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Kernkraftwerk

TDiese Idee macht Stades Reaktorkuppel zur speziellen Kultur-Bühne

Kunst und Kernkraftwerk, das passt zusammen: Medienkünstlerin Gudrun Barenbrock und Bassist Sebastian Gramss.

Kunst und Kernkraftwerk, das passt zusammen: Medienkünstlerin Gudrun Barenbrock und Bassist Sebastian Gramss. Foto: Strüning

Ein Happening macht die Kuppel des stillgelegten AKW Stade jetzt zum einmaligen Erlebnisraum. Ein Ingenieur hatte die Idee dazu, die Künstler haben Spannendes vor.

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Von Fenna Weselmann
Mittwoch, 22.10.2025, 17:50 Uhr

Stade. 20 Jahre Rückbau des Kernkraftwerks Stade: Vor dem endgültigen Abriss wird das Reaktorgebäude mit seinem Sicherheitsbehälter noch einmal groß in den Mittelpunkt gerückt. Zur Stader Woche der Industrie öffnet PreussenElektra die Türen zu einem einmaligen Kulturereignis, das unter dem Titel „Orbitale“ steht. Sie feiert damit auch Abschied von der Region, 2026 soll der Abriss abgeschlossen sein.

Bauingenieur bringt das Stader Kunstprojekt ins Rollen

Den Impuls für das Kunstprojekt gab Dr. Hans-Georg Willschütz. Der Maschinenbau-Ingenieur hat 2007 als Spezialist für Sicherheitsanalysen und Störfallszenarien bei PreussenElektra angefangen. Seit 2017 ist er Fachbereichsleiter für den Rückbau im Kernkraftwerk Stade.

Der Ideengeber: Diplom-Ingenieur Hans-Georg Willschütz.

Der Ideengeber: Diplom-Ingenieur Hans-Georg Willschütz. Foto: Strüning

Bei seinem Start in Stade war der kuppelförmige Sicherheitsbehälter des stillgelegten Atomkraftwerks noch mit 22.000 Tonnen Beton gefüllt. Diese wurden in den letzten Jahren mühsam ausgebaut, immer mit Rücksicht auf eventuell vorhandene radioaktive Strahlung. Dass alles abgeschaltet und abgewickelt wird, war für Mitarbeiter wie ihn anfangs kein leichter Schritt.

Nach dem „Tal der Tränen“ kam die Idee zur Orbitale

„Da war das AKW für mich wie ein Kadaver, den wir zerlegen, und nicht mehr die tolle Maschine, die es zu optimieren und zu sichern gilt“, beschreibt er sein Gefühl. „Jeder im Betrieb musste einmal durch dieses Tal der Tränen.“ Gleichzeitig reizte ihn die Aufgabe. „Das ist eine Ingenieursmeisterleistung“, so Willschütz.

Der vom Beton befreite Sicherheitsbehälter im Kernkraftwerk Stade wird jetzt zum Kunstort.

Der vom Beton befreite Sicherheitsbehälter im Kernkraftwerk Stade wird jetzt zum Kunstort. Foto: PreussenElektra

2022 war die reine Stahlkuppel freigelegt. Den außergewöhnlichen Raum wollte der Mitarbeiter nicht einfach dem Abriss preisgeben. „Ich hatte das Gefühl, dass man hier doch noch etwas machen muss, um andere an diesem komischen Ort teilhaben zu lassen“, sagt er.

So kam die Idee ins Rollen. Als Willschütz einer einstigen Klassenkameradin von der Idee erzählte, stieß diese ihn auf Medienkünstlerin Gudrun Barenbrock. „Ich war überwältigt von den Dimensionen“, erinnert sich die Künstlerin an ihren ersten Moment in der Kuppel.

Die monumentale Kuppel ist eine künstlerische Herausforderung

So einzigartig und spannend die monumentale AKW-Kuppel mit ihren 48 Metern Durchmesser als künstlerisch-gestalterischer Ort ist, stellte sie Barenbrock gleichzeitig vor eine enorme Herausforderung. „Die Begebenheiten sind nicht einfach. Auf einer gekrümmten Fläche lassen sich keine rechten Winkel projizieren, und der Raum hat ein wahnsinniges Echo“, erklärt sie mit Blick auf die Kunst-Installation.

Bespielen auf der Baustelle das Kernkraftwerk mit Kunst: Medienkünstlerin Gudrun Barenbrock und Bassist Sebastian Gramss.

Bespielen auf der Baustelle das Kernkraftwerk mit Kunst: Medienkünstlerin Gudrun Barenbrock und Bassist Sebastian Gramss. Foto: Strüning

Die Kölner Videokünstlerin und Malerin schafft begehbare Bildräume und hat schon diverse Orte mit ihren Werken bespielt. Ihre Installationen entstehen oft in Zusammenarbeit mit Klangkünstlern und Musikern. In diesem Fall holte Gudrun Barenbrock den Kölner Musiker Sebastian Gramss an ihre Seite.

Hat sein Kontrabass im Inneren des ehemaligen Meilers aufgebaut: Sebastian Gramss.

Hat sein Kontrabass im Inneren des ehemaligen Meilers aufgebaut: Sebastian Gramss. Foto: Strüning

Der Kontrabassist und Komponist von Jazz und zeitgenössischer Musik steht auf der Bühne und arbeitet für Hörspiel, Film und Theater. Gramss findet das Projekt „phänomenal“. „Es ist absolut einmalig und wohl die größte existierende Halbkugel, in der Kunst gemacht wird“, sagt der Kontrabassist. Die beiden Künstler aus Köln wohnen seit Montag für zwei Wochen in Stade, begleiten den Aufbau und bereiten sich auf nahezu 100 jeweils 15-minütige Aufführungen vor. Welturaufführung ist bereits an diesem Freitag, wenn PreussenElektra Betriebsfest feiert.

Die Installation macht die Geschichte des AKW erfahrbar

„Orbitale“ schafft ein einmaliges Raumerlebnis, in dem die Geschichte des Ortes - das Nostalgische und Kontroverse - mitschwingt. In die Installation fließt filmisches und fotografisches Material ein, das aus den 50 Jahren Atomkraftwerk - von der Einweihung bis zum Ist-Zustand des Rückbaus - am Standort Stade zusammengetragen wurde.

Letzte Besprechungen in der dunklen Kuppel, an deren Wänden Videos projiziert werden (von links): Sebastian Gramss, Hans-Georg Willschütz und Gudrun Barenbrock.

Letzte Besprechungen in der dunklen Kuppel, an deren Wänden Videos projiziert werden (von links): Sebastian Gramss, Hans-Georg Willschütz und Gudrun Barenbrock. Foto: Strüning

Der Titel verweist auf die unsichtbaren Bahnen der Elektronen um einen Atomkern - Bahnen, die nie festgelegt, sondern stets in Bewegung sind. Im Zentrum steht die archaische Ur-Energie mit den Kräften, die hier entfesselt und kontrolliert wurden. Barenbrock: „Seit jeher versucht der Mensch, das Feuer zu beherrschen.“ Auch „die Sonne als größtes Kraftwerk unserer Galaxie“ spielt eine Rolle.

Für alle, die nicht dort arbeiten, sei der Reaktor etwas Obskures - ein schwarzes Loch, so Barenbrock. Das Kunstprojekt mache die Kuppel nicht nur auf andere Weise sichtbar, sondern als physikalischen Resonanzkörper und sinnlichen Denkraum spürbar. Zu den Videos an der Wand aus sechs Projektoren klingen langgezogene, schwingende Töne. Gramss spielt dazu live am Kontrabass.

Idee von PreussenElektra ist es auch, die Perspektive zu verändern und das Ergebnis zu zeigen, wenn alles ausgeräumt ist und nur noch blankes Material übrig bleibt. „Diesen Raum so zu haben, dass er keinen Kontrollbereich mehr darstellt und Besucher kommen können, ist eine einmalige Gelegenheit, die es so nie wieder geben wird“, freut sich Willschütz über das Projekt.

Für den 28. Oktober gibt es wegen Rückgabe einzelner Tickets Restkarten über https://stade-tourismus.de/de/woche-der-industrie/.

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