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Gleichstellungsbeauftragte

T„Prostitution ist Missbrauch“: So kämpft eine Jorker Juristin für Opfer

Sinur Aziz verfolgt die aktuelle Prostitutions-Debatte aufmerksam. Den Rechtsstaat sieht sie in der Pflicht, die Würde der Menschen zu schützen.

Sinur Aziz verfolgt die aktuelle Prostitutions-Debatte aufmerksam. Den Rechtsstaat sieht sie in der Pflicht, die Würde der Menschen zu schützen. Foto: Buchmann

Wie wollen wir mit Prostitution umgehen? Sinur Aziz benennt klar, wo der Rechtsstaat nachbessern muss - und wieso ein Blick von einem Balkon in Österreich sie nachhaltig schockierte.

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Von Steffen Buchmann
Freitag, 05.12.2025, 06:41 Uhr

Jork. Sinur Aziz spricht Klartext. Seit sechs Jahren engagiert sich die 46-jährige Juristin als ehrenamtliche Gleichstellungsbeauftragte in der Gemeinde Jork. Ein persönliches Herzensthema bringt sie seitdem immer wieder auf den Tisch: Den Kampf gegen sexualisierte Gewalt. Sinur Aziz sagt: „Prostitution ist Missbrauch“.

Durch Vorträge, Ausstellungen und Aktionen will sie die Menschen für das Thema sensibilisieren, zum Hinterfragen und letztlich zum Handeln anregen. Denn für Sinur Aziz steht in der Debatte das Wertvollste auf dem Spiel, was jeder Mensch besitzt: seine Würde.

Sinur Aziz verfolgt die aktuelle Debatte mit Argusaugen. Als erfahrene Juristin für Internationales Recht und Rechtsvergleichung weiß sie genau, wo sich in den verklausulierten Arbeitspapieren mögliche Fallstricke verbergen.

Rechtsstaat nutzt „Zuhältersprache“

„Es fängt bereits bei der Sprache an“, sagt Aziz. Immer wieder lese und höre sie von „Sexkauf“. Das sei Unsinn. „Denn wenn ich Sex kaufe“, erklärt sie, „habe ich einen Kaufvertrag - und da gibt es eine Ware, die man übergeben kann.“ Sex könne man aber nicht körperlich übergeben, er sei ein Bedürfnis, ein Erlebnis und ein Teil der Individualität. Auch den Begriff „Sexarbeit“ lehnt Aziz strikt ab.

Trotzdem nutze sogar der Rechtsstaat diese „Zuhältersprache“, wenn er im Prostitutions-Schutzgesetz Sex als Dienstleistung definiert. „Das ist aber kein Dienstleistungsbegriff wie im Bürgerlichen Gesetzbuch“, sagt Aziz. So werde ein einseitiger Dienstleistungsvertrag vorgetäuscht, Arbeitgeberrechte würden ausgeklammert.

Bereits die römischen Vertragstheoriker hätten es abgelehnt, Menschen als Handelsware einzustufen. Auch ein Einverständnis ändere daran nicht, dass Menschenwürde nicht relativierbar sei. „Darum sollte sich der Gesetzgeber davor hüten, solche Wörter auch in die Gesetze zu schreiben“, betont sie. Denn dann definiere das Milieu unsere Sprache. Aziz spricht deshalb auch von Nutzern anstatt Käufern oder Freiern.

Geprägt von Logik und Goethe

Die Art und Weise, wie Sinur Aziz argumentiert, fußt auf einer zentralen Lehre: der Logik. Und die prägte sie schon von Kindesbein an. Geboren in Erbil im kurdischen Teil des Iraks, wuchs Aziz in einer „materiell wie intellektuell privilegierten Familie“ auf, wie sie selbst sagt: Der Vater ist Professor für theoretische Physik, die Mutter Mathematikerin. Im Elternhaus diskutierten Physiker, Mathematiker, Juristen, Künstler und Theologen miteinander, erinnert sie sich. Logik und gesellschaftspolitische Verantwortung prägten den Umgang und die Gespräche miteinander.

„Ein Platz ohne Gewalt“: Mit verschiedenen Aktionen will Sinur Aziz Menschen für das Thema sexualisierte Gewalt sensibilisieren.

„Ein Platz ohne Gewalt“: Mit verschiedenen Aktionen will Sinur Aziz Menschen für das Thema sexualisierte Gewalt sensibilisieren. Foto: Buchmann

1991 floh die Familie der damals Zwölfjährigen vor den Tumulten des Zweiten Golfkrieges über die Türkei nach Österreich. Während ihrer Schulzeit habe sich Aziz‘ Vater dafür eingesetzt, dass seine Tochter und andere Migrantenkinder altersgerecht eingeschult werden.

„Am Anfang fand ich die Sprache nur nervtötend und unsympathisch“, sagt Aziz. Ihre Liebe zur deutschen Sprache entdeckte sie durch die Literatur, genauer durch Goethes „Der Zauberlehrling“. Der Rhythmus habe sie fasziniert, weshalb sie gemeinsam mit einer Freundin begeistert das Gedicht rezitierte - und das, obwohl sie nur ein paar Sätze Deutsch sprach.

Blick auf das Bordell im Hinterhof

Dass sich Sinur Aziz heute so vehement gegen sexualisierte Gewalt positioniert, rührt auch aus einem einschneidenden Erlebnis während ihres Studiums her. Als damalige Jura-Studentin sei sie oft zwischen Graz und Linz gependelt, da ihr Ehemann dort promovierte. Von ihrem Arbeitsplatz in der Küche habe sie in den Hinterhof eines Bordells schauen können. Es sei ein tristes Bild gewesen, von Frauen beim Rauchen, Trinken und Kisten schleppen.

Ich war so schockiert über diese Gewalt, ich fühlte mich ohnmächtig.

Sinur Aziz, Gleichbestellungsbeauftragte der Gemeinde Jork

Aziz habe einmal eine verzweifelte Frau beim Telefonieren belauscht, die dringend Geld brauchte - „sonst geht es schlecht für sie aus“. Als selbstbewusste junge Frau wollte sie direkt aufstehen und das Geld hinüberbringen. Doch ihr Ehemann habe sie gestoppt, das sei „zu gefährlich“. Auch die Polizei sei keine Option gewesen. Sinur Aziz weiß noch genau, wie sie sich damals gefühlt hat: „Ich war so schockiert über diese Gewalt, ich fühlte mich ohnmächtig.“

Mittlerweile lebt Sinur Aziz mit ihrer Familie in Norddeutschland, weil ihr Mann in Hamburg arbeitet. Sie setzt sich dafür ein, sexualisierte Gewalt logisch zu bekämpfen - bereits ab Kindesalter. „Sexualität sollte bereits im Kindergarten altersgerecht thematisiert werden“, fordert sie. Damit Kinder Grenzüberschreitungen erkennen - und nicht Opfer von Menschenhändlern werden.

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