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Nach Attacken

TDeichanwohner an der Oste protestieren gegen die Wolfspolitik

Gut 80 Anwohner und Unterstützer begrüßten die Teilnehmer der Deichschau am Ostedeich in Großenwörden. Sie sorgen sich nicht nur um die Sicherheit ihrer Tiere, sondern auch um die Menschen, insbesondere um die Kinder.  Fotos: Helfferich

Gut 80 Anwohner und Unterstützer begrüßten die Teilnehmer der Deichschau am Ostedeich in Großenwörden. Sie sorgen sich nicht nur um die Sicherheit ihrer Tiere, sondern auch um die Menschen, insbesondere um die Kinder. Fotos: Helfferich Foto: Susanne Helfferich

Vor gut einem Monat wurden am Ostedeich in Großenwörden drei Schafe vom Wolf gerissen. Eltern haben Angst um ihre Kinder, Schafhalter holen ihre Tiere vom Deich und der Deichverband bangt um den Küstenschutz. Was die Deichanwohner jetzt fordern.

Von Von Susanne Helfferich Sonntag, 15.10.2023, 12:00 Uhr

Richard Schlichting ist Deichgraf an der Oste. Er sorgt dafür, dass der Deich auf Stader Seite von Bremervörde bis zum Rönneschöpfwerk (Hüll) wehrhaft bleibt. 43 Kilometer Deich liegen in seiner Verantwortung. Damit der Deich Sturmfluten trotzen kann, muss die Erde fest sein und von einer dichten kurzen Grasnabe zusammengehalten werden. Dass dies so ist, ist seit ewigen Zeiten der Job der Schafe. Doch gerade laufen Richard Schlichting die Schäfer weg.

Es ist Mittwochmorgen. Der Deichverband trifft sich im Platz 2 in Engelschoff-Neuland zum Frühstück vor der Deichschau. Gesprächsthema ist der Wolf. Die Risse der vergangenen zwei Monate verunsichern die Menschen. Beim Kaffee verkündet ein Rinderhalter, dass er seine Tiere vom Deich holt. Wieder eine Kündigung für Schlichting.

Oberdeichgraf: Schäfer müssen besser bezahlt werden

Tierhalter wissen nicht mehr, wie sie Schafe, Rinder oder Pferde schützen können. Egal wie, besserer Herdenschutz kostet Geld. Oberdeichgraf Albert

Boehlke ist überzeugt: „Wir müssen den Schäfern mehr zahlen.“ Die Folge sei aber, dass die Mitglieder des Deichverbandes höhere Beiträge zahlen müssen. Und falls es so weit komme, dass vermehrt Herdenschutzhunde eingesetzt werden, müsse der Deichverband das Deichgesetz umsetzen und das Betreten des Deiches verbieten. Das wäre ein Einschnitt für die Anrainer und für den Tourismus.

Eltern haben Angst um ihre Kinder

Deichgraf Richard Schlichting.

Deichgraf Richard Schlichting. Foto: Susanne Helfferich

Nach dem Frühstück geht es an den Deich in Großenwörden. Dort wartet schon eine Gruppe von etwa 80 Anwohnern und Unterstützern mit Plakaten. Darunter Landwirte, die die Weidehaltung gefährdet sehen. Aber auch junge Eltern, die sich um ihre Kinder sorgen. Hinke Nimmert erzählt: „Wir lassen die Kinder nicht mehr alleine zum Schulbus gehen oder mit dem Rad ins Dorf fahren.“ Roswita Elfers sorgt sich um ihre Feriengäste. Sie vermietet einen umgebauten Bauwagen, der am Oste- deich in einem Mischwald steht; Dusche und WC sind im Wohnhaus. „Was ist, wenn die mal nachts aufs Klo müssen und der Wolf steht da?“, fragt Elfers.

„Wir können unsere Tiere nicht mehr schützen“

Ein Tierhalter geht auf Richard Schlichting zu. Der Nächste, der seine Kündigung überreicht. Ein Sprecher der Protestierenden, der nicht mit Namen genannt werden will, sagt resignierend: „Wir sehen nicht, dass wir am Deich in der Lage sind, unsere Tiere zu schützen.“

Die Forderung der Gruppe: In der Deichregion müsse die Wolfszaunpflicht aus dem Herdenschutz genommen werden, sodass Landwirte eine Entschädigung unbürokratisch nach dem ersten Riss erhalten und Problemwölfe entnommen werden können. Die Politik muss eine Obergrenze der Wolfspopulation festlegen und für eine zeitnahe Entnahme von Problemwölfen sorgen (was am Donnerstag auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke in ihrem Punkteplan vorsieht). Langfristig müsse die Küste wolfsfrei werden, so der Sprecher (das lehnt die Ministerin ab). „Ihr rennt bei uns offene Türen ein“, erklärt Oberdeichgraf Boehlke.

Sechs von zwölf Tierhaltern haben Deichpflege gekündigt

Die Deichpflege an der Oste ist auf weite Strecken sehr mühselig. Der Deich ist steil und die Oste windet sich in vielen Schleifen der Elbe entgegen. Auch ist der Zugang für die Schäfer schwer und damit der Schutz der Tiere. Während zwischen Gräpel und B73 mit dem neuen Deich auch ein Deichverteidigungsweg gebaut wurde, fehlt er im Großenwördener Bereich. Hier haben die Tierhalter besonders weite Wege. Oft liegen zwei Kilometer Fläche zwischen dem nächsten Weg und der Oste. Daher pachtet der Deichverband inzwischen Flächenstreifen, um den Schäfern den Zugang über Stichwege zu erleichtern.

Das Jahr war nass und warm. Stellenweise steht das Gras sehr hoch. Schon bald beginnt die Sturmflutsaison. Es ist fraglich, ob bis dahin der Deich abgegrast ist. Maschineneinsatz ist hier schwierig und teuer. Deichgraf Richard Schlichting versteht die Sorgen und Ängste der Tierhalter. Von zwölf haben sechs gekündigt. Er ist ratlos, wie er den Deich winterfest bekommen soll. Auch er fühlt sich vom Land in Stich gelassen.

Wo Schafe nicht mehr grasen, wachsen Gräser in die Höhe. Darunter vermehren sich gut versteckt die Mäuse.

Wo Schafe nicht mehr grasen, wachsen Gräser in die Höhe. Darunter vermehren sich gut versteckt die Mäuse. Foto: Susanne Helfferich

Schilder auf dem Deich warnen vor dem Wolf.

Schilder auf dem Deich warnen vor dem Wolf. Foto: Susanne Helfferich

Schilder auf dem Deich warnen vor dem Wolf.

Schilder auf dem Deich warnen vor dem Wolf. Foto: Susanne Helfferich

So schier und kurz gegrast wie hier in Großenwörden Im Strich sollte der Ostedeich auf ganzer Länge sein. Doch ohne Schafe geht das nicht.

So schier und kurz gegrast wie hier in Großenwörden Im Strich sollte der Ostedeich auf ganzer Länge sein. Doch ohne Schafe geht das nicht. Foto: Susanne Helfferich

Hoch steht das Wasser auf der Oste. Bei einer ordentlichen Sturmflut kann auch hier das Wasser am Deich nagen.

Hoch steht das Wasser auf der Oste. Bei einer ordentlichen Sturmflut kann auch hier das Wasser am Deich nagen. Foto: Susanne Helfferich

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