TBuxtehudes verkehrte Welt: Wenn Glocken bellen und Uhren zweimal 12 Uhr läuten

Stadtführerin Karina Schneider brachte Familie Kosow aus Kasachstan die Geschichte Buxtehudes nahe. Foto: Dammer
Wenn Frau Igel zu einer märchenhaften Stadtführung einlädt, können anderthalb Stunden zu einem zauberhaften Erlebnis werden, das weit über eine gewöhnliche Stadtführung hinausgeht. Für Alexandra Kosowa war es eine wichtige Begegnung mit der deutschen Kultur.
Buxtehude. Märchentage in Buxtehude. Da darf Frau Igel nicht fehlen. Schließlich hat sie ihrem Mann im berühmtesten aller Rennen geholfen, dem übermütigen Hasen ordentlich eins auf die Nase zu geben und gemeinsam mit ihm gezeigt, dass in Teamwork und cleverer Planung immer noch die meiste Kraft steckt.
Frau Igel ist seit Jahrzehnten Stadtführerin
Ja, Frau Igel kann erzählen. Stadtführerin Karina Schneider auch. Seit 35 Jahren. Seit fast 20 Jahren verwandelt sie sich in ihr Alter Ego mit weißem Pulli, rotem Rock, karierter Schürze, kurzer Pelzmütze und zeigt als Igelin charmant und lebendig die Schönheit und Geschichte Buxtehudes. Dabei weiß sie auch allerlei Skurriles aus der Stadt von Hase und Igel zu berichten.
Als sie am Sonntag von den Sagen der Stadt erzählte und mit ihrem Schlüssel so manche historische Tür vom Alten Rathaus über den Marschtorzwinger bis zur Petrikirche öffnete, hing ihr die Hamburger Familie Kosow mit Alexandra, Alexej und dem 5-jährigen Gregori an den Lippen.
Familie aus Kasachstan will die Hamburger Umgebung kennenlernen
Die drei stammen aus Kasachstan und leben seit fünf Jahren in Hamburg. „Märchen“, sagt Alexandra Kosowa, „sind ein wichtiger Teil der Kultur eines Landes. Wenn man die Kultur verstehen will, muss man auch solche Geschichten kennen.“
Warum dann Buxtehude und nicht Hamburg? „Ich finde es spannend, die Städte rund um Hamburg kennenzulernen. Ich kenne das Märchen vom Hasen und dem Igel und da waren die Märchentage ein guter Anlass, hierher zu fahren“, sagt Alexandra Kosowa.

Bei einem Stadtrundgang durch Buxtehude darf das Historische Rathaus nicht fehlen. Foto: Dammer
Im ehemaligen Ratssaal gab es viel über die Stadtgeschichte zu erfahren: über den Brand, der das Rathaus weitgehend zerstörte, und über den Lumpenhändler, der den Brand voraussagte und dafür ins Gefängnis musste.
Gregori interessierte sich aber mehr für die alte Uhr im Foyer als für die patinierten Bilder. „Eine Bauernuhr“, erklärte die Stadtführerin. Und auf die fragenden Blicke ihrer Zuhörer ergänzte sie augenzwinkernd: „Die schlägt zur vollen Stunde und eine Minute später noch einmal. Falls der Bauer sich verzählt hat.
Warum in Buxtehude die Hunde mit dem Schwanz bellen
Vor dem Rathaus gab es dann die Erklärung, warum in Buxtehude die Hunde mit dem Schwanz bellen. „Die Glocken“, erklärte Karina Schneider, „wurden früher als Hunde bezeichnet. Und die Schur, mit der die Glocken geläutet wurden, nannte man Schwanz. Wenn die Glocken läuteten, hieß es ‚Die Glocken bellen schon wieder‘.
Also bellen in Buxtehude die Hunde mit dem Schwanz“. Logisch, oder? Der Beweis steht in Stein gemeißelt an den Säulen des Rathauses: ein Hund und daneben die Glocke. Es sind oft die kleinen Dinge, hinter denen sich große oder skurrile Geschichten verbergen. Auch in Buxtehude.

Ein Stück Historie: die alte Buxtehuder Stadtmauer. Foto: Dammer
Hasen und Igel haben die Kosows viel gesehen: weiß, bunt, poppig. Warum sich hier auch Schweine tummeln, eines sogar auf dem Dachfirst, hat laut Karina Schneider mit Buxtehudes bekanntestem Schlachter Bitter zu tun, der übrigens auch der bekannteste Schlachter Norddeutschlands gewesen sein soll.
Bitter konnte besonders gut den „Königsberger Fleck“ kochen, ein Gericht mit Innereien. Er kochte es ein- bis zweimal im Jahr, sterilisierte es in Dosen und die Leute kamen von weit her, um diese Delikatesse zu kaufen. „Zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten standen die Leute fast bis zum Zwinger an“, erzählte die Igelin.
Geliebte von Kaiser Wilhelm I. wurde nach Buxtehude geschickt
Karina Schneiders Geschichten waren ebenso vielfältig wie märchenhaft. Sie wusste von der Jungmühle zu erzählen, in der sich ein Bauernpaar so verjüngen ließ, dass ihr Sohn Ernst die beiden nicht mehr erkannte. Und sie wusste auch, dass Kaiser Wilhelm I. 1873 in der Villa des Seifensieders übernachtet hatte. Offiziell, wusste die Stadtführerin, war er wegen einer Truppenübung in der Gegend.
Inoffiziell, verriet sie, war er hier, um seiner ehemaligen Geliebten aus Berlin Geld für das Kind zu geben, das er mit ihr gezeugt hatte. Das schwangere Mädchen war zur Entbindung nach Buxtehude zu Verwandten geschickt worden. Daher soll übrigens der Spruch stammen: „Wenn du dich nicht benimmst, schicken wir dich nach Buxtehude. „Weil die Leute dachten, eine Stadt mit diesem Namen gäbe es gar nicht“.
Es gibt sie. Und sie hat, wenn man der Frau des Igels lauscht, unzählige Geschichten so wie sie Brücken hat. Für Familie Kosow jedenfalls waren die eineinhalb Stunden ebenso unterhaltsam wie lehrreich und ein Grund, die Stadt wieder zu besuchen.