THatecke-Werft: Der Weltmarktführer auf Krautsand produziert in Handarbeit

Vivien Hoffmann bei der Endmontage eines Tenderboots. Stefan Janzen, einer der Vorarbeiter, glaubt, dass auch künftig das Gros der Arbeit auf der Hatecke-Werft noch Handarbeit sein wird. Foto: Knappe
Die Hatecke-Werft mit ihren 300 Mitarbeitern auf Krautsand ist eine kleine Werft, aber einer der Weltmarktführer bei der Herstellung von Rettungsbooten. In der Produktion setzt das 1903 gegründete Familienunternehmen nach wie vor auf Handarbeit.
Krautsand. Weiße Glasfasermatten hängen in Halle 3 griffbereit über Geländern. Der Maler und Lackierer Timo Guardabasso (42) aus Barnkrug steht am Rand einer orangefarbenen überdimensionalen Schale, sein Kollege Andrzej Bizeski kraxelt drin herum. Beide streichen mit Malerrollen Klebermasse aus Peroxid und Polyesterharz auf die Glasfasermatten in der Schale. Die Schale ist die Form, der Rohling, den externe Firmen nach den Konstruktionsplänen der Hatecke-Werft anfertigen.
Guardabasso und Bizeski arbeiten gerade an der Dachgerippeform eines Rettungsboots und fertigen Verstärkungen aus gitterartig gewebten Glasfasermatten. Tags zuvor haben sie mit dem Rettungsboot angefangen - einem von bis zu 500 Booten, die in den neun Hallen der Hatecke-Werft jährlich gebaut werden.
Mehr als zwei Drittel aller Kreuzfahrtschiff-Neubauten werden nach Angaben des Unternehmens mit Krautsander Rettungsbooten, die jeweils bis zu 460 Personen fassen, bestückt.

Ein Knochenjob: Timo Guardabasso (links) und Andrzej Bizeski kleben eine weitere Schicht Glasfasermatten. Schicht für Schicht entsteht der ein Zentimeter starke Bootskörper, hier das Dachgerippe. Foto: Knappe
Beißender Klebergeruch in der Luft
Zehn Lagen verklebte Glasfasermatten - dann hat das Boot die Ziel-Wandstärke von etwa einem Zentimeter erreicht. Die Rettungsboote sind komplett aus Kunststoff: Metall würde den freien Fall aus 25 bis 30 Metern Höhe nicht aushalten und sich verformen, sagt Mandus Witt, Geschäftsführer der Hatecke GmbH.
Ein lautstarkes Tuten ertönt. Das ist das Warnsignal, dass der Kleber härtet. Jetzt muss Andrzej Bizeski per Pumpe Klebermasse in den Kanister nachlaufen lassen - sonst verkleben die Zulaufschläuche. Beißender chemischer Klebergeruch liegt schwer in der Luft.
Vorarbeiter Hakan von der Fecht winkt ab: „Der Geruch war vor 20 Jahren noch ganz anders.“ Die Luft werde gefiltert. Styrolhaltige Luft setze sich auf dem Boden ab und werde abgesaugt, von oben werde Frischluft zugeführt, sagt der 44-Jährige.
In anderen Produktionshallen gebe es zudem Biofilter, von der Fecht nennt sie „die grüne Lunge“. Von der Fecht ist gelernter Tischler und seit 2011 bei Hatecke. Die Werft auf Krautsand kennt der Bootsfan seit Kindertagen. „Da bin ich früher mit meinem Papa langgefahren. Das hat sich eingebrannt.“
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800 Formen kommen in einer Halle zum Einsatz
Nebenan kniet der 29-jährige Tobias Voigt in der 8,15 Meter langen Rumpfhälfte des Rettungsboots. Er schleift die Fläche per Hand, um sie aufzurauen: Wenn die beiden Rumpfhälften zusammengefügt werden, sollen die nächsten Lagen besseren Halt haben, erläutert Voigt. Neben der Rumpfschale liegt die blankpolierte schwarze Form für die Innenschale des Bootes.
„800 verschiedene Formen gebrauchen wir insgesamt in dieser Halle“, erläutert Hakan von der Fecht. Das sind vor allem die Formen für Hauptbootsteile wie Rumpf, Aufbau, Dach sowie für kleinere Teile. Mit einer Form können Hunderte von Booten hergestellt werden. „So eine Form kann 30 oder mehr Jahre alt werden, sie kann aber auch in zwei Jahren kaputt gehen“, sagt von der Fecht. Es kommt auf die Pflege an.

Hakan von der Fecht und der "Herr der Düsen", Ingo Schultz. Der 62-jährige Dornbuscher gehört zum Urgestein der Werft. Foto: Knappe
In einem anderen Bereich der Halle steht ein Mann, dessen Gesicht unter Gehörschutz und Schutzbrille kaum zu erkennen ist: Ingo Schultz (62) aus Dornbusch poliert die ringartigen weißen Ruderdüsen, die in 30 Arbeitsschritten aufwändig gefertigt werden. Schultz ist Bootsfan und ein Urgestein der Werft, er arbeitet hier seit 42 Jahren: „Ich war schon bei der Produktion des ersten Freifall-Rettungsbootes dabei.“ Das wurde 1983 entwickelt.
Ingo Schultz hat keine drei Jahre mehr bis zur Rente. Hakan von der Fechts Gesichtszüge werden ernster. „Das Wissen und die Erfahrung, die dieser Mann mitnehmen wird - es ist schwierig, solche Verluste aufzufangen.“ Denn die Gewinnung von qualifiziertem Personal ist auch bei der Hatecke-Werft ein großes Thema und Airbus hier ein harter Konkurrent.
Doch manchmal gibt es Glücksfälle. „Wir haben hier zwei Ukrainer, die zunächst Aushilfsjobs gemacht haben“, erzählt Mandus Witt. Doch es stellte sich heraus, dass die beiden mit genau den Programmen vertraut sind, mit denen in der Konstruktionsabteilung bei Hatecke gearbeitet wird - jetzt sind die zwei wertvolle Mitarbeiter in der Entwicklung.
In Halle 5 liegen fünf schon fast fertige Tenderboote, die auch als Rettungsboote fungieren können, aber weniger Personen fassen und mehr Komfort bieten. Hier wie auch in anderen Hallen liegen, stehen und hängen Unmengen an Materialien griffbereit: von Elektroschläuchen über Kanister, Beschläge, Fittinge bis hin zu diversen Werkzeugen. Der Anblick gleicht einer Materialschlacht.

Volle Fahrt voraus: Vorarbeiter Stefan Janzen am Steuer eines fertiggestellten Tenderbootes, das im August nach Frankreich geliefert wird. Foto: Knappe
„Das ist eine kleine Herausforderung: Wenn ich von Halle zu Halle gehe, dann zu wissen, was da überhaupt wozu gehört“, sagt der Schlosser und Vorarbeiter Stefan Janzen, der gerade in die Halle 5 kommt. „Ich bin hier so ein bisschen der Problemlöser, wenn Maschinen aussetzen. Oder bei Ölleckagen beim Testlauf“, erzählt der 50-Jährige aus Wischhafen.
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Vivien Hoffmann wollte keinen Bürojob
„MSC World America“ steht auf einem 14 Meter langen Tenderboot, das schon mit dem blauen Transport-Riemen versehen ist. Es ist eines von vier Tender- und zwölf Rettungsbooten, die Hatecke im August in Frankreich abliefern wird. Dort wird das Kreuzfahrtschiff „MSC World America“ gebaut, das unter maltesischer Flagge fahren wird.
Der 23-jährige Kfz-Mechatroniker Linus Quadt baut gerade Geländer in ein Tenderboot ein, mit dem bald Kreuzfahrtgäste vom Luxusliner in die Ausflugshäfen tuckern. Seit fast zwei Jahren ist Linus Quadt aus Dornbusch bei der Werft: „Der Arbeitsweg ist kurz. Mir gefällt‘s super hier.“
Wenige Meter daneben sind sieben Mitarbeiter in der Endmontage und kleben die Innenschale für den Rumpf ein. Mehr als 50 Schraubzwingen klemmen an der Bordwand. Seit November arbeitet hier auch die 25 Jahre alte Vivien Hoffmann aus Stade, sie hält eine Palette mit blauer Klebmasse in der Hand und spachtelt damit am Bootsrand. Sie ist gelernte Raumausstatterin, wollte in die reine Montage.
„Ein Bürojob ist nicht mein Ding. Ich habe mich auch finanziell verbessert. Und ab nachmittags hab ich frei.“ Denn die Regelarbeitszeit auf der Hatecke-Werft dauert in der Produktion von 6.30 bis 15.15 Uhr. Vivien Hoffmann ist eine von etwa zehn Frauen, die in der Produktion arbeiten, die restlichen 190 Produktionskollegen sind Männer.
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Der Schweißroboter ist ein Novum
Nur wenige Arbeitsabläufe sind auf Krautsand bisher automatisiert. Im Vorjahr wurde Schweißroboter „Robbie“ angeschafft, der die Auslösehaken für die Rettungsboote in 40 Minuten anschweißt - in Handarbeit habe das vorher vier Stunden gedauert, sagt Geschäftsführer Mandus Witt.
Dass die Auslösehaken perfekt funktionieren, ist lebenswichtig: Mandus Witt erzählt von Rettungsbooten anderer Hersteller, bei denen Schiffsmannschaften zu Tode kamen, weil das Rettungsboot in die Tiefe stürzte, bevor die Seeleute angeschnallt waren.
„Einige Mitbewerber haben teils schon mehr automatisiert. Aber hier ist alles noch Handarbeit und individuell“, sagt Vorarbeiter Stefan Janzen. Der Großteil der Arbeit werde auch künftig Handarbeit bleiben, glaubt er.