TBuxtehude im Nationalsozialismus: Der Sturm aufs Rathaus

SA-Patrouille vor dem Buxtehuder Rathaus. Foto: archiv-klar
Am 12. März 1933 marschieren die Buxtehuder Nazis mit Fackeln durch die Stadt. Sie haben etwas zu feiern: ihren Sieg bei den Kommunalwahlen. Für ihre Gegner beginnt damit eine brutale Zeit.
Buxtehude. „Solange ich regiere, sorge ich auch für Ordnung, und wer Klamauk macht, der fliegt in den Bunker.“ Mit diesen Worten wird Werner Glüer, Buxtehudes erster NSDAP-Bürgermeister, nach seiner ersten Sitzung im Rathaus im März 1933 im Buxtehuder TAGEBLATT zitiert. Alle wissen, was ihnen blüht, wenn sie gegen die neuen Machthaber aufmucken.
„Er war ein arbeitsloser Berufssoldat“, erklärt der Historiker Dr. Norbert Fischer, der die NS-Zeit in Buxtehude im Auftrag der Stadt aufgearbeitet hat. Glüer ist ein typischer Vertreter der ersten Nazi-Anhänger: Mit dem Buxtehuder Fabrikanten Herbert Winter hat er im 1. Weltkrieg gedient und es zum Major gebracht. Doch in den wirtschaftlichen Krisenzeiten danach schafft er es nicht, sich eine neue Existenz aufzubauen. „Viele junge, ehemalige Soldaten waren arbeitslos, ihnen fehlte der Lebensinhalt. Sie bildeten das Rückgrat der SA“, sagt Fischer.
Buxtehuder verkauft Haus am Obersalzberg an Hitler
Herbert Winter ist Erbe zweier bedeutender Buxtehuder Industriebetriebe: der Papierfabrik Winter und der Lederfabrik Wachenfeld. Er versucht, seinem Kameraden auf die Beine zu helfen und verschafft Glüer eine Position in der Lederfabrik. Die Familie Winter-Wachenfeld besaß übrigens auch ein Ferienhaus am Obersalzberg, das sie ab 1928 an Adolf Hitler vermietete und 1933 an ihn verkaufte. Er baute es zu seinem privaten Wohnsitz aus, dem Berghof.

Der Berghof am Obersalzberg. Adolf Hitler kaufte das Anwesen 1933 von der Buxtehuder Familie Winter-Wachenfeld. Foto: Erich Wilhelm Krüger
Trotz der hochkarätigen Unterstützung bleibt Werner Glüer in der Lederfabrik erfolglos. Aber in der SA kommt er gut voran: Er wird Sturmführer. Ab 1931 liefert sich die SA in Buxtehude blutige Saalschlachten mit dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, das sich hier mit Arbeitersportlern und Gewerkschaftlern zum Anti-Nazi-Bündnis Eiserne Front zusammentut.
Hitler-Gegner werfen die Scheiben bei Leddin ein
Als Hitler am 30. Januar 1933 von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wird, werfen Buxtehuder Hitler-Gegner Wilhelm Leddin, dem Apotheker und Vorsitzenden der NSDAP-Ortsgruppe, die Fensterscheiben ein. Doch nach den Kommunalwahlen im März trifft die Rache der Nazis sie nur umso härter.
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Die NSDAP gewinnt die Wahlen am 12. März. Die SA marschiert mit Fackeln durch die Stadt und mit ihr auch Kriegerverein, Marineverein, deutsche Freischar, Polizisten und die Prima des Reform-Realgymnasiums, des Vorläufers der heutigen Halepaghen-Schule. Vor aller Augen wird die Fahne der Eisernen Front verbrannt.
Werner Glüer wird Buxtehuder Bürgermeister
Werner Glüer kommt jetzt groß raus: Am 30. März marschiert er mit Polizei, SA und Stahlhelm mit Gewehren bewaffnet zum Buxtehuder Rathaus. Dort überbringt er dem amtierenden Bürgermeister Johannes Krancke seine sofortige Beurlaubung und übernimmt das Bürgermeisteramt kommissarisch.

Von den Nazis vertrieben: der Buxtehuder Bürgermeister und Sozialdemokrat Johannes Krancke. Foto: Stadtarchiv
Schon am nächsten Tag darf Glüer wieder einen martialischen Auftritt genießen: Die SA marschiert vor Leddins Apotheke auf, um die dort versammelte nationalsozialistische Fraktion zum Rathaus zu geleiten. Als neuer Bürgermeister eröffnet Glüer die Sitzung des Bürgervorsteher-Kollegiums.
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Noch sitzen einige Oppositionsmitglieder mit ihm im Saal: Nur auf 7 der 18 Sitze sind NSDAP-Leute gewählt worden. Doch inzwischen sind viele Sozialdemokraten und Kommunisten schon verhaftet und ins Stader Polizeigefängnis gebracht worden. „Sie wurden teilweise tagelang verhört“, berichtet Norbert Fischer.
SPD-Fahne wird eingemauert
Einer von ihnen ist der Buxtehuder Lehrer Hugo Schimke (SPD), der nun lieber auf sein Mandat verzichtet. Die mutige SPD-Frau Lina Meyer rückt für ihn nach. Sie wird ihr Amt nie antreten, denn kurz darauf werden alle Parteien außer der NSDAP verboten.

Lina Meyer im Alter von 68 Jahren. Foto: Tageblatt-Archiv
Meyer ist es zu verdanken, dass es die Fahne des Buxtehuder SPD-Ortsvereins von 1867 bis heute gibt: Sie versteckt sie in einer Konservendose und lässt sie von ihrem Mann im Schweinestall einmauern, wo sie den Krieg unentdeckt übersteht. Auch die Fahne der Arbeiterwohlfahrt soll sie damals gerettet haben. Auf dem ehemaligen Kasernengelände ist heute eine Straße nach Lina Meyer benannt.

Lina Meyer versteckte die Fahne der Buxtehuder SPD in einer Konservenbüchse und ließ sie von ihrem Mann im Schweinestall einmauern. Foto: SPD-Archiv Buxtehude
Der neue Nazi-Bürgermeister Glüer ist trotz seiner markigen Worte nicht wirklich der starke Mann von Buxtehude. „Er war nur eine Marionette“, sagt Historiker Fischer. Der Strippenzieher ist der NSDAP-Mann Dr. Hans Wüsthoff. „Als Krankenhausdirektor konnte er nicht hauptamtlicher Bürgermeister sein“, erklärt Fischer. Deshalb installierte er Glüer, der komplett unter seinem Einfluss stand.
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Wüsthoff ist bekannt für seine Rachsucht. Das ist sogar im Regierungspräsidium bekannt und aktenkundig: Der vertriebene Bürgermeister und Sozialdemokrat Johannes Krancke beschwert sich dort nämlich. Er will weiterarbeiten und genießt als erfahrener Verwaltungsbeamter auch Respekt. Doch das Präsidium hat aufgrund der Vorgeschichte Bedenken. Denn Krancke hatte sich in der Vergangenheit dagegen ausgesprochen, Wüsthoffs Vertrag als Krankenhausdirektor zu verlängern.
Ex-Bürgermeister bleibt im Krieg verschollen
Formell wird Krancke rehabilitiert, findet aber keine andere Stelle. Er wird zum Wehrdienst eingezogen und bleibt im Krieg verschollen. Auch Stadtoberinspektor Louis Bach bekommt Wüsthoffs Rache zu spüren. 1932 hat Bach eine Versammlung der nationalsozialistischen Frauenschaft im Rathaus untersagt, weil sie der Satzung widersprach. Wüsthoff hat aus alten Zeiten etwas gegen Bach in der Hand, das er nun verwendet: Bachs Frau ist schwer krank. Weil er die Krankenhauskosten nicht aufbringen konnte, hat er in den 20er Jahren Geld unterschlagen und später zurückgezahlt. Wüsthoff weiß von der Sache und zeigt ihn nun an. Erst 1938 wird Bach offiziell schuldig gesprochen und aus dem Dienst entlassen. Er nimmt sich mit Tabletten das Leben.
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Ein Mann schafft es, trotz der Intrigen seinen Job zu behalten: Stadtwerke-Geschäftsführer Georg Schulz. Er wird zwar suspendiert, aber nach der Eingemeindung von Altkloster steht die Stadt Buxtehude wegen ihrer prekären Finanzen unter Aufsicht des Kreises und großem Druck. Glüer erweist sich als völlig unfähig, und der Buxtehuder Verwaltung gelingt es, Schulz zurückzuholen, der die Gas- und Wasserwerke immer als profitablen Betrieb geführt hat.
Nazi-Bürgermeister wegen Größenwahns aus dem Amt entfernt
Wüsthoffs Marionette, der Bürgermeister Werner Glüer, wird sich nicht lange im Amt halten: Schon nach einem Jahr wird er für seine Parteigenossen untragbar. Psychische Probleme hatte er schon länger, aber nun läuft er durch Buxtehude und verkündet öffentlich, er sei der wahre Führer und werde Adolf Hitler bald ersetzen. Glüer wird aus dem Amt entfernt und in eine Anstalt verfrachtet. Sein Nachfolger, Eduard Großheim, geht die Dinge professioneller an.
Wie unter ihm Gleichschaltung und Führerprinzip im Buxtehuder Stadtleben durchgesetzt wurden, ist Thema des nächsten Artikels in dieser Serie, die in loser Folge erscheint. Sie basiert auf Artikeln aus dem TAGEBLATT-Archiv und der aktuellen Studie zu Buxtehude im Nationalsozialismus der Historiker Norbert Fischer und Wolfgang Schilling. Letztere soll im Herbst als Buch erscheinen - mit 300 Seiten und vielen historischen Fotografien.

Hakenkreuzfahnen wehen am Buxtehuder Fleth. Foto: Archiv Klar