TGroße Sorge um den Fortbestand der Landgastronomie

Laut Dehoga müssten Gastronomen wegen der gestiegenen Kosten für Energie, Löhne und Lebensmittel sechs Prozent mehr für das gleiche Gericht kassieren, um nicht schlechter gestellt zu sein als zuvor. Foto: Schuldt/dpa
Seit dem 1. Januar fallen wieder 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen in Gaststätten und Restaurants an. „Viele Betriebe in ländlichen Regionen treibt das womöglich ins Aus“, befürchtet der Vorsitzender des Dehoga-Kreisverbandes Bremervörde. Er rechnet vor.
Landkreis Rotenburg. Um die Einbußen der Gastronomie in der Corona-Krise abzumildern, senkte die Regierung Mitte 2020 die Mehrwertsteuer. Seit Montag müssen in Hotels und Restaurants wieder 19 statt sieben Prozent auf Speisen gezahlt werden. „Uns bleibt gar nichts anderes übrig, als die Erhöhung in Form gestiegener Preise an die Gäste weiterzugeben“, sagt Holger Gehrmann im Gespräch mit unserer Zeitung. Und er rechnet vor, dass es mit dem Zwölf-Prozent-Anstieg gar nicht getan sei.
„Die höheren Kosten für Energie, Waren und Personal machen zusammen noch mal ein Kostenplus von sechs Prozent aus. Macht zusammen 18 Prozent“, so Gehrmann. Dabei betont der Vorsitzende des Kreisverbandes des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes, dass er die Lohnerhöhungen in der Gastronomie, auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, begrüße. „Das regelt der Markt, und das ist auch gut so.“
Doch zurück zur Mehrwertsteuer-Mathematik: „Mal angenommen, ein Gericht kostete bislang 15 Euro, dann macht das bei 18 Prozent Preissteigerung seit 1. Januar fast 18 Euro“, sagt Gehrmann. „Und auch für die Getränke müssen wir sechs Prozent mehr nehmen.“ Ein angenommener Restaurantbesuch mit Vor-, Nachspeise und Getränken klettere so beispielsweise von 50 auf 60 Euro. Pro Person. Eine Saal-Hochzeit koste nicht mehr 8.000, sondern plötzlich fast 10.000 Euro.
Gastronomen fürchten, dass bei Preissteigerungen die Kunden ausbleiben
„Und am Ende darf man nicht vergessen, dass unsere Kunden ebenfalls weniger Geld im Portemonnaie haben. Schließlich sind für sie ja auch die Kosten gestiegen.“ Gehrmann befürchtet, dass sich die Menschen bei den Ausgaben auf die Höhepunkte im Jahr konzentrieren. „Den monatlichen Restaurantbesuch streicht man eher als den Sommerurlaub mit der Familie“, vermutet der Selsinger.
Finanzen
Was bleibt 2024 im Geldbeutel?
Die vor dreieinhalb Jahren vorgenommene und nun eingestampfte Steuersenkung sieht Gehrmann nicht als „Corona-Hilfe“, sondern als Maßnahme in Sachen Chancengleichheit: „In weiten Teilen Europas gilt seit fast 40 Jahren ein niedriger Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie. Seit bei uns die Steuern gesenkt wurden, hat der Tourismus in Deutschland im Vergleich wieder deutlich zugelegt“, berichtet Gehrmann. Damit dürfe es wieder vorbei sein mit der jetzigen Rückkehr zu den 19 Prozent.
Insofern werde auch die Rechnung der nach dem 60-Milliarden-Debakel unter Druck stehenden Bundesregierung nicht aufgehen, durch die Erhöhung drei Milliarden Euro Mehreinnahmen zu generieren. „Ein Teil dieser zusätzlichen Gäste in Deutschland wird wieder wegbrechen.“
Hohe Energiekosten verschärfen die Gastro-Krise
Wovon der Otto-Normal-Verbraucher keine Vorstellung hat, sind die Energiekosten für einen Hotel- und Gaststättenbetrieb wie den „Selsinger Hof“. „Allein unsere Stromkosten belaufen sich mittlerweile pro Monat auf 2.400 Euro“, verrät Gehrmann. „Wir sind eine sehr energieintensive Branche“, sagt der Hotelbetreiber.
„Wenn wir im Winter den Saal extra einheizen für eine Veranstaltung, dann müsste theoretisch jeder Gast fünf Euro für die Heizkosten mitbringen“, sagt Gehrmann. Mal abgesehen davon, dass die Nachfrage stark zurückgegangen sei (Gehrmann: „Wir hatten keine in den vergangenen drei Jahren“) und sich gar nicht genug Personal für solche Events finde.
Fachkräftemangel ist seit Jahren ein Problem
„Jeder Leser dieses Artikels kann sich ja vielleicht mal vor Augen führen, wie sich in seinem oder ihrem Lieblingsrestaurant die Öffnungszeiten verändert haben. Der ,Selsinger Hof‘ hatte früher sieben Tage die Woche auf, heute ist mittwochs und donnerstags Ruhetag.“ Das machten er und seine Berufskollegen nicht, weil sie keine Lust haben. „Es fehlt uns an Personal.“ Und dann steige auch noch der bürokratische Aufwand von Jahr zu Jahr. „Da muss Buch darüber geführt werden, welche Schraube in der Kühlung wann und warum ausgetauscht wurde.“
Wie schlecht es der deutschen Gastronomie gehe, lasse sich auch daran abmessen, dass die Branche den Vor-Corona-Umsätzen von 2019 nach wie vor um 15 Prozent hinterherhinke, betont Gehrmann. „Und das trotz des bis 31. Dezember verringerten Steuersatzes.“ In der ländlichen Gastronomie betrage der durchschnittliche Gewinn eines Betriebes vier bis sieben Prozent des Bruttoumsatzes. „Da kann man sich ausrechnen, welche Folgen jetzt drohen.“ (bz)

Holger Gehrmann, Inhaber des „Selsinger Hofes“. Foto: Algermissen