TDie blutige Spur der Wölfe durch die Region

Verletzt und erschöpft nach der Flucht wurden die Schafe nach der Wolfsattacke rund um Kranenburg aufgefunden. Foto: Plehn
Vermutlich noch nie haben so viele Wölfe und Menschen sich einen Lebensraum geteilt, wie es derzeit in der Region der Fall ist. Die Zahl der getöteten Weidetiere wächst, die Menschen sorgen sich. Aber die Politik findet keine Lösung - ein Überblick.
Landkreis. Wie geht es weiter mit dem Wolf zum Start der Weidesaison? Die Zahl der Angriffe auf Weidetiere nimmt weiter zu, und das neue Schnellabschussverfahren droht vor den Gerichten zu scheitern. Wie berichtet haben die Verwaltungsgerichte ein Schnellabschussverfahren in der Region Hannover gestoppt.
Alle warten auf die niedersächsische Wolfsverordnung
Eine Landesverordnung, die das Thema verbindlich regelt, gibt es auch noch nicht. Bundesumweltministerin Steffi Lemke und ihr niedersächsischer Kollege Christian Meyer (beide Bündnis 90/Die Grünen) hatten das neue Verfahren als Trendwende im Umgang mit Problemwölfen angekündigt.
Oberverwaltungsgericht
Prozess: Wolfsabschuss bleibt verboten
Das droht jetzt zu scheitern. Die Begründung für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg steht noch aus. Die Gefahr, dass der Schnellabschuss an juristischen Hürden scheitert, ist aber konkret.
Bundesministerin Lemke setzt auf den Schnellabschuss
Das Bundesumweltministerium hat die Entscheidung des OVG zur Kenntnis genommen und will die Begründung prüfen, sobald sie vorliegt. Aber: Die Schnellabschuss-Regelung basiere auf einem wissenschaftlich gut begründeten Fundament und stehe im Einklang mit dem Bundesnaturschutzgesetz, so eine Sprecherin des Bundesministeriums. Auch die EU-Kommission habe ausdrücklich bestätigt, dass die Regelung mit europäischem Recht vereinbar sei.
Ob und in welchem Ausmaß der Wolf bejagt werden darf, hängt vom Erhaltungszustand der Art ab. Der wird alle sechs Jahre im Rahmen der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) ermittelt.
Meldet Deutschland einen ungünstigen Erhaltungszustand?
Wenngleich sich der deutsche Wolfsbestand seit Anfang der 2000er-Jahre positiv entwickelt habe, weise die Art aufgrund der Gesamtschau dieser Kriterien im deutschen FFH-Bericht von 2019 insgesamt immer noch eine ungünstige Erhaltungssituation in der atlantischen - dazu gehört Niedersachsen - und kontinentalen biogeografischen Region auf - mit positiver Tendenz, so das Bundesministerium auf TAGEBLATT-Anfrage.

Ein Wolf ist in den Obstplantagen im Alten Land unterwegs. Foto: Lühs
Die Fakten: Seit dem Jahr 2018 hat sich die Zahl der Wolfsterritorien in Deutschland verdoppelt - von 122 auf 254, diese Zahlen wurden der EU gemeldet. In Niedersachsen ist der Unterschied noch größer. Hier gab es damals 15 Wolfsterritorien, heute sind es 55.
Blockiert Deutschland die Absenkung des Schutzstatus?
Wird die Bundesrepublik aufgrund des massiven Wachstums der Abstufung des Wolfs vom Anhang IV in den Anhang V der europäischen FFH-Richtlinie zustimmen? Im Dezember hatte die EU-Kommission den EU-Staaten vorgeschlagen, den Schutzstatus des Wolfs im Rahmen des Berner Übereinkommens - aus dem Jahr 1979 - von „streng geschützt“ auf „geschützt“ zu ändern. Dabei stützte sie sich auch auf neu gesammelte Daten. Durch den Kommissionsvorschlag soll das „aktive Management kritischer Wolfspopulationen erleichtert werden“.
Ohne eine Änderung des Schutzstatus des Wolfs im Rahmen des Berner Übereinkommens, dem die EU-Staaten und weitere Länder als Vertragspartner zustimmen müssen, kann der Status auf EU-Ebene nicht geändert werden. Nach Auskunft der zuständigen Pressestelle beim Europarat hat es ein erstes Treffen zur Beratung des Kommissionsvorschlags Anfang April gegeben. Eine Entscheidung gibt es aber noch nicht.
Umweltministerium kritisiert die EU-Kommission
„Deutschland hat sich, wie die überwiegende Mehrheit der Mitgliedsstaaten, mit kritischen Fragen zum Vorschlag der EU-Kommission geäußert“, sagt das Umweltministerium dazu. Eine finale Positionierung zu dieser Frage sei noch nicht erfolgt.
Das Umweltministerium kritisiert aber die EU-Kommission für ihren Vorschlag. „Angesichts von Klimakrise und Artenaussterben sollte es unser oberstes Ziel sein, unsere Lebensgrundlagen zu bewahren“, so eine Sprecherin. Daher sollte sich die Kommission nicht nur auf den Wolf fokussieren, sondern konkrete und zielführende Vorschläge gegen das Artenaussterben vorlegen. Es habe sich auch gezeigt, dass mehr und leichtere Abschüsse nicht unbedingt zu weniger Rissen bei Weidetieren führen würden.
Auch nach zwei Jahrzehnten keine konkrete Strategie
„In der Debatte über den Wolf hat Ministerin Lemke immer deutlich gemacht, die Sorgen der Menschen vor Ort und der Weidetierhalter ernst zu nehmen“, so das Ministerium. Die Existenz des Wolfes dürfe die Weidetierhaltung nicht gefährden.
Tatsache bleibt, dass es auch mehr als zwei Jahrzehnte nach der Rückkehr des Raubtiers nach Deutschland keine erkennbare Strategie gibt. Die Hauptsaison für Angriffe auf Weidetiere beginnt eigentlich erst im Sommer. Trotzdem gibt es nach dem Rekordjahr 2023 auch 2024 in den ersten Monaten viele tote Weidetiere. Schwerpunkte in der Region sind das nördliche Grenzgebiet zwischen den Kreisen Cuxhaven und Stade. Ein zweiter Schwerpunkt ist die Region zwischen Buxtehude, Neu Wulmstorf und Buchholz.
„Die von der Bundesumweltministerin und der Umweltministerkonferenz für den Jahresanfang 2024 in Aussicht gestellte Verordnung für eine schnelle Entnahme von Problemwölfen gibt es immer noch nicht“, beschreibt Stades Landrat Kai Seefried die Situation. Die Landräte aus Nordniedersachsen treffen sich am Montag, 22. April, mit Umweltminister Christian Meyer, um noch einmal Druck auf die Landesregierung zu machen.
Landrat Seefried: Wir machen uns als Behörden lächerlich
Umweltminister Meyer habe am Rande einer Veranstaltung im Stader Kreishaus eine Verordnung zum Schnellabschuss in Aussicht gestellt. Dass den Worten keine Taten folgten, untergrabe die Glaubwürdigkeit des Staates, so Seefried. „Wir verlieren jeden Tag Vertrauen in der Bevölkerung. Wenn wir keine rechtssichere Möglichkeit zum Handeln bekommen, machen wir uns als Behörde lächerlich.“
Nach den Wolfsattacken auf Schafherden in Jork und jüngst in Kranenburg sowie den Bildern eines Wolfes, der unbeeindruckt von Treckern und Personen im Alten Land durch Obstplantagen und Wohnsiedlungen streift, sei die Angst vor weiteren Vorfällen groß.
Küstenschutz: Wann kommen endlich wolfsfreie Zonen
Die Diskussion zeige einmal mehr: „Wir benötigen endlich wolfsfreie Zonen im Umfeld der Deiche“, sagt Seefried. Gebetsmühlenartig wiederholt er seit Monaten diese Forderung. „Der Küstenschutz ist für uns von elementarer Bedeutung - ohne die Deichschäfer mit ihren Schafherden wäre die Deichsicherheit unmittelbar bedroht“, so Seefried.

Deichschäfer Vasile Buza bringt eine Herde auf den Elbdeich bei Jork. Diese Herde wurde Mitte März von einem Wolf angegriffen. Foto: Vasel
Mit zunehmender Zahl an Wolfsrissen ziehen sich erste Schäfer vom Deich zurück. Insbesondere an der Oste ist das zu merken, aber auch an der Oberen Lühe habe ein Schäfer aufgegeben, weil dort ein Wolf gesichtet worden sei, berichtet Dierk König, Oberdeichrichter in der 1. Meile des Alten Landes.
75 Kilometer Hauptdeich an der Elbe und etwa 100 Kilometer Schutzdeich an Oste, Schwinge, Lühe/Aue und Este plus 45 Kilometer alter Deich als zweite Deichlinie schützen die Menschen und Tiere im Landkreis Stade vor Sturmfluten.
Über 10.000 Schafe sind auf den Deichen unterwegs
Zwischen 10.000 und 12.000 Schafe weiden auf den Deichen im Landkreis Stade, und verdichten mit ihren kleinen Klauen die Erde. In Kehdingen und an der Oste sind allein 20 Schäfer, davon sieben Berufsschäfer, unterwegs, sagt Dr. Albert Boehlke, Oberdeichrichter im Deichverband Kehdingen-Oste. „Die Profis bleiben dabei“, sagt er, aber immer mehr Hobbyschäfer, die kleinere Deichstücke an der Oste beweiden, gäben auf. Dort gab es schon mehrfach Risse.
„Es geht nicht nur um die finanzielle Seite“, so Boehlke, „es ist auch eine psychische Belastung, wenn man als Schäfer ein solches Schlachtfeld vorfindet“, und verweist auf die 55 Schafe, die vergangenen Sommer in Gräpel gerissen wurden. Wilhelm Ulferts, Oberdeichrichter der 2. Meile, wo es vor wenigen Wochen den ersten Wolfsriss gab, sagt: „Die Schafe sind durch keine Maschine zu ersetzen.“
Oberdeichgrafen wollen keine Wölfe in Deichnähe
Die festen Tritte und knappen Bisse an der Graswurzel sorgten für eine dichte Verwurzelung. „Das kriegt keine Schafsfußwalze hin“, so Ulferts. Alle drei Oberdeichgrafen fordern eine Schutzzone für den Deich von 20 bis 50 Kilometern.
Seit dem Angriff auf eine Schafherde bei Kranenburg am 14. April steht auch die Frage im Raum, wer haftet, wenn Weidetiere in Panik ausbrechen und beispielsweise in den Straßenverkehr geraten.
Das Land sieht sich dabei nicht in der Pflicht. „Der Tierhalter kommt grundsätzlich für Schäden auf, die seine Tiere verursachen. Dies gilt auch für Schäden, welche infolge von Naturereignissen geschehen“, so das Umweltministerium auf Nachfrage. Dazu gehörten auch Herdenausbrüche infolge von Raubtierangriffen auf die Weidetiere. Das niedersächsische Umweltministerium empfiehlt deshalb den Abschluss von Versicherungen.