TBespuckt, geschlagen: Medizinisches Personal hat täglich mit Gewalt zu kämpfen

Liegt es an langen Wartezeiten und an der Verrohung der Gesellschaft? Die Bürgerschaft debattierte am Mittwoch über zunehmende Gewalt gegen medizinisches Personal. Foto: Sebastian Gollnow, dpa
Immer mehr wütende Patienten: Gewalt und Aggression in Arztpraxen und Kliniken nehmen auch in Bremerhaven und Bremen zu. Woran liegt das? Einigen Rettern reicht es jedenfalls. Sie haben deswegen gekündigt.
Bremerhaven. Eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts von April 2024 ergab: 24 Prozent der befragten Kliniken meldeten Kündigungen aufgrund von Gewalt gegenüber Beschäftigten. Fast jeder Zweite gab in einer Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Arztpraxen an, dass körperliche Gewalt in den vergangenen fünf Jahren zugenommen habe.
80 Prozent haben im Jahr 2023 Beschimpfungen, Beleidigungen oder Drohungen erlebt – häufig mehrfach. „Tatort“ sind nicht immer die Praxisräume, auch am Telefon oder im Internet verzeichnen viele einen raueren Ton. Von den Betroffenen haben 14 Prozent aufgrund der Vorkommnisse die Polizei eingeschaltet und Anzeige erstattet.
„Gewalt gegenüber Beschäftigten im Gesundheitswesen ist ein absolutes No-Go“, sagte Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Die Linke) am Mittwoch in der Bürgerschaft. „Gleichzeitig nehmen diese verbalen, aber auch körperlichen Angriffe gegenüber medizinischem Personal zu.
Das darf nicht bagatellisiert werden. Wir müssen das mit extremer Wachsamkeit beobachten und dringend dagegen vorgehen. Das tun wir zum Teil auch schon.“ Die Datenlage sei schwierig. Erforderlich sei, dass Angriffe konsequent zur Anzeige gebracht werden.
Die Dunkelziffer ist hoch – viele Angriffe kommen nicht zur Anzeige
Es gibt jedoch noch eine hohe Dunkelziffer. Bernhard betonte, dass bislang außerdem eine Ursachenanalyse fehle. Es müsse genau untersucht werden, in welchen Situationen es zu welchem Vorfall komme.
„Menschen, die Schmerzen haben, Sorgen haben, unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen stehen, treffen auf ein System, das an seine Grenzen kommt“, sagte Bernhard. Daher sei es umso wichtiger, Patientenströme effektiver umzuleiten. Bernhard warnte in Richtung Bündnis Deutschland davor, „Sündenböcke“ für das Gewaltproblem zu suchen. Das werde die Gewalt eher weiter befeuern.
Zuvor hatte der BD-Bürgerschaftsabgeordnete Piet Leidreiter „eine rigorose Abschiebung“ gefordert: „Wenn wir die Situation im Gesundheitswesen ernsthaft verbessern wollen, dürfen wir uns davor nicht scheuen, klare Konsequenzen zu ziehen.“
SPD: Verrohung in der Gesellschaft war schon vor 2015 feststellbar
Dafür erntete er nicht nur von der CDU-Abgeordneten Wiebke Winter scharfe Kritik. Leidreiters Forderung, dieser Gewalt mit mehr Abschiebung begegnen zu können, sei „völlig falsch“, entgegnete Winter.
„Sie sehen vor allem die andere Seite der Medaille nicht, dass unser Gesundheitsbereich kaum noch funktionieren würde, wenn wir nicht all diese Menschen hätten, die nach 2015 in unser Land gekommen sind.“
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Die Verrohung in unserer Gesellschaft sei bereits vor der Migrationswelle 2015 feststellbar gewesen, betonte auch die SPD-Abgeordnete Ute Reimers-Bruns.
Angestoßen wurde die Debatte von der FDP-Bürgerschaftsfraktion, die eine Große Anfrage an den Senat gestellt hatte. Der Senatsbericht habe „die alarmierende Realität“ offengelegt, „dass medizinisches Personal in Bremerhaven und Bremen tagtäglich von Aggression und Gewalt betroffen ist“, sagte der FDP-Abgeordnete Ole Humpich. „Aggressionen und Übergriffe auf medizinisches Personal nehmen in Arztpraxen, Krankenhäusern, vor allem in den Notaufnahmen, und im Rettungsdienst zu. Diese Entwicklung in der Gesellschaft ist mehr als besorgniserregend.“