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Stadtplanung

TAngsträume: Was Stade von Buchholz lernen kann

Der Bahnhof in Stade bei Nacht. Insbesondere Frauen empfinden ihn als Angstraum. Wie man die Situation verbessern kann, zeigt die Stadt Buchholz im Kreis Harburg.

Der Bahnhof in Stade bei Nacht. Insbesondere Frauen empfinden ihn als Angstraum. Wie man die Situation verbessern kann, zeigt die Stadt Buchholz im Kreis Harburg. Foto: Susanne Helfferich

Der Bahnhof bei Nacht, der Pferdemarkt am Abend: Das Thema Angsträume ist in Stade präsent - besonders bei Frauen. In Buchholz (Landkreis Harburg) war das auch so. Doch dort haben Frauen das Problem erfolgreich angepackt.

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Von Anping Richter
Freitag, 08.03.2024, 05:50 Uhr

Landkreis. Laut einer im November 2022 vorgestellten Studie des Bundeskriminalamts sind besonders Frauen nachts aus Angst vor Kriminalität in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Die Zahlen dazu: 58 Prozent meiden bestimmte Plätze und Parks, aber nur 29 Prozent der Männer. Knapp 52 Prozent der Frauen meiden nachts den ÖPNV, aber nur knapp 27 Prozent der Männer. 41 Prozent der Frauen, aber nur 18 Prozent der Männer, versuchen sogar, nachts gar nicht das Haus zu verlassen.

Ohne Hotspot kaum Chancen auf mehr Polizei und Videokameras

Als die Studie vorgestellt wurde, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser, könne das so nicht hingenommen werden: „Hier muss mehr zum Schutz getan werden - durch die Präsenz von Sicherheitsdiensten etwa bei der Bahn, aber auch durch höhere Polizeipräsenz an belasteten Orten und durch mehr Videoüberwachung.“

Wie das Beispiel der Bahnhöfe in Stade und Buxtehude zeigt, ist seither aber nicht viel passiert. Wenn die Statistik nicht klar einen Kriminalitäts-Hotspot zeigt, wird es mit mehr Überwachung und Personal schwierig, war kürzlich anlässlich der Diskussion über den Stader Bahnhof von Polizei und Deutscher Bahn zu hören. Das Unsicherheitsgefühl bleibt.

In Buchholz gab es vor zwei Jahren ähnliche Probleme. Junge Leute wandten sich an die Gleichstellungsbeauftragte Jasmin Eisenhut. „Wir trauen uns gar nicht mehr, über den Peets Hoff zu gehen“, berichteten sie und erzählten von üblen Gerüchen, offenem Alkoholmissbrauch und Gruppen junger Männer, die sich nach Ladenschluss dort versammelten. Frauen hatten die Gleichstellungsbeauftragte bereits auf ein wachsendes Unsicherheitsgefühl angesprochen, auch auf dem Bahnhof. Ebenso ging es der Polizei-Kontaktbeamtin Katrin Ragge. Sie beschlossen, etwas dagegen zu unternehmen und fanden im Rathaus Unterstützung.

Befragung zu Angsträumen 2022 in Buchholz: Die damalige Gleichstellungsbeauftragte Jasmin Eisenhut, Kontaktbeamtin Katrin Ragge und Martina Mohr (von links) vom Weissen Ring auf dem Wochenmarkt.

Befragung zu Angsträumen 2022 in Buchholz: Die damalige Gleichstellungsbeauftragte Jasmin Eisenhut, Kontaktbeamtin Katrin Ragge und Martina Mohr (von links) vom Weissen Ring auf dem Wochenmarkt. Foto: Stadt Buchholz

Die Rückeroberung der Angsträume in Buchholz

„Wir haben uns anfangs an einem Konzept des Landeskriminalamts orientiert“, berichtet Jasmin Eisenhut. Mit einem Team aus Politik, Verwaltung und Bürgern wollten sie herausfinden, wo genau die Angsträume der Stadt sind. Sie machten Begehungen, entwickelten Fragebögen und verteilten sie breitflächig. Drei Bereiche kristallisierten sich heraus. Sie entwickelten Ideen und verteilten Zuständigkeiten: Jede und jeder sollte Maßnahmen in einem eigenen Bereich im Blick haben.

Fußgängertunnel wurden aufgehellt, kaputte Lampen ersetzt, schwer einsehbare Bereiche umgestaltet. Ein Verein, der sich um Wohnungslose kümmert, zeigt öfters Präsenz am Bahnhof. Das Projekt in Buchholz ist damit nicht beendet. Es soll zu einem kontinuierlichen Prozess werden.

Sicherheitsgefühl von Frauen ist ein Indikator

Die Stader Gleichstellungsbeauftragte Jacqueline Jugl hat sich während ihres Geografiestudiums mit gendergerechter Stadtplanung beschäftigt. Welche Strukturen dafür sorgen, dass Frauen sich an bestimmten Orten unsicher fühlen, weiß sie auch aus eigener Erfahrung: „Frauen begegnen dem täglich. Das ist unsere Lebenswelt.“

Wenn öffentliche Räume ein Gefühl von Unsicherheit vermitteln, sei ihre Nutzbarkeit für Frauen extrem eingeschränkt. Dafür zu sorgen, dass sie sich dort sicher bewegen können, sei eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, sagt Jugl.

„Dafür zu sorgen, dass Frauen sich in öffentlichen Räumen sicher bewegen können, ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe“, sagt die Stader Gleichstellungsbeauftragte Jacqueline Jugl.

„Dafür zu sorgen, dass Frauen sich in öffentlichen Räumen sicher bewegen können, ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe“, sagt die Stader Gleichstellungsbeauftragte Jacqueline Jugl. Foto: Helfferich

Diese Forderung stellen auch die Vereinten Nationen mit ihrem Nachhaltigkeitsziel Nr. 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen), wo das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum als Indikator gilt. Mangelt es daran, verhindere das die volle Teilhabe von Frauen am öffentlichen Leben und der Entwicklung der Gesellschaft. Jacqueline Jugl hält es für sinnvoll, zu untersuchen, wie Frauen sich in der Stadt bewegen, welche Orte sie meiden, welche Umwege sie in Kauf nehmen: „Wir müssten viel mehr Daten einholen, um eine geschlechtsspezifische Perspektive einzubringen, auch in die Stadtplanung.“

Sie sieht darin eine große Chance. Außerdem gebe es tolle Möglichkeiten, sich öffentlicher Räume aktiv zu ermächtigen - beispielsweise durch Night-Walks. Bei solchen Nacht-Spaziergängen lernen Frauen und Mädchen, Unbehagen im Dunkeln abzulegen. Die Stader Seniorenbeauftragte Christina Boge hat mit einem Angebot Erfolg, das in diese Richtung geht: Selbstbehauptungskurse für Seniorinnen. Zwei im Februar waren restlos ausgebucht, ein dritter ist im August geplant, aber Plätze gibt es nur noch auf der Warteliste.

Extrem gefragt: Selbstbehauptungskurse für Seniorinnen

„So einen Kursus für Seniorinnen wollen wir auch“, sagt die Buxtehuder Gleichstellungsbeauftragte Gabi Schnackenberg. Zwei Mal im Jahr biete die Stadt schon Selbstbehauptungskurse für Frauen an, die immer gut besucht sind. Zuletzt war die jüngste Teilnehmerin 17 Jahre alt, die älteste über 80, auch eine Frau mit Rollstuhl war dabei.

Gegen öffentliche Räume, die Unsicherheitsgefühl auslösen, hat es in Buxtehude auf Initiative der damaligen Frauenbeauftragten Ursula Reinke vor Jahren schon ein erfolgreiches Projekt gegeben, berichtet Schnackenberg. Doch die Stadt verändere sich: „Da muss Buxtehude nochmal hingucken.“ Ihr fallen gleich mehrere Orte ein, wo sich das lohnen könnte - zum Beispiel der Bahnhof und die Bahnhofstraße.

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