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Ärztemangel

THausarzt aus dem Alten Land überrascht: Was sich wirklich ändern muss

Dr. Jan Sulzer am Empfang seiner Praxis für Allgemeinmedizin in Jork-Königreich. Fotos aus einem Behandlungszimmer mag er nicht. Was dort passiere, bleibe unter Patient und Arzt, sagt er.

Dr. Jan Sulzer am Empfang seiner Praxis für Allgemeinmedizin in Jork-Königreich. Fotos aus einem Behandlungszimmer mag er nicht. Was dort passiere, bleibe unter Patient und Arzt, sagt er. Foto: Sulzyc

Bürokratie gehört zum Job. Und er fühlt sich angemessen bezahlt. Mit seinen Aussagen überrascht der Allgemeinmediziner Dr. Jan Sulzer aus Jork-Königreich. Er sagt, was in Zeiten von Ärztemangel wirklich anders werden muss.

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Von Thomas Sulzyc
Montag, 18.03.2024, 05:50 Uhr

Jork. Am Mittwochnachmittag gibt es bei Dr. Jan Sulzer keine Sprechstunde. Zu tun hat der Allgemeinmediziner trotzdem. Er wertet die Befunde von Laboren aus. Sie liefern ihm Hinweise auf Erkrankungen und Krankheitsverläufe. Circa 50 Stunden in der Woche arbeitet nach eigenen Angaben der in Jork-Königreich niedergelassene Hausarzt.

Mit einem Ausstand in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr machte die Ärzteorganisation Virchowbund im vergangenen Jahr auf eine massive Überlastung in den Praxen niedergelassener Ärzte und Ärztinnen aufmerksam. Schuld daran sei zu viel Bürokratie. Verbunden war der Protest mit der Forderung nach mehr Geld.

In der Arztpraxis herrscht Aufnahmestopp

Als überlastet gilt auch die Facharztpraxis für Allgemeinmedizin in Jork-Königreich: 3500 bis 4000 Patientinnen und Patienten pro Quartal versorgen Jan Sulzer und seine vier in Teilzeit angestellten Ärztinnen und Ärzte, davon befindet sich eine zurzeit in Elternzeit.

„Mir fehlen pro Woche 25 Stunden Arzt“, sagt Sulzer. In der Arztpraxis herrscht Aufnahmestopp für neue Patienten. Akut Erkrankte sind dadurch nicht von medizinischer Versorgung ausgeschlossen - sie erhalten Hilfe in der Notfallsprechstunde, können aber nicht dauerhaft betreut werden. Das ist eine Lösung im Mangel. Etwas, mit dem sich Menschen arrangieren werden müssen, ist Sulzer überzeugt.

Der 51-Jährige reflektiert die gesellschaftliche Entwicklung. In Gesprächen mit Patienten findet er die Abwendung von der Politik, über Belastungen im Beruf hin zu deren Galle oder Herz. Deshalb wurde Sulzer am Ende Hausarzt. „Das entspricht meiner generalistischen Neigung“, erklärt er.

Sulzer lebt im Dorf, nur 600 Meter von der Praxis entfernt

Ursprünglich hatte der Sohn des in der Region bekannten Arztes Bernd Sulzer in die Forschung gehen wollen. Jan Sulzer entschied sich anders. „Ich habe festgestellt, dass ich gut mit Menschen reden kann.“

Seit 2009 ist er niedergelassener Arzt. Er hat in Marburg studiert, lebt heute im Dorf, nur 600 Meter von der Arztpraxis entfernt. Der Landarzt freut sich, wenn morgens die Kinder an der Bushaltestelle ihn erkennen und grüßen.

Der Diskussion über die Ursachen des Ärztemangels fügt Sulzer überraschende Facetten hinzu. Jammern ist nicht seine Sache. Bürokratie gehöre zu jedem Job dazu, sagt er. „Als niedergelassener Arzt habe ich zum Beispiel nicht das Problem, dass ein Kunde sagt, er zahlt nicht.“

„Ich fühle mich angemessen bezahlt“

Zu wenig Geld, das ihm den Beruf als Allgemeinmediziner vermiest? „Ich fühle mich angemessen bezahlt“, sagt Jan Sulzer. Er persönlich mache sich unglaubwürdig, würde er für mehr Geld in den Ausstand treten.

Für eine bessere oder andere medizinische Versorgung würde Jan Sulzer aber schon streiten. Er betont aber auch, dass dies für ihn persönlich gelte und Kolleginnen und Kollegen, die er kenne, sich in anderen Situationen befinden.

Wichtig ist Jan Sulzer, eine Debatte über die künftige Rolle des Hausarztes und seine Aufgaben zu führen. „Wenn wir einen Mangel an Ärztinnen und Ärzten haben, sollten wir dafür sorgen, dass die Versorgung den Kranken zukommt, die sie brauchen.“

Wenn ein Patient sich wegen Husten und Schnupfen arbeitsunfähig fühlt, sollte er nicht sofort einen Arzt aufsuchen müssen. „Der braucht auch nach eigener Aussage meist ein Attest und keinen Arzt“, sagt Jan Sulzer.

„AU könnte auch eine KI ausstellen“

Dies löst auch nicht die telefonische Krankschreibung. Würden diese Kontakte wegfallen, so hätten Ärzte mehr Zeit für Menschen, die medizinische Hilfe benötigen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könnte theoretisch sogar eine Künstliche Intelligenz (KI) ausstellen.

„Natürlich könnte der Arbeitnehmer betrügen. Aber eine KI würde bemerken, dass er das vor zwei Monaten schon mal woanders getan hat“, sagt Jan Sulzer.

Als Hausarzt übernehme er oft die Rolle eines Seelsorgers für Alltagssorgen oder berufliche Probleme. Wenn ein Patient aus Sorge um seinen Arbeitsplatz an Schlafstörungen leidet, habe dieser ein Symptom, aber keine Krankheit.

„Von Medizin sind wir da relativ weit weg. Ich habe keinen Einfluss darauf, ob er den Job behält oder nicht“, sagt der Hausarzt. „Ich kann ihn unterstützen und beraten, aber nicht kurieren.“

Plädoyer für Gesundheitserziehung

Jan Sulzer plädiert für eine Gesundheitserziehung in den Schulen. Das Wissen, Krankheiten einzuschätzen und zu kurieren, sei verloren gegangen. Früher habe vielleicht die Großmutter diese Lebenserfahrung gehabt. Heute könne das gefühlt nur noch ein Arzt beurteilen.

Der Ausweg, einen Aufnahmestopp in Arztpraxen anzuordnen, mag manchen erschrecken: „Wir müssen bereit sein, für eine geringere oder zumindest andere medizinische Versorgung und darüber gesellschaftlich diskutieren.“

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