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Gastronomie

TEnde einer Gaststätte mit Herz: Inges Klönstuv in Himmelpforten schließt

Inge Krämer in der kleinen Küche der Klönstuv. Hier haben sie und ihr Team 30 Jahre lang gekocht. Ab Januar ist die Gaststätte geschlossen.

Inge Krämer in der kleinen Küche der Klönstuv. Hier haben sie und ihr Team 30 Jahre lang gekocht. Ab Januar ist die Gaststätte geschlossen. Foto: Klempow

Eine Ära geht in Himmelpforten zu Ende. Inge Krämer schließt ihre Klönstuv. Silvester ist zum letzten Mal geöffnet, ist zum letzten Mal der Lieferdienst unterwegs. Von Mahlzeiten, Klönminuten und Lichtblicken an stillen Tagen.

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Von Grit Klempow
Dienstag, 26.12.2023, 09:00 Uhr

Himmelpforten. Der Tag ist düster. Wind von vorne, Regen von oben. Davon bekommt Inge Krämer kaum etwas mit. Sie steht in der Küche ihrer Gaststätte Klönstuv. Kaum größer als eine Schiffskombüse ist die Küche. Hier rührt Inge Krämer Soßen um, hält Grünkohl heiß, paniert Fisch und ruft ihren Gästen noch fröhlich einen guten Tag zu. Inge Krämer ist mit ihrer herzlichen Art der Lichtblick an diesem Tag. Das wissen alle zu schätzen, die hierher kommen. Aber die Tage der Klönstuv sind gezählt.

Achterbahnfahrt der Gefühle vor dem letzten Tag

Silvester öffnet sie zum letzten Mal, von morgens um 9 Uhr bis abends um 18 Uhr. Für die Stammgäste ist das ein tiefer Einschnitt. Auch Inge Krämers Gefühlslage ist ein ganz schönes Kuddelmuddel.

„Eine Achterbahnfahrt“, sagt sie. 30 Jahre hat sie die Klönstuv gehabt, hat Energie, Freude und Kraft investiert, hat sich um viele andere gekümmert. Jetzt will sie an sich und ihre Familie denken. Aber nur an sich zu denken ist nicht wirklich ihre Art. Deshalb fällt ihr der Abschied auch so schwer. Sie hat vergeblich nach Nachfolgern gesucht.

Das Telefon klingelt. Inge Krämer hat damit gerechnet. „Na, wullt du kniepen?“, fragt sie und lauscht. „Kein Problem, natürlich bringen wir dir was. Bevor du einen Schnupfen zu Weihnachten hast..., da mach dir mal keinen Kummer drum.“ Kurzfristige Bestellungen für den Lieferservice - bei so schlechtem Wetter kommt das häufig vor. Heute gibt es Grünkohl, den essen die älteren Herrschaften gern. Zehn Kilo hat Inge Krämer schon am Vortag verarbeitet.

Nadine Hansen stellt die letzte Essenslieferung der Klönstuv für die Kita Düdenbüttel in die Küche. Dort übernimmt jetzt der Lieferservice des Deutschen Rotes Kreuzes.

Nadine Hansen stellt die letzte Essenslieferung der Klönstuv für die Kita Düdenbüttel in die Küche. Dort übernimmt jetzt der Lieferservice des Deutschen Rotes Kreuzes. Foto: Klempow

Der Lieferdienst als familiäres Netz

Mit einem Schwall Winterwind kommt Nadine Hansen durch die Tür. Sie ist als Fahrerin des Lieferdienstes dafür zuständig, dass alle bestellten Portionen pünktlich und noch heiß ankommen. Nadine Hansen faltet die Zeitungsstapel auseinander. Fünf bis sechs Zeitungsseiten halten das Essen auf den Mehrweg-Tellern mit Abdeckhaube heiß. Gekonnt schlägt Inge Krämer die Teller ein, die Päckchen stapelt Nadine Hansen in die Warmhaltebox. Los geht die erste Tour.

Nadine Hansen kennt alle Kunden auf ihrer Liste gut. So wie die Klönstuv ein Treffpunkt mit Herz ist, so gehört der Lieferdienst zum familiären Netz. Wie der Ausläufer eines Wetterhochs, das Wärme und Licht bringt. Nadine Hansen weiß, wer zu gerne noch ein paar Worte schnackt. Wer Familie nebenan hat oder tagein, tagaus allein ist.

Seit 2020 ist sie als Fahrerin im Team. Sie fährt zu kleinen Gehöften, wo die Ställe schon lange leer stehen. Zu barrierefreien Bungalows im Neubaugebiet. Sie weiß, wer ein bisschen tüdelig oder demenzkrank ist. Sie stellt das Essen wie verabredet auf den Tisch im Flur oder hat in Ausnahmefällen einen Schlüssel, wenn der Weg zur Haustür für die Bewohner ein Kraftakt ist.

Ein paar Minuten zum Klönen abzwacken

„Komm mal her, mien Deern, setz dich noch mal fünf Minuten.“ Ein Wunsch, den Nadine Hansen oft hörte und meistens nicht erfüllen kann. Das Essen soll heiß abgeliefert werden, andere warten. „Ich hab dann nicht so die Zeit“, sagt sie. Leider. Manchmal zwackt sie eine Minute ab, immer mal wieder für jemand anderen. Sie weiß, wie viel ein Klönschnack bedeutet, wenn das Haus sonst still ist.

„Wenn wir kommen, ist das für einige das Highlight des Tages“, weiß Inge Krämer. Ein feines soziales Netz hat sich in 30 Jahren um die Klönstuv gebildet. Gäste kamen zum Mittagstisch. Sie buchten später den Lieferdienst, zogen, wenn die Kraft schwand, ins betreute Wohnen oder ins Seniorenheim um. Sie bleiben in Erinnerung.

Notfall-Listen mit Telefonnummern von Angehörigen

Kleine Alltagshindernisse räumt Nadine Hansen bei der Lieferung mal eben mit aus dem Weg: Sie stellt die Uhr oder dreht den festen Verschluss der Wasserflasche auf. „Auch Stützstrümpfe habe ich schon mal ausnahmsweise ausgezogen“, sagt sie und lächelt. Umsicht gehört zu ihrem Job. Macht einer nicht wie verabredet die Tür auf, meldet sie sich in der Klönstuv. „Wir haben Notfall-Listen mit Telefonnummern von Angehörigen“, erzählt Inge Krämer. Auch den Notruf hat das Team schon gewählt.

Fünf Essen liefert Nadine Hansen an diesem Tag in Hammah aus. Sie gibt auch die letzten Bestellzettel für die nächste Woche ab, die letzte Woche der Klönstuv.

Letzte Station dieser Tour ist die Kita Düdenbüttel. Es ist die allerletzte Lieferung überhaupt an einen Kindergarten. Zum Abschied hat Inge Krämer noch einmal Fisch auf den Kita-Speiseplan gesetzt. Früher bekochten Inge Krämer und ihr Team gleich mehrere, aber das hatte sie peu à peu zu ihrer Entlastung abgegeben. Kaum zu glauben, dass das in der lütten Kombüse überhaupt jahrelang so gut geklappt hat.

Unerwartete Unterstützung in der Pandemie

Bewegte Zeiten hat Inges Klönstuv hinter sich. Zeitweilig waren sogar zwei Fahrer unterwegs, so gefragt war der Lieferdienst. In der Pandemie hielt das soziale Netz, fing umgekehrt nun auch die Klönstuv und ihr Team auf. „Ich fand es einfach mega, unglaublich“, sagt Inge Krämer. Sie ist dankbar. Plötzlich kam Unterstützung auch ganz unerwartet von Menschen, die vorher gar nicht zu den Gästen zählten. „Das hat uns schon gerettet. Es war ja auch mental eine schwierige Zeit.“

Mental ist es auch derzeit nicht leicht. Erinnerungen fluten die letzten Tage. Inge Krämers Enkelin ist nach der Schule mit ihrem Opa in die Klönstuv gekommen. „Früher waren es meine Kinder, die hier nach der Schule standen“, sagt Inge Krämer und drückt die Elfjährige an sich.

Nadine Hansen holt weitere Portionen ab. An der ersten Adresse wird sie ein besonderes Auge auf die Dame haben, die dement ist. An der zweiten gehört es dazu, dem Hausherrn das Essen in der Küche eben aufzutischen und auch dem kleinen Hundeknäuel zu seinen Füßen noch schnell den Napf zu füllen.

Helga und Hans-Heinrich Heinsohn im Gespräch mit Nadine Hansen.

Helga und Hans-Heinrich Heinsohn im Gespräch mit Nadine Hansen. Foto: Klempow

Treffpunkt für Ältere und Gruppen

Beim dritten Halt wartet das Ehepaar Heinsohn. Helga Heinsohn kocht noch selbst. „Wir kennen Inge mindestens 15 Jahre. Schade, dass sie aufhört“, sagt Helga Heinsohn. Ab Januar liefert die Gaststätte Jarck das Mittagessen auf Bestellung. Ebenso zu Erika Braack. Ihr ist das Wetter heute zu schlecht für den Gang zur Klönstuv, erzählt sie, als Nadine Hansen ihr das Essen in die Küche stellt. Sonst isst sie auch gerne dort und trifft sich mit vier, fünf anderen Frauen.

Erika Braack kommt auch gerne zum Essen in die Klönstuv. Aber wenn das Wetter zu schlecht ist, freut sie sich über den Lieferdienst.

Erika Braack kommt auch gerne zum Essen in die Klönstuv. Aber wenn das Wetter zu schlecht ist, freut sie sich über den Lieferdienst. Foto: Klempow

Die Klönstuv als Treffpunkt wird fehlen. Der Sportvereins-Stammtisch hat schon Tschüss gesagt. Eine andere Gruppe hatte einst im Landhaus Hammah eine Bleibe und muss nun wieder Abschied nehmen. Nadine Hansen startet im roten Klönstuv-Flitzer zur letzten Tour. Wenn alles klappt, kann sie im nächsten Job vielleicht weiter Essen ausliefern.

Inge Krämers Gefühlslage ist wechselhaft wie das Wetter, irgendwo zwischen Graupelschauer und Sonnenschein, zwischen Grummeln und Vorfreude. Heiligabend wird es Kartoffelsalat und Würstchen geben. Wie immer. Auch am letzten Tag, an Silvester. Stammgäste, Familie und Freunde werden kommen. In der Klönstuv gibt es dann aber auch Sekt. Inge Krämer lacht: „Und Taschentücher.“

Inge Krämer in der kleinen Küche der Klönstuv. Silvester wird sie hier zum letzten Mal das Essen für den Lieferdienst vorbereiten.

Inge Krämer in der kleinen Küche der Klönstuv. Silvester wird sie hier zum letzten Mal das Essen für den Lieferdienst vorbereiten. Foto: Klempow

Das Lächeln gehörte dazu - jetzt schließt Inges Klönstuv in Himmelpforten.

Das Lächeln gehörte dazu - jetzt schließt Inges Klönstuv in Himmelpforten. Foto: Klempow

Renate und Johann Kröger aus Oldendorf haben Inge Krämers Grünkohl zum Mittagstisch probiert. „Hat sie gut gemacht", lobt Renate Kröger.

Renate und Johann Kröger aus Oldendorf haben Inge Krämers Grünkohl zum Mittagstisch probiert. „Hat sie gut gemacht", lobt Renate Kröger. Foto: Klempow

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