschaftsstreitigkeiten. Foto: Dammer
Zehn Jahre lang haben Thomas Lindner und Claus-Peter Witt in Jork Streit geschlichtet. Jetzt wollen beide in den Ruhestand gehen und die Gemeinde sucht zwei neue Schlichter.
Jork. Der Maschendrahtzaun ist ein ästhetisches Verbrechen, der Löwenzahn neben dem gepflegten Rasen des Nachbarn ein natürlicher Feind und der freilaufende Hund eine wandelnde Provokation. Seit zehn Jahren finden Thomas Lindner und Claus-Peter Witt als Schiedsleute in Jork Lösungen für solche Probleme. Jetzt wollen beide in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Das stellt die Gemeinde vor eine große Herausforderung: Gesucht werden zwei neue Schiedsleute, die dieses wichtige Amt weiterführen.
Menschenkenntnis und ein gewisses juristisches Hintergrundwissen
Thomas Lindner (73) spürt, dass die Menschen angesichts der aktuellen Weltlage nervöser und dünnhäutiger werden. Als ehrenamtlicher Schiedsmann in Jork hat er in den vergangenen zehn Jahren viele Einsätze erlebt. Lindner betont, dass vor allem gute kommunikative Fähigkeiten, Menschenkenntnis und ein gewisses juristisches Hintergrundwissen notwendig sind, um in diesem Ehrenamt erfolgreich zu sein.
Mit seinem beruflichen Hintergrund als Coach und Kommunikationstrainer für Führungskräfte bei der Sparkasse brachte er bereits wichtiges Know-how mit, als er Schiedsmann wurde. Doch ein großer Teil seines Erfolges liegt in seiner Persönlichkeit begründet: Lindner kann zuhören, die Fälle aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und sich mit seiner eigenen Meinung zurückhalten.
In einem typischen Jahr haben Thomas Lindner und sein Stellvertreter vier bis sechs Fälle zu einem Schiedsverfahren geführt. Die Anfragen waren aber höher. Vieles, so Lindner, habe er bereits im Vorfeld und vor Ort mit den Streitparteien klären können, sozusagen zwischen Tür und Angel.
Amt als eine tragende Säule der Gesellschaft
„Das Schiedsamt ist eine tragende Säule unserer Gesellschaft“, bestätigt Bürgermeister Matthias Riel. Schließlich verhindere das Schiedsamt dauerhafte Zerwürfnisse in der Nachbarschaft und entlaste die Gerichte. Für die Gemeinde Jork sei es daher keine Frage, die Schiedsleute in ihrem Ehrenamt zu unterstützen.
Das bestätigt auch Thomas Lindner: „Wir sind keine Einzelkämpfer wie in manch anderer Gemeinde.“ Die Unterstützung durch die Verwaltung sei großartig. Sei es durch Räume und Bürotechnik, die die Gemeinde für die Verfahren zur Verfügung stellt, oder durch die Anmeldung zur Fortbildung der Schiedsmänner. In Jork übten bisher nur Männer dieses Ehrenamt aus.
Oft geht es um klassischen Nachbarschaftsstreit
Oft gehe es bei den Schiedsverfahren um klassische Nachbarschaftsstreitigkeiten, erzählt Lindner, aber es gebe auch ungewöhnliche Fälle. Unvergesslich sei der Fall einer Frau, die sich über die Hecke ihres Nachbarn beschwerte, die nicht gestutzt werden könne. Sie sähe schrecklich aus. Beim Ortstermin stellte sich dann heraus, dass der Nachbar die Hecke ganz entfernen wollte und sie deshalb kahl geschnitten hatte. Allerdings hatte er es nicht geschafft, auch die Baumstümpfe zu entfernen. „Damit war der Fall eigentlich schon erledigt“, schmunzelt Lindner.
Die Eigentums- und Rechtsverhältnisse recherchieren
Schlichtungsverfahren, so Thomas Lindner, beginnen immer damit, dass sich der Schiedsmann den Sachverhalt genau anschaut, oft vor Ort ist und die Eigentums- und Rechtsverhältnisse recherchiert. Nach dem Antrag auf Schlichtung wird ein Termin anberaumt, zu dem beide Parteien eingeladen werden. Ist eine der Streitparteien nicht zur Teilnahme bereit, wird eine Erfolglosigkeitsbescheinigung ausgestellt und der Fall kann vor Gericht gebracht werden.
In der Schlichtungsverhandlung sitzen sich die beiden Streitparteien gegenüber, während die Schiedsperson in der Mitte vermittelt. Ziel ist es, eine Einigung zu finden, mit der beide Seiten zufrieden sind. Wichtig für Lindner: „Wir sind keine Richter. Es gibt kein Urteil, und die Lösungen sollen möglichst von beiden Parteien gemeinsam gefunden werden“.
Ehrenamt: Die finanzielle Entschädigung ist gering
Trotz mancher Herausforderungen liebt Thomas Lindner sein Ehrenamt. Die finanzielle Entschädigung ist gering - das Schiedsamt ist ein Ehrenamt und es gibt nur eine Aufwandsentschädigung. Aber Lindner fand Befriedigung darin, Menschen zu helfen und Streitigkeiten ohne Klage zu schlichten. Oft hat er sich gefragt, warum die Leute nicht einfach miteinander reden, wenn es ein Problem gibt, aber genau dafür ist das Schiedsamt da: Brücken bauen, wo Kommunikation fehlt.
Das Schiedsamt
Das Schiedsamt hat eine lange Tradition und wurde 1827 im Königreich Preußen eingeführt. Heute gibt es in Deutschland rund 8.000 Schiedspersonen, die kleinere straf- und zivilrechtliche Streitigkeiten schlichten. Sie treffen sich mit den Parteien auf neutralem Boden, um Lösungen wie Schmerzensgeld oder Vergleiche zu erarbeiten. Schiedspersonen entscheiden nicht über Recht und Unrecht, sondern handeln Vergleiche aus.
In Deutschland landen jährlich rund 300.000 Nachbarschaftsstreitigkeiten vor Gericht. Um die Gerichte zu entlasten, müssen Privatklagedelikte wie Hausfriedensbruch oder Beleidigung zunächst vor dem Schiedsamt verhandelt werden.
Die Anforderungen an Schiedspersonen sind relativ überschaubar: Bewerber müssen je nach Bundesland mindestens 25 oder 30 Jahre alt sein und dürfen teilweise das 70. Lebensjahr nicht überschritten haben. Sie dürfen nicht vorbestraft sein, müssen im jeweiligen Bezirk wohnen und dürfen nicht unter Betreuung stehen. Außerdem müssen sich Schiedspersonen in Bereichen wie Strafrecht oder Mediation fortbilden.