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Praxisbesuch

Draufzahlen beim Facharzt? – Neues System bei Terminvergabe

Union und SPD planen ein neues System für die Terminvergabe beim Arzt. (Archivbild)

Union und SPD planen ein neues System für die Terminvergabe beim Arzt. (Archivbild) Foto: Daniel Karmann/dpa

Erste Anlaufstelle für Patienten sollen nach dem Willen von Union und SPD künftig „Primärärzte“ sein. Wer dennoch direkt zum Facharzt will, soll aus Sicht der Bundesärztekammer zahlen.

Von Stefan Heinemeyer und Sascha Meyer Montag, 31.03.2025, 10:00 Uhr

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Berlin. Die Bundesärztekammer unterstützt schwarz-rote Pläne, den Zugang zu Fachärzten über ein „verbindliches Primärarztsystem“ zu steuern. „Eine wirklich smarte Patientensteuerung könnte helfen, die knappen ärztlichen Ressourcen viel effizienter zu nutzen und auch die Kosten insgesamt spürbar zu senken“, sagte Ärztepräsident Klaus Reinhardt der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Der Hausarzt sollte erste Anlaufstelle sein und nur im Bedarfsfall an Fachpraxen weiterleiten, erläuterte Reinhardt.

Die Arbeitsgruppe Gesundheit in den Koalitionsverhandlungen schlägt ein „verbindliches Primärarztsystem“ vor. Ausnahmen sollen für die Augenheilkunde und die Gynäkologie gelten. Für Patienten mit einer „spezifischen chronischen Erkrankung“ soll eine besondere Lösung erarbeitet werden. Genannt werden hier etwa Jahresüberweisungen.

Union und SPD versprechen sich von den Maßnahmen insgesamt eine schnellere Terminvergabe sowie eine zielgerichtetere Versorgung. Sie gehen zudem von Einsparungen aus, die im Jahr 2028 zwei Milliarden Euro erreichen könnten.

Kein Weg zum Facharzt nach „Gutdünken“

Patienten sollten weiterhin ihre Ärzte wählen oder wechseln, „aber nicht mehr willkürlich jede Versorgungsebene nach Gutdünken ansteuern können“, sagte Reinhardt. Klar sei auch in der Konsequenz, dass jemand, der auf eine Behandlung jenseits der ihm angebotenen Wege bestehe, sich dann auch selbst an den zusätzlichen Kosten beteiligen müsse.

Es könne dabei nicht Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten sein, Strafgebühren für die Krankenkassen einzuziehen. Als Optionen nannte der Bundesärztekammerpräsident eine Selbstbeteiligung, die von den Versicherten mit den Kassen abzurechnen sei, bis hin zu gestaffelten Kassentarifen.

„Gelobtes Land“ versprochen

Der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, meldete Zweifel an der Realisierbarkeit der Pläne von Union und SPD an. „Es ist zu schön, um wahr zu sein. Durch Patientensteuerung der Hausärzte wird das gelobte Land versprochen. Bessere Patientenversorgung, zeitnahe Facharzttermine, Kosteneinsparung in Milliardenhöhe sollen dann möglich sein“, kommentierte Brysch die Vorhaben.

Ärztevertreter begrüßen die schwarz-roten Pläne. (Archivbild)

Ärztevertreter begrüßen die schwarz-roten Pläne. (Archivbild) Foto: Gregor Fischer/dpa

Unklar sei aber, wer als chronisch krank eingestuft werde. Dies seien 50 Prozent der Erwachsenen. Auch wies er auf Zusatzbelastungen für Hausärzte hin. Pro Hausarztpraxis dürften 2.000 Patientinnen und Patienten mehr zu betreuen sein. Zudem gebe es Regionen, wo schon heute Primärpraxen Neupatienten ablehnen, sagte Brysch der dpa.

Kritik an Konzept aus anderen Parteien

Die AfD wies die Pläne für ein Primärarztsystem grundsätzlich zurück. „Es ist unnötige Schikane der Patienten, sie künftig nur noch über Umwege zum benötigten Facharzt zu lassen“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, Martin Sichert, der „Welt“. Der Hausärztemangel werde sich verschärfen, wenn Patienten künftig vor jedem Facharzttermin zum Hausarzt müssten, warnte er.

Auch die Linke lehnte den Vorschlag der Koalitionsverhandler ab. „Schwarz-Rot arbeitet an der eigentlichen Problematik vorbei. Lotsen in der gesundheitlichen Versorgung wären gut, aber zusätzliche Hürden erhöhen die Gefahr, dass Menschen mit ernsthaften Beschwerden keine oder erst zu spät eine gute Versorgung erhalten“, sagte Linken-Vize Ates Gürpinar der „Welt“. Dass der Präsident der Bundesärztekammer wolle, dass sich Menschen mit Geld in der Tasche freikaufen können, erhöhe die Ungleichbehandlung massiv.

Die FDP mahnte mehr Effizienz im Gesundheitssystem an. „Um Ärzte zu entlasten und die Leistungen für die Patienten zu verbessern, sollten wir vorrangig über Mechanismen wie Beitragsrückerstattungen und den verstärkten Einsatz von Telemedizin, aber vor allem über Entbürokratisierung sprechen“, sagte FDP-Vize Bettina Stark-Watzinger der „Welt“.

Das „Praxenland“ steht unter Druck

Die Zahl der Praxisärzte in Deutschland nimmt weiter zu – die Behandlungskapazitäten für die Patienten bleiben aber oft angespannt und regional unterschiedlich. Ende vergangenen Jahres waren 189.551 Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit Kassenzulassung tätig. Das sind 2.110 mehr als Ende 2023 und so viele wie nie zuvor. Zugleich nimmt aber auch Teilzeitarbeit zu, wie die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) mitteilte. Patientenschützer forderten gezieltere Praxis-Ansiedlungen.

KBV-Chef Andreas Gassen sagte: „Noch ist Deutschland Praxenland.“ Doch klar sei auch: „Die Ressource Arztpraxis ist kein Selbstläufer, und die Ressource Arztzeit bleibt ein knappes Gut.“ Immer mehr junge Medizinerinnen und Mediziner entschieden sich für eine Anstellung statt einer eigenen Praxis oder für Arbeit in Teilzeit - der Anteil solcher Tätigkeiten mit reduzierter Stundenzahl stieg von 2023 zu 2024 von durchschnittlich 35,8 Prozent auf 37,9 Prozent.

Dieser Trend führt dazu, dass die Zahl der Ärzte stärker steigt als die tatsächliche Behandlungskapazität. Denn einen vollen Arztsitz zur Versorgung gesetzlich Versicherter können sich zum Beispiel auch zwei Ärztinnen teilen.

Hausärzte stabilisiert – aber mehr Ältere

Bei den Hausarztpraxen als wichtigen ersten Anlaufstellen hat sich die Lage etwas stabilisiert. Schon Ende 2023 war erstmals seit längerem kein Rückgang mehr verzeichnet worden. Mit Stand Ende 2024 stieg die Zahl der Hausärzte um 308 auf 55.435 und die Zahl der vollen Sitze um 47 auf 51.437. Allerdings hatte es zehn Jahre zuvor noch 551 volle Hausarztsitze mehr gegeben.

Außerdem zeichnet sich seit längerem eine Ruhestandswelle ab, und das heißt vor allem auf dem Land: Praxisnachfolge dringend gesucht. Der Altersschnitt bei Hausärzten liegt mit 55,1 Jahren etwas über dem aller Ärzte (54,5 Jahre).

Vor allem im Westen der Republik ist der Handlungsbedarf dringlicher: So sind in Rheinland-Pfalz 21,3 Prozent der Hausärzte über 65 Jahre alt, in der Region Westfalen-Lippe 19,2 Prozent und im Saarland 18,8 Prozent – in Mecklenburg-Vorpommern dagegen nur 8,3 Prozent und in Sachsen 9,7 Prozent.

Ärztinnen holen auf

Frauen sind in den Praxen weiter auf dem Vormarsch. Psychotherapeutinnen und Ärztinnen kommen zusammen auf 52,4 Prozent, nachdem sie 2022 die 50-Prozent-Marke überschritten hatten. Betrachtet man nur Ärztinnen, stieg ihr Anteil auf 46,7 Prozent.

Dabei gilt: Je jünger, desto weiblicher. Bis zur Schwelle von 39 Jahren haben Ärztinnen einen Anteil von 57,2 Prozent und zwischen 40 und 49 Jahren von 55,6 Prozent. Über 65 Jahre gibt es noch mehr als 70 Prozent männliche Ärzte.

Regional betrachtet ist der Anteil der Ärztinnen und Psychotherapeutinnen in den östlichen Bundesländern höher – sie sind dort überall in der Mehrheit. Am höchsten ist der Frauenanteil im Land Berlin mit 59,7 Prozent. (dpa)

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