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Klimawandel

TDie Sorge um den Deich: Baljer sehen auf die Politik

Blick vom Baljer Leuchtturm auf das Außendeichgelände und das Vogelschutzgebiet zwischen Elbe und Deich.

Blick vom Baljer Leuchtturm auf das Außendeichgelände und das Vogelschutzgebiet zwischen Elbe und Deich. Foto: Klempow

Optimismus auf dem Podium, Sorgen im Saal: Wie steht es um den Deichbau in Nordkehdingen? Behörden und Politik arbeiten an einer Lösung. Eine Forderung geht an das Land.

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Von Grit Klempow
Samstag, 08.02.2025, 09:50 Uhr

Balje. In Nordkehdingen steht die Deicherhöhung an. Auf 25 Kilometern soll der Deich um knapp zwei Meter erhöht werden. Starten soll der Deichbau im Abschnitt zwischen Ostesperrwerk und Balje in Höhe der Gellertstraße. Die Strecke ist sechs Kilometer lang, auch das alte Sielgebäude Nalje soll durch einen Neubau ersetzt werden.

Die Sorge: Weil der Landeshauptdeich an das EU-Vogelschutzgebiet grenzt, dürfen die Bauarbeiten jeweils erst ab 1. Juli beginnen. Noch vor der Sturmflutzeit rücken die Baumaschinen aber Mitte September wieder ab. „Zu wenig Zeit“, sind die Menschen hinterm Deich beunruhigt. Die Befürchtung: Damit würde der Deichbau nicht vorankommen und sich zu lange hinziehen.

Zerzauste Runde auf dem Podium

Altbürgermeister Hermann Bösch hatte deshalb zum Baljer Dorftreff eine Runde aus Deichexperten, Behörden und Politik eingeladen, um dem Dilemma auf den Grund zu gehen. Leicht zerzaust nahm die Runde auf dem Podium Platz. Sie hatte sich zuvor im Wind am Ostesperrwerk ein Bild vor Ort gemacht. Der Saal im Dorfgemeinschaftshaus war bis auf den letzten Platz besetzt.

Die Ausgangslage: „Die Emotionen kochten hoch“, beschrieb Bösch die Reaktion der Nordkehdinger auf das kurze Bauzeitfenster, das der Brutzeit im

Hermann Bösch.

Hermann Bösch. Foto: Klempow

Vogelschutzgebiet geschuldet ist. Teile des Naturschutzgebiets Wildvogelreservat Nordkehdingen liegen im EU-Vogelschutzgebiet V 18 Unterelbe. Das erstreckt sich über die gesamte Außendeichfläche in Kehdingen. Wie wichtig der Vogelschutz in der EU ist, machte CDU-Europaabgeordneter David McAllister noch einmal deutlich: „Unsere Vogelwelt ist bedroht. Derzeit werden 43 Prozent aller Brutvogelarten in Niedersachsen und Bremen in der Roten Liste geführt, 14 Prozent stehen auf der Vorwarnliste.“

Schutz bei steigendem Meeresspiegel

Aber: Gleichzeitig ist sicher, dass der Meeresspiegel bedingt durch den Klimawandel steigt und damit auch die Wahrscheinlichkeit heftiger Sturmfluten. „Wir können uns nicht leisten, notwendige Schutzmaßnahmen aufzuschieben“, sagte McAllister.

Der CDU-Europaabgeordnete David McAllister.

Der CDU-Europaabgeordnete David McAllister.

Die rechtliche Lage: Einerseits gibt es die EU-Richtlinie im FFH-Gebiet, zusätzlich dazu gibt es das Bundesnaturschutzgesetz und das niedersächsische Deichgesetz. Offen ist, was von der EU genehmigt werden muss. Deshalb plädierte Landrat Kai Seefried (CDU) dafür, „vor Ort Lösungen und pragmatische Wege zu finden“. Er sucht deshalb Mitte Februar das Gespräch mit den Umweltverbänden BUND und Nabu. „Aber wir brauchen auf jeden Fall Kohärenzflächen“, so Seefried. Das sind Flächen, die dazu dienen, den ökologischen Zusammenhang des europäischen Schutzgebietsnetzes zu erhalten.

Dr. Uwe Andreas, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Stade

Dr. Uwe Andreas, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Stade

Das sagt die Naturschutzbehörde: „Wir haben hier weit über 40 Vogelarten, um die es geht“, sagte Dr. Uwe Andreas. Es gebe bereits gesetzliche Möglichkeiten, die eine Richtung eröffneten. Sowohl das EU- als auch das Bundesrecht sprächen von einem „überwiegend öffentlichen Interesse“, das Ausnahmen erlaube. „Und genau da müssen wir hinein“, so Andreas.

Auch das EU-Recht erlaubt Ausnahmen

Durch Kohärenzmaßnahmen wie Ausgleichsflächen oder einen ökologischen Ausgleich auf öffentlichen Flächen könnte es Ausnahmen geben. „Naturschutz ist Menschenschutz, das möchte ich nicht trennen. Wir haben bereits gemacht, was regional möglich ist“, sagte er. „Wir sind in engem Austausch mit dem NLWKN.“

Das sagt der Deichplaner: „Wir haben ein riesiges Bauprogramm vor der Brust“, sagte Bereichsleiter Peter Schley vom zuständigen Landesbetrieb NLWKN mit Blick auf 80 Kilometer Deichlinie im Landkreis Stade. Die Deiche als Bauwerk müssten in erster Linie wehrhaft sein. „Wir werden hier Lösungen finden“, zeigte sich Schley für Nordkehdingen optimistisch. Aber er ließ auch durchblicken, wie mühsam das Deichbaugeschäft mit allen Vorschriften und Vergaberegeln derzeit ist: „Man hat eine Hürde genommen, dann kommen die nächsten zehn. Das Ganze ist sehr zäh.“ Schließlich zähle doch das Ziel, in 30 Jahren die Deiche erhöht zu haben.

Bürokratie schränkt Deichbauer ein

Albert Boehlke als Oberdeichgraf des Verbandes Kehdingen-Oste forderte eine Entbürokratisierung des Deichbaus. „Es gibt einen Wust an Formularen einzureichen.“ Würden zusätzlich noch die Bauzeitenfenster eingeschränkt - „das geht überhaupt gar nicht. In der sturmflutfreien Zeit von April bis September müssen wir bauen können“, so Boehlke.

Das Naljer Sielgebäude muss durch einen Neubau ersetzt werden.

Das Naljer Sielgebäude muss durch einen Neubau ersetzt werden. Foto: Susanne Helfferich

Das Fazit der Runde: „Wir müssen schneller werden beim Deichbau“, so Kai Seefried. „Niedersachsen muss dementsprechend das Deichgesetz ändern“, sagte der scheidende CDU-Bundestagsabgeordnete Enak Ferlemann. „Wir fordern eine Privilegierung des Deichbaus in Niedersachsen“, machte Hermann Bösch klar und hatte Boehlke dabei an seiner Seite. David McAllister lobte den sachlichen Austausch in Balje und machte sich für eine parteiunabhängige Lösung des Dilemmas durch alle Beteiligten stark. „Ich nehme nach Brüssel mit, dass es hier um einen Konflikt zwischen Klimaanpassung und Naturschutz geht.“

Volles Haus: Die Menschen hinterm Deich sind - wie hier in Balje - in Sorge.

Volles Haus: Die Menschen hinterm Deich sind - wie hier in Balje - in Sorge. Foto: Klempow

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