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Interview

TFranziska Hartmann: Eine Rolle mit verheerender politischer Botschaft?

Schauspielerin Franziska Hartmann erhielt 2024 in der Kategorie „Dramatische Hauptrolle“ den Deutschen Schauspielpreis.

Schauspielerin Franziska Hartmann erhielt 2024 in der Kategorie „Dramatische Hauptrolle“ den Deutschen Schauspielpreis. Foto: Joerg Carstensen/dpa

Die dritte Folge der Krimi-Reihe „Katharina Tempel“ ist bald im TV zu sehen. Franziska Hartmann spielt eine taffe Kommissarin - die wegen ihres gewalttätigen Mannes durch die Hölle geht.

Sonntag, 23.03.2025, 05:50 Uhr

TAGEBLATT: Frau Hartmann, sind Sie eigentlich eine Frau, die gern an ihre Grenzen geht?

Franziska Hartmann: Ja, vor allem auf der Bühne und vor der Kamera. Da genieße ich oft Situationen, bei denen ich weiß, das hätte ich im echten Leben nie gemacht. Im November in die eiskalte Nordsee zu springen oder ein Kaninchen zu häuten, solche Dinge zum Beispiel. Kürzlich erst bin ich von jetzt auf gleich für eine erkrankte Hauptdarstellerin in „Blue Skies“ eingesprungen, das war herrlich. Ich hatte gerade noch Zeit, mir einmal das Video anzuschauen, in ihre Kostüme zu schlüpfen und eine lange blonde Perücke aufgesetzt zu bekommen. Und dann habe ich das ganze Ding mit Knopf im Ohr vor 1000 Leuten gespielt. Da war ich genau in meinem Element. So was ist wie ein Rausch. Du hast vorher keine Ahnung, wie das funktionieren soll, aber du weißt, es wird funktionieren.

Sie haben in den vergangenen fünf Jahren nicht nur Corona überstanden, sondern auch zwei Kinder zur Welt gebracht und gleich für mehrere Filme fast nebenbei noch große Preise eingesammelt. Wie schaffen Sie das?

Tatsächlich liebe ich es sehr, viele Dinge gleichzeitig zu machen und zu schaffen. Zum Beispiel, einen Film zu drehen und zwischendrin noch zu stillen, weil das Baby mit am Set ist. Und zugleich eigentlich schon die Anprobe für den nächsten Film zu haben. Ich habe mal gleichzeitig in Berlin und in Stralsund gedreht, teilweise am selben Tag, und bin zwischendrin zum Theaterspielen nach Hamburg gefahren. Solche Ausnahmesituationen gefallen mir ganz gut.

Sie seien die Frau „für verzweifelte, traumatisierte und wütende Rollen“, hat ein Kritiker mal geschrieben. Hat er recht?

Solche Figuren spiele ich gern. Sie sind ja oft auch die spannendsten Rollen. Aber ich kann auch anders. Gerade drehe ich eine Komödie, und im Theater bin ich ja zum Glück auch überhaupt nicht auf bestimmte Figuren festgelegt.

Franziska Hartmann in einer Szene aus „Katharina Tempel - Was wir fürchten“.

Franziska Hartmann in einer Szene aus „Katharina Tempel - Was wir fürchten“. Foto: Georges Pauly/ZDF/Arte/dpa

Wie wichtig sind Ihnen Kritiken?

Wenn sie gut sind, freue ich mich. Aber eigentlich interessieren sie mich nicht so sehr. Im Theater lese ich überhaupt keine Kritiken, beim Film fällt es mir manchmal etwas schwerer, wenn mir jemand einen Link schickt. Aber oft überfliege ich die dann auch nur und frage vorher, ob sie gut sind. Ich bin auch nicht bei sozialen Medien unterwegs und möchte damit keine Zeit verbringen. Ich will nicht von anderen Leuten mit Daumen hoch oder runter bewertet werden. Ich möchte mich davon überhaupt nicht abhängig machen. Und ich bin auch einfach verletzlich, und es bringt mir nichts, von irgendjemandem was Schlechtes zu lesen.

Muss man privat auch hart sein können, um Figuren wie Ihre zu spielen?

Ich glaube, ich bin sehr viel weicher, als viele Leute denken, nachdem sie meine Filme gesehen haben. Es ist schon manchmal witzig, wie oft ich nach meinen Filmen die überraschte Feststellung höre: Ach, du bist ja in echt total sympathisch (lacht). Ich spiele oft Frauen mit großen, tiefen Problemen, die in Grenzerfahrungssituationen kommen. Mir macht das total Spaß, solche Rollen zu spielen. Wahrscheinlich gerade auch, weil sie so fern von meinem Leben sind.

Zum Start Ihrer Krimi-Reihe um die TV-Kommissarin Katharina Tempel hatte ein Kritiker gefragt: „Noch eine Kommissarin?“ Was reizt Sie trotzdem an der Figur?

Wenn ich mich recht erinnere, war der Kern des Artikels: „Muss das sein? Ja, es muss sein!“ Das hat mich sehr gefreut, denn ich bin total happy mit der Figur. Weil in der Reihe so viel Fokus auf das Privatleben der Kommissarin gelegt wird und ihr persönliches Drama so viel mehr Raum einnimmt als der eigentliche Krimi-Strang. Das ist ja nicht selbstverständlich. Ich finde Katharina Tempel eine wahnsinnig spannende Figur, die stark, sympathisch, intelligent und teamfähig ist, aber in tiefen Abgründen steckt und sehr zerrissen ist zwischen der Liebe zu ihrem Mann und der destruktiven Beziehung, in der sie Gewalt erfährt und da nicht rauskommt.

Entgegen allen klassischen Ratschlägen von Feministinnen und Frauenrechtlerinnen kann sich die taffe Kommissarin nicht von ihrem gewalttätigen Ehemann lösen…

…so, wie viele andere Frauen das eben auch nicht schaffen, egal aus welchen Milieus.

Zweiter Einsatz für Kriminalkommissarin Katharina Tempel (Franziska Hartmann) und ihren Chef, Hauptkommissar Georg König (Stephan Szász, undatierte Aufnahme).

Zweiter Einsatz für Kriminalkommissarin Katharina Tempel (Franziska Hartmann) und ihren Chef, Hauptkommissar Georg König (Stephan Szász, undatierte Aufnahme). Foto: Georges Pauly/ZDF/dpa

Ist die politische Botschaft der Figur nicht trotzdem verheerend?

Natürlich sagt uns der moralische Kompass etwas anderes. Aber das ist doch die bittere Wahrheit: Unglaublich viele Frauen erleben Gewalt in der Beziehung, und zwar nicht nur Frauen, die schüchtern oder abhängig sind und die sich nicht wehren können. Es trifft auch taffe und erfolgreiche Frauen. Ich erlebe, dass die Figur der Kommissarin offenbar aufrüttelt. Ich bekomme viele berührende und betroffene Rückmeldungen von Menschen, die das angeht und bewegt. Man schaut Katharina Tempel zu, und vielleicht wird sie es ja auch irgendwann schaffen. Aber erst mal muss man ja auch zur Kenntnis nehmen, wie schwer es ist, aus so einer Beziehung rauszukommen.

Drei Folgen einer Erfolgsreihe in gut drei Jahren sind nicht viel. Auch von der Serie „Neuland“ hatten viele auf eine Fortsetzung gehofft. Treten Sie gern mal auf die Bremse wenn‘s am schönsten ist?

Nö, ich hätte gern eine zweite Staffel von „Neuland“ gemacht und mir ist da auch so einiges eingefallen, wie es mit meiner Figur hätte weitergehen können. Aber ich bin ja leider nicht die Entscheiderin. Bei Katharina Tempel finde ich es genau das richtige Maß, einen Film im Jahr zu machen. Weil ich einfach die Vielfalt liebe und gern verschiedene Rollen spiele.

Seit 2018 sind Sie nicht mehr festes Ensemble-Mitglied am Thalia Theater, sondern Gast. Brauchten Sie mehr Freiheit?

Ich stand damals etwas zwischen den Stühlen, weil Filmdrehs schwer zu vereinbaren sind, wenn man fest engagiert in einem Ensemble am Theater ist. Gleichzeitig war ich nach zehn Jahren am Theater durchaus neugierig, mal die andere Seite des Berufs intensiver kennenzulernen. Ich hatte aber niemals vor, das Theater ganz zu verlassen. Ich hatte damals auch weiterhin acht Stücke, die ich spielte und war gefühlt nach wie vor jeden zweiten Tag am Theater. Und habe bis heute noch fünf Stücke. Ich bin dem Theater und speziell dem Thalia total treu geblieben, vom Herzen her sowieso. Und liebe es, beides kombinieren zu können.

Augenpads sind der Inbegriff von Luxus, haben Sie vor kurzem in einem Fernsehinterview gesagt. Wie haben Sie das gemeint?

Mit einem Augenzwinkern, natürlich. So etwas würde es im Theater nicht geben, das ist ja totaler Luxus-Chichi. Deshalb genieße ich so etwas natürlich: Wenn ich von der rauen und manchmal etwas dreckigen Theaterluft komme oder eine kurze Nacht als Mutter hinter mir habe und dann beim Film oder Fernsehen in der Maske lande. Und mir da frühmorgens unter anderem die Pads unter die Augen geklebt werden. Das ist dann einfach schön.

Obwohl Sie Ihr Privatleben ziemlich konsequent vor der Öffentlichkeit abschotten, haben Sie sich ausgerechnet nach der Geburt Ihres zweiten Kindes für eine TV-Dokumentation als Mutter und Schauspielerin porträtieren lassen. Wollten Sie anderen Frauen Mut machen?

Auf jeden Fall. Ich finde es ein sehr wichtiges Thema, denn Schauspielerin und Mutter zu sein, ist nicht ganz leicht zu vereinbaren und stößt auf viele Vorurteile. Ich habe tatsächlich den Luxus, dass ich es vereinbaren kann. Ich hatte zum Beispiel beim zweiten Dreh zu „Katharina Tempel“ eine Nanny mit am Set und konnte zwischendurch stillen, wann immer mein Baby mich brauchte. Es hat absolut niemanden gestört, im Gegenteil. Aber es ist eben einfach überhaupt nicht normal. Ich habe extrem viele Rückmeldungen von anderen Kolleginnen bekommen, die sehr dankbar waren, dass wir darüber geredet haben.

Hatten Sie Angst vor der Entscheidung, Mutter zu werden, weil die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Schauspielerin noch schwieriger als für Frauen ohnehin schon ist?

Nein, für mich war immer klar, dass ich Kinder haben möchte. Ich habe ein gesundes Urvertrauen und habe mir keine Sorgen gemacht, dass ich nicht arbeiten werde und mir die Schwangerschaft Arbeit wegnimmt. Aber es ist passiert. Ich habe mich auch selber mal gegen einen großen Film mit 70 Drehtagen entschieden, damit ich die erste Zeit mit meinem zweiten Baby nicht verpasse. Aber ich habe eben auch Rollen abgesagt bekommen, für die ich schon besetzt war. Nur weil ich erzählt hatte, dass ich schwanger bin. Dabei wäre es inhaltlich machbar gewesen. Es ist tatsächlich immer noch sehr hart, und ich kenne viele Frauen, die große Angst davor haben, sich schwanger auf Filmfesten zu zeigen. Die ihre Schwangerschaft verheimlichen und Castings mit anderen Gründen absagen, weil sie fürchten, sich für die Zukunft etwas zu verbauen.

Ihr Kollege Jens Harzer verlässt das Thalia im Sommer, weil er neue Herausforderungen sucht. Kennen Sie das Gefühl auch?

Neue Herausforderungen finde ich immer schön, aber tatsächlich habe ich noch kein Bedürfnis, die Stadt zu verlassen. Ich liebe Hamburg sehr und das Thalia Theater ist eine Art Zuhause, mein Anker. Ich bin für das Thalia nach Hamburg gekommen, ich habe mich da von Anfang an wahnsinnig wohlgefühlt. Und jetzt kommt noch dazu, dass ich hier meine Familie gegründet habe, wir glücklich mit unserer Kita, unserer Wohnung, unserem Freundeskreis sind. Für mich ist es einfach gut so, wie es ist. Ich bin hier glücklich.

Zur Person

Mit vier Jahren stand die 1984 in Starnberg (Bayern) geborene Franziska Hartmann das erste Mal auf der Bühne: als Igel-Baby in „Der Hase und der Igel“. Nach ihrer Schauspielausbildung von 2004 bis 2008 an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig kam Hartmann bereits 2009 ans Thalia Theater nach Hamburg – und blieb bis heute, fast zehn Jahre lang als Mitglied des Ensembles, seit 2019 als fester Gast mit mehreren Stücken. Zuletzt unter anderem in der Premiere „Asche“ von Elfriede Jelinek. Die 40-Jährige singt und spielt mehrere Instrumente, unter anderem Geige, und kombiniert das mit großer Liebe zum Beispiel in „Panikherz“ oder als Jenny in der „Dreigroschenoper“.

Für ihre Film- und Fernsehrollen wurde Franziska Hartmann in den letzten Jahren mit renommierten Preisen geehrt. Unter anderem bekam sie 2024 den Deutschen Schauspielpreis für „Monster im Kopf“ und den Grimme-Preis 2023 für die Rolle einer traumatisierten Soldatin in der Serie „Neuland“. Für ihre Hauptrolle in dem TV-Film „Sterne über uns“ erhielt sie die Auszeichnung der Deutschen Akademie für Fernsehen.

Am 4. April ist Premiere der dritten Folge der Krimi-Reihe „Katharina Tempel“ mit ihr als Kommissarin auf Arte. Hartmann lebt mit ihrem Mann und Schauspielkollegen Pascal Houdus und den beiden Kindern in Hamburg-Altona.

Persönliches

Auszeichnungen und Preise sind… für mich Anerkennung, über die ich mich freue. Aber noch mehr freue ich mich über schöne Rollen.

Helikoptereltern finde ich… einen schönen bildlichen Ausdruck, unsere Art der Kinder-Begleitung ist es nicht.

Blockflöte spielen ist bemerkenswert… steht das in meiner Vita? Da steht es wohl seit 20 Jahren. Das ist ja bemerkenswert (lacht).

Wenn ich auf Spielplätzen sitze… freue ich mich, wenn ich einen Cappuccino in der Hand habe

Meine Lieblingsbeschäftigung in Hamburg ist… wie überall, in die Sauna zu gehen, ich liebe das.

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