TGegen den Trend: Diese junge Landärztin eröffnet bewusst eine neue Praxis

Dr. Susanna Osterwald hat bewusst die eigene Praxis gewählt. Sie kümmert sich um alles: von der Abrechnung bis zu den Parkplätzen. Foto: Fehlbus
Regressdruck, Personalverantwortung, Bürokratie: Nichts konnte Dr. Susanna Osterwald davon abhalten, Landärztin zu werden. Ein Grund zur Hoffnung in Zeiten des Praxissterbens.
Harsefeld. Dr. Susanna Osterwald hat im vergangenen Dezember ihre eigene Hausarztpraxis in Harsefeld eröffnet. Die 43-Jährige ist diesen Schritt ganz bewusst gegangen: als junge Medizinerin in eine neue eigene Praxis aufs Land. Damit bewegt sie sich gegen den Trend.
Ambulante Versorgung: Ein Drittel sind angestellte Ärzte
Die Bundesärztekammer verzeichnet bei leicht steigender Zahl berufstätiger Mediziner einen deutlichen Rückgang bei Ärzten mit eigener Praxis. Deren Anzahl hat sich in den vergangenen sechs Jahren um nahezu 8 Prozent verringert. Klar angestiegen ist die Zahl angestellter Ärzte im ambulanten Bereich. Sie stieg um 8,1 Prozent zum Vorjahr und um 51 Prozent seit 2018. Inzwischen ist rund ein Drittel in der ambulanten Versorgung als angestellte Ärzte in Praxen oder Medizinischen Versorgungszentren tätig. Hier fehlt das unternehmerische Risiko, und Arbeitszeiten können besser eingehalten werden. Besonders Frauen mit Familienplanung sehen hier oft Vorteile.
In der eigenen Praxis die eigenen Schwerpunkte setzen
Für Susanna Osterwald überwiegen andere Argumente.
„Es war schon immer so ein bisschen mein Traum, was Eigenes zu haben“, sagt sie. In der von ihr geführten Praxis könne sie den eigenen Neigungen nachgehen, wie Akupunktur oder Naturheilverfahren.
Die Integrative Praxis im Auetal ist in einem Neubau in der Wilhelmstraße zu finden. Das erfahrene Fachpersonal an Praxismitarbeiterinnen konnte von der Praxis Dr. Christine Bermann zu ihr wechseln. Die Schließung der Praxis Bermann am Ortseingang und die Neueröffnung hinter dem Eiscafé Dante gingen ineinander über. Der Start war reibungslos, die Patienten fanden Susanna Osterwald schnell. Inzwischen musste die Ärztin einen Aufnahmestopp für die hausärztliche Versorgung aussprechen. „Ich habe nur einen halben Sitz“, sagt sie. Hintergrund ist ihre Familie mit zwei kleinen Kindern.
Hausärztin und selbstständige Unternehmerin
Mindestens zwölfeinhalb Stunden bei den Sprechzeiten muss sie anbieten. „Es ist mehr, wenn man vorne auf meine Öffnungszeiten schaut“, sagt sie. Zusätzlich fallen Arbeiten an, die nicht in erster Linie Heilung zum Ziel haben: Vom Maler bis zur Mitarbeiterin muss sie sich als selbstständige Unternehmerin um alles kümmern. Und bezahlt werden die an Patienten ausgegebenen Rezepte von den Krankenkassen nur, wenn alles stimmt. „Wenn ein Rezept nicht ganz korrekt ausgestellt ist, zahlen wir Ärzte“, sagt Susanna Osterwald.
Thema Regressdruck: Versichern unmöglich
Hausärzte müssen alle Regeln der Abrechnung kennen, von der Rheumatologie bis zur Physiotherapie. Sonst können Nachforderungen im fünfstelligen Bereich auflaufen. „Ich habe da nicht wirklich Angst vor“, sagt Susanna Osterwald. Aber es fehlt das Sicherungsnetz: versichern unmöglich.
Gerade jetzt bei den neuen Patienten prüft Susanna Osterwald alles ganz genau. „Es ist im Moment noch viel Bürokratie“, sagt sie. Dennoch überwiegt das Positive: „Ich habe kaum noch Fahrzeit, bin immer mittags zu Hause. Wir essen dann alle zusammen, das ist ein Geschenk.“
Landärzte kommen oft ursprünglich aus ländlichen Gebieten
In einer Sache erfüllt Susanna Osterwald die Statistik voll und ganz: Sie ist Landärztin, weil sie selbst vom Land kommt. Zu der Wahrscheinlichkeit der Ortswahl eines Mediziners gibt es Zahlen, die besagen, dass weniger finanzielle Anreize als vielmehr das familiäre Umfeld ausschlaggebend sind, wo sich Mediziner ansiedeln. Wenn der Ehepartner und die Kinder bei Arbeit, Kita und Schule vor Ort passende Bedingungen vorfinden, ist das laut einer Umfrage der Hauptgrund für Ärzte, sich in den ländlichen Raum zu bewegen.
Eine Harsefelderin kehrt zurück in ihren Heimatort
Für Susanna Osterwald ist es noch mehr, denn es ist die Rückkehr in ihre Heimat: „Ich bin Harsefelderin“, sagt sie. Ihre Stationen gingen über die Rosenborn-Grundschule und weiterführende Schulen in Harsefeld und Buxtehude zum Abitur. „Dann hat es mich in die Welt verschlagen“, sagt die 43-Jährige. Nach einem Auslandsaufenthalt in Australien bekam sie einen Studienplatz in Marburg, studierte dort Medizin.
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Sie arbeitete als Ärztin in Weiterbildung im Krankenhaus in Zeven, machte zwischendurch eine Akupunkturausbildung in Peking, absolvierte die chirurgische Zeit in Buxtehude. In der orthopädischen und kardiologischen Rehabilitation arbeitete sie in Malente und Marburg und dann in einer Kinderarztpraxis in Bremervörde, um schließlich den Facharzt zu machen. Nach der Facharztprüfung 2014 arbeitete sie als angestellte Ärztin in zwei Landarztpraxen, außerdem in der Hancken-Klinik auf der Palliativstation, wo sie die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin erwarb.
Ein langer Weg bis zur eigenen Landarzt-Praxis
Sechs Jahre Studium und fünf Jahre Facharztausbildung, das ist das Mindestmaß und eine lange Zeit bis zum Landarzt. „Ja, ich bin Landärztin“, sagt Dr. Susanna Osterwald. Das wirklich Schöne an dieser Form des Arztberufs, wie sie findet: „Man begleitet hier Patienten lange und sieht den ganzen Menschen, nicht nur spezielle Felder.“
In Niedersachsen gibt es aktuell 5200 Hausärzte. Die Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) hätte Platz für weitere 577 Hausärzte, und die Lücke dürfte eher größer werden, denn die Ärzteschaft ist überaltert. Viele werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen.
Landarztquote: Zehn Jahre in unterversorgte Regionen
Niedersachsen vergibt seit 2023 jedes Jahr 60 Studienplätze für das Landarzt-Studium. Statt die Berechtigung nur auf einen Notendurchschnitt hin zu vergeben, zählen hier andere Faktoren zur Bewerbung hinzu. Die Studierenden verpflichten sich im Gegenzug für geringere Wartezeiten auf den Studienplatz, nach der Aus- und Weiterbildung zehn Jahre als Hausarzt in einer unterversorgten Region zu arbeiten. Machen sie davon einen Rückzieher, droht ihnen eine Vertragsstrafe von bis zu 250.000 Euro.
Mit der Landarztquote oder konkreter dem Gesetz zur Verbesserung der flächendeckenden Versorgung in Niedersachsen soll einem Ärztemangel im ländlichen Raum vorgebeugt werden.
Zwölf Jahre Ausbildung: Kommt der Erfolg rechtzeitig?
Aus Sicht der Kritiker kann dies nicht der einzige Ansatzpunkt sein, wenn demnächst viele Ärzte in Ruhestand gehen. Der hausärztliche Versorgungsbereich hat mit 37,1 Prozent den höchsten Anteil der über 60-Jährigen. Für Studium und Ausbildung müsste mit elf bis zwölf Jahren kalkuliert werden. Bis 2035 werde die Landarztquote deshalb keine nennenswerten positiven Effekte auf die Versorgung haben, so die KVN. Sie geht von einer Unterversorgung aus: 2035 müssten rund 5000 Hausärzte tätig sein, um die Bevölkerung zu versorgen. „Tatsächlich werden es nur rund 3750 sein. Es werden rund 1250 Hausärzte fehlen“, heißt es im aktuellen Versorgungs-Report.
Ein weiterer kleiner Rückschlag für die Landarztquote: Die Bewerbungszahlen gingen zuletzt zurück. Nach 278 Bewerbungen im vergangenen Jahr reichten diesmal nur 204 ihre Unterlagen ein.
Notdienste für Hausärzte: Fahrdienst belastet auf dem Land
Welche Rolle spezielle Anforderungen wie etwa Zusatzdienste bei der Festlegung auf den Landarztberuf spielen, ist nicht erhoben worden. Bei den Notdiensten gibt es aber zwei Formen: den zentralen Sitzdienst, der im Kreis Stade nur örtlich in den Elbe Kliniken angesiedelt ist und von niedergelassenen Ärzten erfüllt werden muss, und den Fahrdienst. Beide dienen der vertragsärztlichen Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten. Für Susanna Osterwald gehört das zwar dazu, aber sie sieht die Probleme beim Fahrdienst auf dem Land. „Letztes Mal musste ich abends und dann noch zweimal nachts, um 1 Uhr und um 3 Uhr los. Um 8 Uhr ging es dann schon wieder in der Praxis weiter“, sagt sie. Auch das gehört heute noch zum Landarztdasein.

Dr. Susanna Osterwald hat viele Patienten einer Praxis übernommen, die in Harsefeld fast zeitgleich geschlossen hat. Foto: Fehlbus