TVon verheerenden Sturmfluten: Neues Quast-Buch ist eine Mahnung

Herbert Quast stellt sein Buch „Die III. Meile des Alten Landes - eine geschichtsträchtige Landschaft“ bei Bundt in Neuenfelde vor. Foto: Vasel
Obstbauer Herbert Quast ist ein begnadeter Erzähler. Auch im hohen Alter setzt sich der Altländer unermüdlich für den Erhalt seiner Heimat ein. Jetzt erlaubt der 95-Jährige erschütternde Einblicke in sein Sturmflut-Tagebuch.
Neuenfelde. Der Neuenfelder lebt in und für die Marsch. Nur wer die Vergangenheit kennt, kann Zukunft gestalten - dieses geflügelte Wort ist eine der Maximen von Herbert Quast. Christa Dyroff vom Heimatverein Neuenfelde betonte bei der Vorstellung des Buchs „Die III. Meile des Alten Landes - eine geschichtsträchtige Landschaft“ in Bundts Gartenrestaurant: „Keiner hat wie Herbert Quast sein Leben so konsequent und mit viel Liebe seiner Heimat gewidmet.“ Die Freude an der Natur, dem Apfelanbau und an dem Leben in dieser Region, hätte ihm weder der Zweite Weltkrieg noch die Sturmflut von 1962 und die Airbus-Erweiterung nehmen können. Mit seinem Sammelband - herausgegeben vom Verein zum Schutz von Hamburgs Elbregion - will Herbert Quast das „Hineindenken“ in die Geschichte des Alten Landes und seiner Menschen „erleichtern“.
Erschütternder Blick ins Sturmflut-Tagebuch
So schlägt er unter anderem einen Bogen von der Cäcilienflut von 1412 über die Sturmflut von 1962 bis zur Elbvertiefung. 30.000 Menschen fanden ihren Tod bei einer der größten Naturkatastrophen des Mittelalters, das Kirchspiel Zesterfleth versank - irgendwo in der Nähe des heutigen Borstel - in den Fluten. Die Elbinsel Hahnöfersand entstand. Weitere Sturmfluten folgten 1421, 1426 und 1436. Fast 70 Jahre lang schützten keine Deiche mehr die Dritte Meile. Das Land war nahezu entvölkert, Ackerbau nicht mehr möglich. Von der „wüsten Meile“ war die Rede. In einer Urkunde des Bischofs von Hildesheim von 1482 wird schließlich berichtet, dass man „die wüste Meile (wieder)eindeiche“.

Zerstörung: Das Wasser strömt durch den Deich am 17. Februar 1962 am Neuenfelder Fährdeich bei der Sietas-Werft. Foto: Hoffmann
In seinem neuen Buch hat der 95-Jährige auch Passagen aus seinem Tagebuch veröffentlicht. Verwüstung, Verlust und Todesangst: Quast hat die verheerende Sturmflut vom 16./17. Februar 1962 im Alten Land erlebt, seine detailreichen Aufzeichnungen sind ein beeindruckendes Zeugnis. Quast: „Wir haben erfahren, wie viel Unglück und Leid eine Sturmflut in nur wenigen Stunden zu bringen vermag. Das werden wir nie vergessen können.“
Zwölf Menschen überlebten die Sturmflut 1962 in Neuenfelde nicht, 312 verloren ihr Leben allein in Hamburg. Ihr Tod ist für ihn auch Mahnung für kommende Generationen. Quast nimmt die Leser mit, wie in einem Kinofilm „erleben“ sie die Katastrophe - aus dem Blickwinkel der Familie, eingebettet in das große Ganze. Mächtige Wellen rollen heran, das Wasser schwappt über den Deich. Der Hof versinkt in den Fluten. Das Vieh brüllt und tobt unablässig. „Wir haben keine Vorstellung, wie viele Tage oder Wochen oder gar noch länger wir in dieser Wasserwüste aushalten müssen“, heißt es in seinen Notizen.
Warnung vor grenzenlosem Wachstum
Hätte die Katastrophe verhindert werden können? Quast verweist auf Mahner. Oberdeichrichter Gustav Hauschildt habe seinerzeit die Behörde wiederholt aufgefordert, Deiche zu verstärken. Menschen und Vieh hätten durch rechtzeitiges Erkennen der Gefahr gerettet werden können. Eine Lehre sollten heutige Generationen aus 1962 ziehen: Sturmflut-Risiken dürften nicht unterschätzt werden, die Elbvertiefung und die Airbus-Erweiterung ins Mühlenberger Loch sieht er kritisch: „Es ist genug.“ Immer nur auf unbegrenztes Wachstum zu setzen, führe „in eine Katastrophe“.
Quast nimmt den Leser auch mit auf eine Zeitreise - von der Ersterwähnung von Neuenfelde (Hasselwerder) im Jahr 1059 über den Zweiten Weltkrieg, von Bombennächten und bis zum Umgang mit den Kriegsgefangenen auf dem Hof, bis heute. Der Strukturwandel im Obstbau ist Thema, ebenso wie die Mechanisierung. So lässt er die Kirschenzeit - vor der Einnetzung - Revue passieren, als die Altländer mit Knallern, Schreien und Schlagern die hungrigen Spreen vertrieben.
Die gemeinsamen Anstrengungen bei Urbarmachung der fruchtbaren Marsch und Deichbau („Kampf gegen Naturgewalten“) hätten eine reiche Kulturlandschaft geschaffen. Die Marsch habe den Altländer geprägt. Quast verweist auf den US-Ethnologen Professor Aden King: „Der Deich ist der äußeren Welt zugewandt. Das trifft auch auf den Altländer zu.“ Diese seien „zu starkem Widerstand gegenüber großen politischen Einflüssen, die sie inkorporieren wollen, befähigt“.
Doch wer Quast kennt, weiß auch, dass er leidenschaftlich Klavier spielt ist. So findet sich im Buch seine Vertonung von Julius Quast‘ Kleigräber-Leed wieder. Hinzu kommen Gedichte, Landeskunde, Anekdoten und Platt-Schnellkurs. Das empfehlenswerte Buch „Die III. Meile des Alten Landes - eine geschichtsträchtige Landschaft“, erschienen bei BdO (ISBN 9-78375-831588-6), kostet 20 Euro (159 Seiten mit Fotos und Karten). Es ist unter anderem bei Traumzeit und Blumen Fahje (Neuenfelde), im Bücherstübchen (Jork) und bei Literatur im Zimmer (Buxtehude) erhältlich.