TTrauer um die Opfer: Hätte der Vierfachmord im Nachbarkreis verhindert werden können?

In der Nacht zum 1. März soll den Ermittlern zufolge ein 32 Jahre alter Bundeswehrsoldat vier Menschen in den Gemeinden Westervesede und Brockel erschossen haben. Foto: Sina Schuldt/dpa
Nach der unfassbaren Gewalttat mit vier Toten in Westervesede und Brockel haben die Kirchengemeinden von Scheeßel und Brockel zu Trauergottesdiensten geladen. Neue Erkenntnisse werfen die Frage auf, ob die Tragödie hätte verhindert werden können.
Scheeßel/Bothel. Trauer und Fassungslosigkeit haben am Mittwochnachmittag einen Ort gefunden, an dem sich die Verzweiflung gemeinsam ein kleines Stück besser aushalten lassen.

So sah es aus vor der Andacht in der Kapelle von Westervesede, wo der Opfer der Gewalttat am Mittwochabend gedacht wurde. Foto: Kirchenkreis Rotenburg
In der Heilig-Kreuz-Kirche in Brockel und in der Friedhofskapelle in Westervesede fanden Andachten statt, um der vier Menschen zu gedenken, die am vergangenen Freitag ermordet wurden. Zwei lebten in Brockel und zwei in Westervesede. Die Kerze, die in der Finsternis angezündet wird, war bei beiden Andachten das starke Symbol, das Hoffnung in dunklen und schweren Stunden geben soll.
Sprachlosigkeit nach der Tat
Brockels Pastor Christian Wietfeldt griff zu Beginn der Andacht die Sprachlosigkeit auf, die nach dem vierfachen Mord herrscht. Sprachlosigkeit, weil es keine Wörter gebe, die das Unerklärliche erklären könnten oder die Trauer um vier Menschen einfacher machen. In der Kirche war dieses Gefühl beinahe mit Händen zu greifen. Ein Schweigen, das schmerzt.

Blumen und Kerzen liegen vor einem Einfamilienhaus. Foto: Sina Schuldt/dpa
In Brockel und in Westervesede stehen die Menschen in kleinen Gruppen vor der Kirche und der Friedhofskapelle. Vor der Andacht in der Heilig-Kreuz-Kirche probt noch der Chor das Lied „Die Rose“, ein Song von Bette Middler. Langsam betreten die Trauernden, manche fast zögerlich, das Gotteshaus und die Kapelle. In Brockel sind auch viele Jugendliche gekommen, um gemeinsam einen Ort zum Trauern zu haben.
Die Gemeinschaft in den Dörfern ist stark
Pastorin Johanna Schröder in Westervesede und ihr Brockeler Kollege Wietfeldt sprechen über sehr ähnliche Dinge. Der Tod von vier Menschen, drei Erwachsene und ein Kind, könne mit nichts erklärt werden. Es bleibt die Fassungslosigkeit. Auch in der Bibel, so der Pastor, finden sich dafür keine Worte, die aus der Sinnlosigkeit irgendetwas Erklärbares machen könnten.
Die beiden Seelsorger hatten aber bei beiden Andachten eine Kernbotschaft für die trauernden Menschen – dem anderen zuzuhören, ihn zu trösten und zu fragen: Was kann ich für dich tun? Die Gemeinschaft, die in beiden Dörfern so unerwartet erschüttert wurde, kann zusammenstehen. In der Brockeler Kirche war das fast körperlich spürbar. Zwischen den eindringlichen Worten von Pastor Wietfeldt erklangen kurze Musikstücke am Klavier. Während die Musik, mal akkordisch, dann wieder mit einzelnen, herausgehobenen Tönen, durch das Gotteshaus schwebte, ging ein kollektives Seufzen durch die Reihen der Kirchenbänke.
Ein Moment des Innehaltens
In Westervesede sprach Johanna Schröder den Text auf Deutsch zu Klavierbegleitung des Eric Clapton Klassikers „Tears in Heaven“. Auch das ein Moment des Innehaltens und des Trostes für die Trauernden. Bei beiden Andachten erinnerten die Seelsorger daran, was für weite Kreise diese vier Morde ziehen – nicht nur in Brockel und Westervesede.
Es sind die Familien, aber auch Kolleginnen und Kollegen, Schulklassen und Vereinskameraden von dem Verlust geliebter und geschätzter Menschen betroffen. Und bei beiden Andachten wurden auch die einbezogen, die bei Polizei und Rettungsdiensten in der Nacht zu Freitag im Einsatz waren und schreckliche Dinge sehen und erleben mussten.
Rührende Geste der Hinterbliebenen
Wie stark das Zusammenstehen wirken kann, wie gut es den Menschen tut, wenn sie merken, dass sie in ihrer Verzweiflung nicht alleine bleiben, zeigte eine rührende Geste: Die Hinterbliebenen der Toten aus Westervesede hatten ein Gesteck für die Trauerfeier bereitgestellt. Auch dabei war das Licht, in diesem Fall eine kleine Lichterkette, das Symbol, das nicht immer Dunkelheit herrschen wird. Wie lange die Tränen fließen, so Pastorin Schröder, könne aber niemals vorausgesagt werden.
Musik und Worte haben in beiden Andachten den trauernden Menschen Kraft und Stärke gegeben. Das Chorstück „Die Rose“ enthielt eine Textpassage, die Liebe und Verlust ergreifend zusammenfasst: „Wer nie weint und niemals trauert, der weiß auch nichts vom Glück.“ Und weiter: „Und vergesst nicht, an dem Zweig dort, der im Schnee beinahe erfror, blüht im Frühling eine Rose, so schön wie nie zuvor.“
In Brockel und Westervesede haben die Trauernden im Anschluss an die Andacht Kerzen entzündet. Die vielen Menschen, die in der Kirche und der Kapelle zusammengekommen sind, haben gezeigt, dass die Verstorbenen nicht in Vergessenheit geraten werden. Die Gemeinschaft erinnert sich an sie.
Kreis Rotenburg nach Gewalttat: Anzeige war nicht bekannt
Der Soldat G. soll in der Nacht zu Freitag zunächst den neuen Freund (30) seiner Expartnerin und dessen Mutter (55) in Westervesede erschossen haben. Anschließend soll er nach Brockel gefahren sein, um dort die beste Freundin (33) seiner Expartnerin und deren Tochter (3) zu töten.
Die Opfer stammen aus dem Umfeld der getrenntlebenden Ehefrau des mutmaßlichen Täters. Vor der Tat hatten die Ehefrau und ihr mutmaßlich neuer Freund, der später getötet wurde, den Verdächtigen bei der Polizei wegen Bedrohung angezeigt.

Absperrband der Polizei hängt vor einem Einfamilienhaus, einem der Tatorte. Foto: Sina Schuldt/dpa
Die Waffenbehörde des niedersächsischen Landkreises Rotenburg hat vor der Gewalttat mit vier Toten eigenen Angaben nach nicht von einer Anzeige gegen den Verdächtigen gewusst.
„In den Unterlagen finden sich keinerlei Hinweise auf eine mögliche Bedrohung durch den Täter“, sagte die Sprecherin des Kreises am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. „Eine Strafanzeige von Seiten der Polizei liegt dem Landkreis nicht vor.“ Geht gegen einen Waffenbesitzer bei der Waffenbehörde eine Anzeige ein, wird normalerweise eine Prüfung eingeleitet, teilte der Kreis mit. Zunächst berichteten mehrere Medien.
Polizei räumt Versäumnis ein
Nach Angaben des Kreises besitzt der deutsche Verdächtige eine Karte, in der drei Waffen eingetragen sind. Die Voraussetzungen dafür habe der Mann nachgewiesen. Eine sogenannte Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit sei im September 2023 erfolgt. Dabei wurden das Bundeszentralregister, das Landesamt für Verfassungsschutz und die Polizei abgefragt. Es habe keine Auffälligkeiten gegeben.
Dem Kreis zufolge sollte die Aufbewahrung der Waffen im Frühjahr dieses Jahres kontrolliert werden. Eine sogenannte Bedürfnisprüfung wäre 2025 fällig gewesen.
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Wie die „Zevener Zeitung“ berichtet, hat die Polizei Rotenburg knapp eine Woche nach der Gewalttat Versäumnisse eingeräumt. Die Polizei habe bestätigt, die Anzeige der Ex-Partnerin gegen den späteren Todesschützen nicht an die Waffenbehörde weitergeleitet zu haben.
Somit stellt sich die Frage, ob die Tat hätte verhindert werden können? „Wäre die Waffenbehörde über diese Anzeige in Kenntnis gesetzt worden, hätte sie die Möglichkeit gehabt“, dem mutmaßlichen Täter „nach Paragraf 41 des Waffengesetzes die Waffen zu entziehen“, schreibt T-Online.de in einem Artikel.
Ermittler bitten um Hilfe: Wer hat dieses Auto gesehen?
Eine Woche nach dem Vierfach-Mord laufen die Ermittlungen der Polizei - und die Beamten bitten um Hinweise zu einem bestimmten Fahrzeug.

Im Fokus der Ermittlungen steht ein schwarzer Suzuki Vitara (Symbolbild). Foto: Polizei
Im Fokus der Ermittlungen stehe ein schwarzer Suzuki Vitara. Die Beamten vermuten, dass das Fahrzeug in Zusammenhang mit der Tat steht.

Die Polizei sucht im Zusammenhang mit dem Mord Zeugen, die ein Auto der Marke Suzuki gesehen haben. Foto: Polizei
„Personen, die einen solchen Pkw in den Tagen vor der Tat oder am Tattag in Rotenburg, Scheeßel oder in der Nähe der Tatorte wahrgenommen haben, werden gebeten, sich bei der Polizei zu melden“, sagt Heiner van der Werp, Sprecher der Polizeiinspektion Rotenburg. Hinweise nimmt die Polizei unter der Rufnummer 04261/947-0 entgegen.

Ein schwarzer Suzuki steht im Fokus der Ermittlungen. Foto: Polizei
Fast 50.000 Euro an Spenden gesammelt
Eine unglaubliche Welle der Solidarität schwappt durch den Landkreis Rotenburg. Bei Spendenaktionen für die Hinterbliebenen der vier Opfer sind bis heute (Stand: 10.43 Uhr) knapp 50.0000 Euro an Spenden zusammengekommen, berichtet die „Zevener Zeitung“.
Landkreis Rotenburg
Eine Region unter Schock: Soldat G. zerstört Leben der schwangeren Ex
Rund 34.000 Euro seien bisher bei der Aktion der 5. Kompanie des Jägerbataillon 91 gespendet worden. Gesammelt wird für den Kameraden, der bei der Tat Frau und Kind verloren hat.
Knapp 14.000 Euro seien bisher bei der Aktion zusammengekommen, die beide Familien in dieser schweren Zeit unterstützen will. (dpa/set/ZZ)

In der Nacht zum 1. März soll den Ermittlern zufolge ein 32 Jahre alter Bundeswehrsoldat vier Menschen in den Gemeinden Westervesede und Brockel erschossen haben. Foto: Sina Schuldt/dpa

Eine zerbrochene Scheibe an der Eingangstür zu einem Einfamilienhaus in der Gemeinde Scheeßel. Ein Bundeswehrsoldat steht im Verdacht, vier Menschen im niedersächsischen Landkreis Rotenburg (Wümme) erschossen haben. Foto: Sina Schuldt/dpa

Die Spurensicherung arbeitet hinter einer Polizeiabsperrung an der Von-Düring-Kaserne. Foto: Sina Schuldt/dpa