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TAbschied von dementem Vater - Oldendorfer Familie fühlt sich alleingelassen

Fürsorglich hält Emma Schmidt die Hände ihres Vaters in ihren. Er verstarb zu Hause im Kreis seiner Familie.

Fürsorglich hält Emma Schmidt die Hände ihres Vaters in ihren. Er verstarb zu Hause im Kreis seiner Familie. Foto: Klempow

Wenn Emma Schmidt über ihren Vater spricht, lächelt sie. Obwohl die letzten Wochen so schwer waren. Zweieinhalb Jahre kümmerte sich die Familie zu Hause um den 89-Jährigen mit Demenz. Ein Erlebnis hat Emma Schmidt aber aus der Fassung gebracht.

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Von Grit Klempow
Dienstag, 05.03.2024, 19:20 Uhr

Oldendorf. Die Oldendorferin erzählt aus ihrer Sicht. Vor zweieinhalb Jahren brachte der Tod der Mutter ihren Vater aus dem Gleichgewicht. Die Demenz wurde immer schlimmer. Die Familie hielt zusammen und kümmerte sich um den Vater, Schwiegervater und Opa. Immer war einer da. Gemeinsam gaben sie die Fürsorge zurück, die sie selbst von ihm erhalten hatten.

8000 Menschen werden zu Hause gepflegt

Nach einer Hochrechnung werden im Landkreis Stade mehr als 8000 Menschen in ihrem häuslichen Umfeld gepflegt. „Wir haben das ganz gut hinbekommen mit unserer großen Familie“, sagt Emma Schmidt. Und trotzdem: „An manchen Tagen denkst du, es geht nicht mehr.“

Schon Anfang des vergangenen Jahres gab es immer öfter diese Tage. Der Entschluss, nach einem stationären Pflegeplatz zu suchen, fiel schwer. Die Familie fasste ihn gemeinsam. Aber es war kein passender Platz zu finden. Eine Situation wie Segen und Fluch zugleich. Denn es gab auch die klaren Tage, an denen der Vater ganz er selbst zu sein schien.

Die Oldendorfer Familie steht für viele andere, die mit der Pflege ihrer Angehörigen ein Wechselbad der Gefühle erleben. Zwischen Fürsorge und Verantwortung, Überforderung und Erschöpfung. Dass es besonders im ambulanten Bereich einen Kapazitätsausbau braucht, steht so auch im jüngst vorgelegten Pflegebericht des Landkreises Stade.

Bedarf an palliativem Angebot in der Fläche

Aber dieser Ausbau ist wegen des Fachkräftemangels nur begrenzt möglich - auch das steht im Bericht. Priorität habe auch das Thema Demenz, wünschenswert wäre laut Landkreis auch ein bedarfsgerechtes palliatives Angebot in der Fläche.

Das Erlebnis von Emma Schmidt ist das beste Beispiel für den Bedarf: Denn Ende Januar war plötzlich alles anders. Ihr Vater sackte zusammen, kam sofort ins Elbe Klinikum Stade. Ein vermuteter Schlaganfall bestätigte sich nicht. Nach zehn Tagen im Krankenhaus war ein Pflegeheim gefunden. Erleichterung in der Familie.

Am Tag des Wechsels in das Stader Pflegeheim gesellte sich Freude hinzu. Ihr Vater machte auf Emma Schmidt einen sehr guten Eindruck, als sie zusammen mit ihrem Bruder kurz nach der Ankunft seine persönlichen Sachen brachte. „Er ist dort so herzlich aufgenommen worden“, sagt Emma Schmidt.

„Ich hab gedacht, ich bin im falschen Film“

Die Freude währte nur kurz. Noch am Vormittag wurde die Familie informiert, dass ihr Vater doch nicht bleiben könne. „Es hieß, sie können ihn nicht behalten, weil er keine Speisen, keine Getränke nimmt und nicht schlucken kann. Er müsse ja aber seine Morphin-Tablette bekommen.“ Emma Schmidt fühlt sich noch immer wie vor den Kopf gestoßen. „Ich war baff, ich hab gedacht, ich bin im falschen Film.“ Auf eine mögliche Verschreibung von Spritzen habe sich zu dem Zeitpunkt niemand einlassen wollen. Ins Krankenhaus zurück war keine Option - der Patient sei austherapiert.

Bruder und Schwester nahmen ihren schwerkranken Vater im Auto mit nach Hause. Ein Vorgang, der nach Einschätzung des Landkreises nicht üblich ist. „Mit 89 Jahren, Pflegegrad 5 und nach zehn Tagen im Krankenhaus - was haben die gedacht, wer da kommt? Der Schock saß tief“, sagt Emma Schmidt. Wieder die Pflege zu Hause, aber eine neue Situation - dazu die Angst, dieser Situation selbst nicht mehr gewachsen zu sein.

Wie es dazu gekommen ist, ist unklar: „In der Regel findet eine Pflegeüberleitung zwischen der entlassenden und der aufnehmenden Institution statt. Auch Angehörige geben Informationen an die Pflegeeinrichtung weiter“, schildert Landkreis-Pressesprecherin Nina Dede das übliche Prozedere.

Sabine Henkel, Leitung der Unternehmenskommunikation der Stader K+S-Seniorenresidenz, äußert sich aus Datenschutzgründen allgemein: „Damit wir beispielsweise bei einer Neuaufnahme aus dem Krankenhaus die erforderlichen Pflegeleistungen sicher gewährleisten können, bedarf es einer transparenten Überleitung mit vollständigem Arztbrief inklusive aller Diagnosen.“

Medizinisch kritische Situation

Problematisch sei es, wenn keine Medikamente gegeben werden könnten und keine ärztlichen Ansprechpartner zur Verfügung stünden, „da unsere Fachkräfte nur auf ärztliche Anordnung handeln dürfen“. Die Seniorenresidenz sei auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit angewiesen, so Henkel. „Hat ein Patient eine medizinisch kritische Situation, ist er tatsächlich besser in einer Pflegeklinik oder in einer spezialisierten ambulanten Palliativversorgung unter ärztlicher Aufsicht aufgehoben“, so Henkel. In solchen Situationen würden die Angehörigen umfassend beraten, „damit sie eine für den Patienten bestmögliche Entscheidung treffen können“.

Die Oldendorfer Familie konnte nur eine Entscheidung treffen. Aber sie hatte die Gewissheit, zu Hause in Oldendorf auf die Unterstützung ihrer Hausärztin zählen zu können. Umsorgt von der Familie starb der Vater nach einigen Tagen zu Hause. „Vielleicht sollte es so sein“, sagt Emma Schmidt.

Der Senioren- und Pflegestützpunkt, Landkreis Stade, berät als neutrale Anlaufstelle unter 04141/ 125520.

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