Zähl Pixel
Tierseuche

Blauzungenkrankheit: Hunderte Tiere im Kreis Stade verendet

Rinder, Schafe, Ziegen und Wildtiere sind besonders anfällig für die Blauzungenkrankheit.

Rinder, Schafe, Ziegen und Wildtiere sind besonders anfällig für die Blauzungenkrankheit. Foto: Lars Penning/dpa

Wegen der Blauzungenkrankheit sind bereits hunderte Tiere im Landkreis Stade gestorben. So viele, dass es bereits zu Engpässen bei der Entsorgung der Kadaver kommt.

author
Von Sabine Lohmann
Samstag, 14.09.2024, 07:15 Uhr

Premium-Zugriff auf tageblatt.de für nur 0,99 €
Jetzt sichern!

Landkreis. Im Landkreis Stade sind in den vergangenen Wochen bereits mehr als 300 Schafe und etwa 60 Rinder an der Blauzungenkrankheit gestorben. Aufgrund der Tierseuche kommt es zu Engpässen bei der Tierkörperbeseitigung, sodass auf einigen Betrieben die Kadaver länger als üblich gelagert werden müssen. Darauf weist das Amt Veterinärwesen und Verbraucherschutz des Landkreises Stade hin.

Mücken infizieren Wiederkäuer

Die Blauzungenkrankheit ist eine für Menschen ungefährliche Viruserkrankung bei Wiederkäuern; dazu gehören Rinder, Schafe, Ziegen und Wildtiere. Sie wird ausschließlich über eine kleine Mückenart übertragen. Die sogenannten „Gnitzen“ sind nur ein bis drei Millimeter groß.

Auf den betroffenen Höfen müssen die Kadaver auf den dafür vorgesehenen Flächen oder - wenn diese nicht ausreichen - an einem anderen geeigneten, befestigten Platz gelagert und zumindest mit einer Plane abgedeckt werden, erklärt das Amt für Veterinärwesen und Verbraucherschutz. Verzögerungen beim Abtransport ließen sich nicht in jedem Fall vermeiden. Die Bevölkerung wird um Verständnis für diese Ausnahmesituation gebeten.

Um was für einen Erreger handelt es sich?

Es handelt sich um ein Virus, das Blauzungenvirus, kurz BTV. Vor allem Schafe und Rinder infizieren sich damit, auch südamerikanische Kamelarten, Ziegen und Wild-Wiederkäuer sind empfänglich. Das Virus existiert in mehr als 20 verschiedenen Varianten, Serotypen genannt. Aktuell kursiert in Deutschland und anderen europäischen Ländern der Typ BTV-3.

Wie geht es erkrankten Tieren?

Die Blauzungenkrankheit ist sehr schmerzhaft und kann - je nach Serotyp unterschiedlich häufig - zum Tod führen. Insbesondere Schafe haben oft starke Schmerzen im Maul und lahmen, wie es vom FLI heißt. Die namensgebende Verfärbung der Zunge hingegen ist eher selten. Bei Rindern verläuft die Krankheit deutlich milder.

Nach Daten aus den schon länger betroffenen Niederlanden sterben bei der derzeit in Europa kursierenden Variante BTV-3/NET2023 im Mittel ein Viertel der Tiere in Schafhaltungen - deutlich mehr als bei anderen Varianten. In manchen Betrieben verendeten sogar mehr als 70 Prozent der kranken Tiere. Auch bei Rindern ist die Sterblichkeit den Daten zufolge erhöht, bei Milchvieh kann die Milchleistung deutlich zurückgehen.

Wie ungewöhnlich ist so ein Tsunami an Neuinfektionen?

Die Verbreitung der Blauzungenkrankheit des Serotyps 3 verläuft dem FLI zufolge sehr ähnlich der von Serotyp 8 im Jahr 2007. Auch da zeigte sich, dass sich der Erreger sehr rasch ausbreiten kann. Nach moderatem Beginn steige die Zahl der Neuerkrankungen in der zweiten Jahreshälfte klassischerweise plötzlich steil an und falle erst zum Ende des Jahres wieder ab - abhängig von Auftreten und Aktivität der Überträgermücken.

Woher kommt die Variante BTV-3/NET2023?

Vermutet wird ein Ursprung im südlichen Afrika - das sei bisher aber weder bestätigt noch widerlegt, heißt es vom FLI. Deutliche Unterschiede zu allen bisher bekannten BTV-3 Ausbrüchen in Europa weisen jedenfalls auf einen weit entfernten Ursprungsort hin.

Wahrscheinlich ist dem Bundesinstitut zufolge ein Eintrag über den globalen Handel. Nicht zwingend mit Schafen oder Kühen: Infizierte Gnitzen könnten auch mit Materialien eingeschleppt worden sein.

In den Niederlanden sei die Variante erstmals im September 2023 aufgetreten und habe sich rasant ausgebreitet. Im Oktober 2023 sei die erste Infektion in Deutschland bestätigt worden, bei einer Schafhaltung in Nordrhein-Westfalen.

Generell gilt Experten zufolge, dass der Klimawandel Ausbrüche der Krankheit begünstigt, weil sie Gnitzen eine leichtere Überwinterung und davon ausgehend eine schnellere Ausbreitung in den Monaten darauf ermöglicht. Zudem begünstigen höhere Temperaturen die Vermehrung des Erregers in den Gnitzen.

Was bedeutet die Seuche für Landwirte?

Aufgrund der Ausbrüche wurde der Status „frei von der Blauzungenkrankheit“ für Deutschland ausgesetzt. Tiere aus betroffenen Gebieten dürfen dem FLI zufolge nur nach Testung und Behandlung mit Insektiziden in BTV-freie Gebiete gebracht werden. Das könne den Handel deutlich erschweren.

„Seitdem alle Bundesländer von der Seuche betroffen sind, sollte der Handel innerhalb Deutschlands wieder ohne besondere Auflagen möglich sein“, hieß es vom Bauernverband. Der Handel mit BTV-freien Regionen in der EU sei allerdings stark eingeschränkt beziehungsweise an Auflagen gebunden.

Hinzu kommen für Landwirte die Verluste durch die verminderte Milchleistung und verendete Tiere. Während der BTV-8-Epidemie hatten die deutschen Tierseuchenkassen im Jahr 2007 Entschädigungen für 33.233 tote Schafe und 10.240 Rinder gezahlt, wie es beim FLI heißt.

Lässt sich gegensteuern?

Auf Basis einer Eilverordnung ist die Anwendung dreier BTV-3-Impfstoffe gestattet. Damit lassen sich die Symptome und die Virusvermehrung im Tier vermindern, wie es vom FLI heißt. Ein vollständiger Schutz wird durch die Impfung nicht erreicht, auch geimpfte Tiere können erkranken.

Eine Impfung sei der einzig mögliche Schutz für die Tiere, betont das FLI. Bei einer freiwilligen Impfung, die von den Tierhaltern meist selbst bezahlt werden muss, sei die Akzeptanz allerdings deutlich niedriger als bei einer verpflichtenden Impfung, die meist von der Tierseuchenkasse getragen werde.

„Die Impfungen werden verbreitet genutzt“, heißt es vom Bauernverband. Für die früh betroffenen Regionen hätten sie aber zu spät zur Verfügung gestanden. Wie umfassend es nun gelingt, die Tierbestände mit einer Impfung zu schützen, werde ein wichtiger Faktor dafür sein, wie lange sich die Epidemie noch hinziehe.(sal/dpa)

Weitere Artikel