TPflegekräfte fürchten um ihr Leben - Jetzt greift der Landrat ein

Eine Woche durfte er mit der Oberliga-Mannschaft des Heeslinger SC trainieren. Darauf ist Diego Arenas stolz. Ansonsten kickt er in Tarmstedt, denn seine große Leidenschaft gehört dem Fußball. Foto: Matthiesen
Die Nachricht regt viele auf, sorgt für Kritik an Gesetz und Ministerium: Zehn Kolumbianern droht die Abschiebung, dem Heim für Demenzkranke das Aus. Alles wegen einer falschen Unterschrift.
Wilstedt. Für Heimbetreiber Tino Wohlmacher steht fest: Ohne die pflegerische Versorgung der Bewohner des Wilstedter Pflegeheims durch seine kolumbianischen Mitarbeiter steht die Pflege dort auf der Kippe. Sollten die zehn Frauen und Männer abgeschoben werden, weil ihre Asylanträge abgelehnt wurden, dann würde er auf einen Schlag ein Drittel seiner Beschäftigten verlieren. Damit drohe die Heimschließung.
Kritik an „Ablenkungsmanöver“ des Innenministeriums
Das Innenministerium Niedersachsen hatte der Heimschließung bereits am Mittwoch widersprochen - weil für den 14. November keine Abschiebungen geplant gewesen seien. „Das ist ein Ablenkungsversuch. Ob das nun am 14., 16. oder 20. passiert, ändert rein gar nichts daran: Wir können unsere Mitarbeiter nicht einfach so ersetzen“, kritisiert Heimleiterin Andrea Wohlmacher und schiebt nach: „Es ist für viele Menschen unbegreiflich, dass in einer Zeit, in der Pflegenotstand die Nachrichten beherrscht, Pflegeheimen solche Steine in den Weg gelegt werden.“
Jetzt hat sich Rotenburgs Landrat Marco Prietz eingeschaltet und die Innenministerin Nancy Faeser gebeten, dem Landkreis innerhalb des bestehenden Rechts Wege aufzuzeigen, die es ermöglichen, bereits arbeitenden Kolumbianern einen dauerhaften Aufenthalt zu ermöglichen. Laut Landkreis-Sprecherin Christine Huchzermeier steht eine Antwort aus Hannover bislang aus.

48 Demenzkranke werden in dem Pflegeheim in Wilstedt betreut. Die Heimleitung ist entsetzt. Foto: Harscher
Landkreis steht vor einem herausfordernden Zwiespalt
Landrat Prietz selbst begründet sein Vorgehen so: „In unserem Landkreis stehen wir vor einem herausfordernden Zwiespalt. Auf der einen Seite handeln wir nach den Vorgaben des Aufenthaltsgesetzes. Auf der anderen Seite haben wir einen akuten Bedarf an Arbeitskräften“, teilt er mit.
Viele der Kolumbianer, so der Landrat, kommen wie Touristen mit dem Flugzeug ins Land ohne Chance auf Anerkennung eines Asylantrags. „Gleichzeitig arbeiten sie jedoch und fallen dem Staat nicht zur Last, sondern bereichern ihn.“
Nachbarkreise
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Wünschenswert wären demnach andere gesetzliche Grundlagen, um die Integration von Menschen zu ermöglichen, „die sich in unserem Arbeitsmarkt einbringen und arbeiten möchten, selbst wenn sie kein Recht auf Asyl haben“, betont Prietz.
Pflegekräfte fürchten bei Abschiebung um ihr Leben
Tino Wohlmacher betont, dass die betroffenen Pflegekräfte „an Leib und Leben bedroht“ seien, falls sie nach Kolumbien zurückkehren müssten.
Dass er große Angst davor hat, getötet zu werden, macht Pflegehelfer Diego Arenas im Gespräch mit der „Zevener Zeitung“ deutlich. Als 17-Jähriger ist er aus seiner Heimat geflüchtet, weil er von einer paramilitärischen Organisation mit dem Tod bedroht wurde. Genau diese Rebellen würden nur auf ihn warten, sollte er nach Kolumbien zurückkehren müssen, sagt er. Für den heute 20-Jährigen war es aufgrund der akuten Bedrohung geradezu logisch, Asyl zu beantragen.
Arbeitsmarkt
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Gesetzgeber schließt sogenannten Spurwechsel aus
Ein Fehler, wie er und auch sein Arbeitgeber jetzt feststellen mussten. Zielführender für kolumbianische Staatsangehörige sei es, sich aus ihrem Herkunftsland heraus um einen Aufenthaltstitel etwa im Rahmen der Fachkräfte-Einwanderung zu bemühen, teilt die Landkreis-Sprecherin auf Anfrage mit. Voraussetzung dafür sei der Nachweis einer entsprechenden Ausbildung.
Eine Zwickmühle, denn das gesetzliche sogenannte Spurwechselverbot lässt es nicht zu, dass erfolglos gebliebene Asylsuchende von ihrem bisherigen „Asylaufenthalt“ zu einem „Arbeitsaufenthalt“ wechseln, teilt Huchzermeier auf Anfrage mit.
500 kolumbianische Staatsangehörige im Kreis Rotenburg
Laut Landkreis-Sprecherin leben zurzeit rund 500 kolumbianische Staatsangehörige im Landkreis Rotenburg. Der weitaus überwiegende Teil dieser Gruppe befand oder befindet sich in einem Asylverfahren und ist visafrei in den Schengenraum eingereist, heißt es aus dem Kreishaus.
In Wilstedt will man nicht aufgeben: Heimleitung, Belegschaft und die Angehörigen-Initiative fordern trotz des nicht korrekten Hergangs der Einreise, den Menschen, die bereits seit zwei Jahren hier sind, mit Menschlichkeit zu begegnen und ihnen Bleiberecht zu gewähren. „Wahre Menschlichkeit zu zeigen, ist heute ein seltenes Gut, und diese Menschlichkeit kostet irgendjemand da oben nur eine Unterschrift, davon bin ich überzeugt“, so Tino Wohlmacher. „Meine zehn kolumbianischen Mitarbeitenden zeigen diese Menschlichkeit in ihrer Arbeit jeden Tag.“