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TAgrardiesel-Aus befeuert neue Bauernproteste: So reagieren die Landwirte im Kreis Stade

Kreislandwirt Johann Knabbe vor einer Gruppe protestierender Landwirte in der vergangenen Woche.

Kreislandwirt Johann Knabbe vor einer Gruppe protestierender Landwirte in der vergangenen Woche. Foto: Ahrens

Es dürfte der Startschuss für neue bundesweite Proteste gewesen sein: Der Haushaltsausschuss des Bundes hält am Aus für den Agrardiesel fest. Die Landwirte im Landkreis Stade sind verärgert - und beraten über weitere Demos.

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Von Sophia Ahrens
Freitag, 19.01.2024, 11:45 Uhr

Landkreis. Im Bundestag kam es am Donnerstag zu einem Schlagabtausch zu besseren Perspektiven für die Landwirtschaft. Am Abend einigte sich der Haushaltsausschuss dann auf einen Entwurf. Für die Landwirte blieb es bei einer krachenden Niederlage: Die geplante schrittweise Abschaffung von Steuerentlastungen beim Agrardiesel bleibt. Trotz der Bauernproteste in der vergangenen Woche rückte die Ampel-Koalition von diesen Plänen auch im Haushaltsausschuss nicht ab.

Die protestierenden Landwirte hatten vehement auf die Beibehaltung der Steuerregelung gepocht. Die Entscheidung des Ausschusses dürfte daher - auch im Landkreis Stade - zu erneuten Protesten führen.

Kreislandwirt ist enttäuscht und verärgert

Kreislandwirt Johann Knabbe zeigt sich am Freitagmorgen verärgert und enttäuscht über die Entscheidung - aber nicht überrascht. „Wir haben es schon geahnt. Wir sind jetzt in der Findungsphase.“ Noch am Freitag soll es eine Videokonferenz der hiesigen Verbände geben, in der über das weitere Vorgehen beraten wird. Und in der ein aktuelles Stimmungsbild deutlich werden wird.

Für Knabbe steht aber fest: Proteste von offizieller Seite sollen rechtzeitig angekündigt werden, damit sich Verkehrsteilnehmer darauf vorbereiten können.

Innerhalb des Kreisbauernverbandes sei man bei den Diskussionen zu neuen Protesten „hin- und hergerissen“, sagt Mathias Fitschen. „Wir wollen auf keinen Fall, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt.“ Aktuell werde diskutiert, welche anderen Möglichkeiten es noch gebe, um auf sich aufmerksam zu machen. „Denn ohne die Zustimmung der breiten ländlichen Bevölkerung haben wir keine Chance.“

Landwirte fassen neues Ziel ins Auge

Dirk Koslowski ist 1. Vorsitzender vom Verband „Land schafft Verbindung“ (LsV) für Niedersachsen und Bremen – und kommt aus Wohnste. „Es wird definitiv noch Proteste geben“, sagt er. Er kann nicht ausschließen, dass einige Gruppen auch zu Protestformen wie in der vergangenen Woche greifen.

Aktuell gebe es jedoch ein neues, primäres Ziel: Die Landwirte würden vermehrt versuchen, den Mittelstand und auch Arbeitnehmer in den Protest aufzunehmen. „Wir wollen weniger auf dem Weg zur Arbeit, aber dafür vielleicht diesmal die Infrastruktur stören.“ Was das genau bedeutet, wird sich noch zeigen.

Verbände wollen erneut große Proteste, aber ohne zu eskalieren

„Wir haben Winter, das Potenzial ist da“, sagt der Kreislandwirt. Aber er sagt auch, dass bei einigen die Protest-Motivation abklinge. Der Bauernverband drohte derweil mit neuen bundesweiten Aktionen bereits in der kommenden Woche. Die bisherigen Proteste seien das „Vorbeben“ gewesen, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied in Berlin.

Dabei gelte weiter: „Wir wollen Nadelstiche setzen, die weh tun, aber in keinster Weise eskalieren oder radikalisieren.“ Auch Knabbe distanziert sich nach wie vor von Einzelaktionen, die für Furore sorgten. Erst am Mittwoch hatten Unbekannte einen Misthaufen vor dem Stader Finanzamt abgeladen. Auf Initiative des Bauernverbandes wurde alles mit Traktor, Anhängern und Besen durch den Maschinenring beseitigt.

„Was mich enttäuscht: Es gibt auch so viele andere wirtschaftspolitische Besonderheiten für Steuern.“ Johann Knabbe nennt als Beispiel den Hafendiesel. Paragraphen im Energiesteuergesetz gestatten laut Zoll „unter bestimmten Voraussetzungen den Einsatz von - im Vergleich zu Diesel geringer versteuertem - gekennzeichnetem Gasöl als sogenanntem Hafendiesel in Arbeitsmaschinen und Fahrzeugen, wenn diese ausschließlich dem Güterumschlag in Seehäfen dienen.“

Die Steuererleichterung soll deutsche Seehäfen international wettbewerbsfähig halten - ein Argument, das auch die Landwirte für den Agrardiesel immer wieder anbringen.

Gespräche kommen ohne Agrardiesel zum Erliegen

Erst wenn der Streit rund um den Agrardiesel gelöst ist, könne und werde man weitere Themen besprechen, so der bundesweite Konsens der Landwirte. „Es macht keinen Sinn, jetzt über eine Gesamtstrategie zu diskutieren. Zunächst müssen die Wettbewerbsverzerrungen vom Tisch“, sagt Bauernpräsident Rukwied.

Johann Knabbe spricht der Abschaffung des Steuerrückzahlung auch ihre Lenkungswirkung ab. „Wir haben in der Landwirtschaft keine alternativen Antriebe, und werden sie vermutlich auch in 20 Jahren noch nicht haben.“ Schwere Maschinen mit teilweise 1000 PS könnten nicht elektronisch betrieben werden. Knabbe befürwortet eher die Forschung für synthetisch hergestellte Kraftstoffe. Er bezieht sich auf Testläufe aus den 80er-Jahren, in denen Maschinen mit Pflanzenölen fuhren.

Die Landwirte beharren auf dem Agrardiesel, doch die Ampel-Koalition machte in dieser Woche deutlich, dass sie auf andere Erleichterungen setzen will. Agrarminister Cem Özdemir machte sich erneut für den „Tierwohlcent“ stark, um den Umbau der Tierhaltung über Verbraucher zu finanzieren. „Das wäre ein gigantisches Umlagesystem, was wieder viel mehr Bürokratie statt weniger bedeutet“, kommentiert Knabbe. Es widerspreche der Aussage, den Bürokratieaufwand in der Branche zu prüfen. „Die Lebensmittel müssen für Verbraucher nicht teurer werden, es müssen nur die Margen in der Handelskette gerechter verteilt werden“, sagt Dirk Koslowski.

Von den Vorschlägen der Regierung, „im ersten Quartal 2024 konkrete Vorhaben aufzulisten“ und bis zum Sommer zu beschließen, hält der Kreislandwirt deshalb ebenfalls wenig. Er spricht von einer „Beruhigungspille“. Viele der Regelungen seien EU-Recht. „Bei vielen Regelungen fehlt nicht nur der Wille, sondern manchmal eben auch die Möglichkeit, etwas zu ändern.“ Dirk Koslowski nennt die Vorschläge „heiße Luft“. Zu oft seien die Landwirte in der Vergangenheit enttäuscht worden, weil versprochene Maßnahmen nicht umgesetzt worden seien. (mit dpa)

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