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Asyl-Politik

TDrohende Abschiebung: Angehörige wollen Pfleger retten

Valentina Tuscon und Diego Arenas - für die Kamera lächeln sie. Doch sie fürchten um ihr Leben, denn in Kolumbien warten schon die Rebellen auf die beiden.

Valentina Tuscon und Diego Arenas - für die Kamera lächeln sie. Doch sie fürchten um ihr Leben, denn in Kolumbien warten schon die Rebellen auf die beiden. Foto: Matthiesen

Zehn kolumbianische Pflegekräfte des Heims für demenzkranke Menschen sollen abgeschoben werden. Der Betreiber schlägt Alarm. So wollen Heimleitung und Angehörige die Menschen und das Haus retten.

Von Saskia Harscher Freitag, 15.11.2024, 08:30 Uhr

Wilstedt. Für die Menschen, die in dem Wilstedter Pflegeheim „Haus Wilstedt“ leben, muss der Alltag weitergehen. Die meisten der Frauen und Männer in der Einrichtung sind schwer demenzkrank und können ohne intensive Pflege, die in vielen Fällen eine Eins-zu-eins-Betreuung bedeutet, nicht leben.

Alle dort arbeitenden Frauen und Männer kümmern sich also weiterhin so um die Bewohnerinnen und Bewohner, wie sie es sonst auch tun. Und dennoch ist dieser Tage alles anders.

Zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern droht die Abschiebung. Sie sollen verschwinden, weil ihre Asylanträge abgelehnt wurden. Doch das hätte für das Haus und die Menschen dort einschneidende Auswirkungen. Heimbetreiber Tino Wohlmacher befürchtet, die Pflege im Haus nicht aufrechterhalten zu können, wenn mit den kolumbianischen Mitarbeitern insgesamt ein Drittel der Belegschaft von heute auf morgen fehlt.

Anne Weiss ist eine von vielen Angehörigen, die sich jetzt große Sorgen machen. Weiss‘ Mutter lebt im „Haus Wilstedt“. Eine vertraute Umgebung, vertraute Menschen, die sie betreuen, sind für die Seniorin wichtig.

Bewohner brauchen vertraute Menschen in der Pflege

Auf Veränderungen reagiert ihre Mutter mit Panikanfällen, sagt Weiss. Und so gehe es auch anderen Bewohnern, erzählt sie. Alle sorgten sich davor, was passiert, wenn sie für ihre Eltern, Ehepartner oder Partner einen neuen Betreuungsplatz suchen müssen. Für Weiss und ihre Familie würde das vermutlich weite Wege bedeuten. Längst nicht jeder könne seine Angehörigen dann noch so häufig besuchen wie bisher. Die Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung ist auch keine Option, sagt Weiss. „Da gehören diese Menschen nicht hin.“

Doch es gehe in diesem Fall, der als Beispiel für noch viele weitere in Deutschland stehe, um viel mehr, betont sie.

Eine Woche durfte er mit der Oberliga Mannschaft des Heeslinger SC trainieren. Darauf ist Diego Arenas stolz. Ansonsten kickt er in Tarmstedt, denn seine große Leidenschaft gehört dem Fußball.

Eine Woche durfte er mit der Oberliga Mannschaft des Heeslinger SC trainieren. Darauf ist Diego Arenas stolz. Ansonsten kickt er in Tarmstedt, denn seine große Leidenschaft gehört dem Fußball. Foto: Matthiesen

Junger Pfleger fürchtet bei Abschiebung um sein Leben

Anne Weiss ist als Angehörige nicht nur persönlich betroffen, sondern sie engagiert sich im Flüchtlingsrecht und kritisiert die nach ihren Worten unmenschliche Asylpolitik. Denen mit Abschiebung bedrohten Pflegehelfern drohe bei Rückweisung in ihr Heimatland Kolumbien Gewalt und Tod, sagt sie. Als Beispiel nennt sie Pflegehelfer Diego Arenas. Der heute 20-Jährige ist mit 17 Jahren vor Guerilla-Truppen aus seiner Heimat geflohen, die ihn zwangsrekrutieren wollten. Diego Arenas selbst fürchtet in Kolumbien um sein Leben, wenn er abgeschoben wird, wie er im Gespräch mit unserer Zeitung sagt.

Es macht sie fassungslos, so Anne Weiss, wenn von der Behördenseite nun gesagt werde, dass die Kolumbianer sich über die in Deutschland geltenden Vorschriften und Regeln hätten informieren müssen und auf legalem Wege hätten einreisen sollen. Wenn es um Leib und Leben geht, „dann packt man seine Koffer und geht“, sagt Weiss und schiebt nach: „Jeder von uns würde es genauso machen.“

Diego Arenas arbeitet gern mit seinen Alten, wie er die Bewohner im Haus Wilstedt liebevoll nennt. Denn in Kolumbien hat man Respekt vor älteren Menschen.

Diego Arenas arbeitet gern mit seinen Alten, wie er die Bewohner im Haus Wilstedt liebevoll nennt. Denn in Kolumbien hat man Respekt vor älteren Menschen. Foto: Ernst Matthiesen

Angehörige startet eine Online-Petition

Als Angehörige hat Weiss über die Online-Plattform innn.it eine Petition mit dem Titel #ZuhauseRetten (https://innn.it/zuhauseretten) gestartet. „Um das Haus zu retten“, wie sie wissen lässt. Am Donnerstagnachmittag hatten sich dort bereits fast 2.000 Menschen registriert. Dabei geht es nicht um einen Spendenaufruf, betont Weiss. Ziel der Aktion ist es, Öffentlichkeit zu erzeugen und damit möglichst auch Druck auf die Politik aufzubauen. Geplant ist, die Unterschriftensammlung dem Bundesministerium oder dem Niedersächsischen Innenministerium zu übergeben, verbunden mit der Forderung, dass sich mit dem Fall befasst werden soll und muss.

Die Hoffnung ist, etwa über ein Härtefallersuchen die Abschiebung der Kolumbianer zu verhindern und zu erreichen, dass ihnen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Eine Möglichkeit, die das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet, kurz: Aufenthaltsgesetz, biete.

Weiss freut sich, dass die lokalen Medien das Thema so schnell aufgegriffen haben. Und nicht nur sie. Das Thema hat bundesweit Wellen geschlagen. Zahlreiche Journalisten und Fernsehteams steuern derzeit das Wilstedter Pflegeheim an, um über den Fall zu berichten.

Auch andere Seniorenheime sind betroffen

Denn klar ist, dass das Problem längst nicht nur Wilstedt betrifft. Allein im Bereich der Samtgemeinde muss man nicht lange suchen: Auch im benachbarten Tarmstedt arbeiten Kolumbianerinnen und Kolumbianer im Seniorenheim, gibt Barbara Franke vom Freundeskreis Asyl in der Samtgemeinde Tarmstedt (FAST) zu bedenken und sagt: „Die Einrichtungen müssen sich verknüpfen.“

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