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Job-Check

Arbeitszeiten: Firmen wollen Mehrarbeit – gern auch zu dieser Tageszeit

In Deutschland arbeiten immer mehr Menschen auch an Sonn- und Feiertagen sowie in den Abendstunden zwischen 19 und 23 Uhr.

In Deutschland arbeiten immer mehr Menschen auch an Sonn- und Feiertagen sowie in den Abendstunden zwischen 19 und 23 Uhr. Foto: dpa-Bildfunk

Unbezahlte Überstunden? Nichts Neues! Dienst an Sonn- und Feiertagen? Für viele schon die Norm. Was der große Job-Check verrät.

Von Birgit Marschall Samstag, 07.12.2024, 15:45 Uhr

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In Deutschland arbeiten immer mehr Menschen auch an Sonn- und Feiertagen sowie in den Abendstunden zwischen 19 und 23 Uhr. Das geht aus der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken hervor.

Demnach stieg die Zahl der abhängig Beschäftigten, die an Sonn- und Feiertagen arbeiten, auf 3,8 Millionen oder 9,7 Prozent aller Beschäftigten im vergangenen Jahr. Das waren rund 100.000 mehr als im Jahr zuvor. Auch die Abendarbeit nahm zu: Die Zahl der Beschäftigten, die auch zwischen 19 und 23 Uhr noch tätig waren, stieg ebenfalls um rund 100.000 auf 5,5 Millionen im vergangenen Jahr an. Das waren rund 14 Prozent aller abhängig Beschäftigten.

Feiertags- und Abend-Arbeit rückt gerade im Vorfeld der Weihnachtsfeiertage wieder stärker ins Blickfeld. Auch die Zahl der geleisteten Überstunden, davon mehr als die Hälfte unbezahlt, hält sich in Deutschland auf hohem Niveau, wie die Antwort des Ministeriums zeigt. Es beruft sich dabei auf Daten des Mikrozensus und des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Wer am Wochenende arbeiten muss

Nun ist die Zahl der Beschäftigten insgesamt trotz der Konjunkturschwäche in den vergangenen Jahren weiter gestiegen. Doch die Zahlen zeigen, dass der Anteil derer, die an Sonntagen oder abends arbeiten, an allen Beschäftigten 2023 gegenüber 2022 ebenfalls leicht gestiegen ist.

Besonders betroffen von Sonntagsarbeit sind Beschäftigte mit niedrigen bis mittleren Einkommen, wie die Daten zeigen. Häufiger leisten Frauen die Arbeit an Feiertagen. Am meisten betroffen sind davon Beschäftigte in den Sektoren Beherbergung, Heime, Landverkehr, Gastronomie und Gesundheit.

An den Wochenenden arbeiten generell eher Menschen mit geringeren Einkommen: 18,5 Prozent der Beschäftigten mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1.250 Euro und 19,1 Prozent der Beschäftigten mit einem Nettoeinkommen zwischen 1.250 und 2.250 Euro waren 2023 von regelmäßiger Wochenendarbeit betroffen. Bei Beschäftigten mit einem Einkommen von 4.000 Euro und mehr waren es hingegen nur 12,4 Prozent.

Anders sieht es bei der Abendarbeit aus, die häufiger von Männern als von Frauen erledigt wird. Sie kommt in höheren Einkommensgruppen häufiger vor als in niedrigeren. Hier trifft es vor allem die Sektoren Gastronomie, Einzelhandel, Heime, Fahrzeugproduktion und Transport.

Überstunden: Mehr als die Hälfte sind unbezahlt

Das Ministerium liefert zudem neue Daten zur Zahl der geleisteten Überstunden. Sie wird für 2023 mit 1,284 Milliarden angeben, das waren 131 Millionen weniger als im Vorjahr, davon 57 Prozent unbezahlt.

Die meisten Überstunden wurden im Wirtschaftszweig „Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit“ geleistet, gefolgt von „Handel, Verkehr, Gastgewerbe“ und dem produzierenden Gewerbe. Für das erste Halbjahr 2024 wird die Zahl der Überstunden mit 592 Millionen angegeben. Damit hätten sich 751.000 Vollzeitstellen schaffen lassen.

Im dritten Quartal 2024 wurden allerdings so wenige Überstunden geleistet wie noch nie, wie das IBA belegt. Im Schnitt machte jeder und jede Beschäftigte demnach 3,3 bezahlte und 3,9 unbezahlte Überstunden.

„Von wegen Besinnlichkeit – insbesondere für die Beschäftigten im Einzelhandel und in Gaststätten und Hotels bedeutet die Weihnachtszeit vor allem Stress, Zusatzschichten am Wochenende und jede Menge Überstunden“, sagte Linken-Politikerin Susanne Ferschl. Sie forderte die Anhebung des Mindestlohns, höhere Löhne in den besonders betroffenen Sektoren und eine bessere Personalausstattung.

Firmen setzen auf Mehrarbeit

Jede zweite Frau, gut jeder zehnte Mann arbeitet in Deutschland zudem Teilzeit. Mehr als die Hälfte (56,5 Prozent) der deutschen Unternehmen denkt darüber nach, die Arbeitsstunden ihrer Teilzeitkräfte auszuweiten, um den Fachkräftemangel zu bewältigen. Das geht aus einer noch unveröffentlichten Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Kofa) hervor, das im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums vor allem kleine und mittlere Unternehmen dabei unterstützen soll, Fachkräfte zu finden, zu binden und zu qualifizieren.

11,7 Prozent der Unternehmen würden demnach gerne alle ihre Teilzeitkräfte, 44,8 Prozent nur einige für eine Stundenerhöhung gewinnen. Der Wunsch sei stärker, je mehr Rekrutierungsschwierigkeiten das Unternehmen habe: Sieben von zehn Firmen mit großen Problemen haben ein Interesse an der Arbeitszeitausweitung von zumindest einem Teil ihrer Teilzeitkräfte.

Das Kompetenzzentrum stützt sich dabei auf eine repräsentative Unternehmensbefragung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Flexible Arbeitszeiten auch im Schichtdienst möglich?

Fast drei von vier Unternehmen (73,2 Prozent) geben an, dass die flexiblere Gestaltung von Arbeitszeiten – etwa Arbeitsstunden auch am Abend – zur Ausweitung der Teilzeitstunden für sie infrage käme. 30,5 Prozent der Teilzeitkräfte, die Kinder betreuen, könnten sich mit flexibleren Arbeitszeiten sogar eine Vollzeittätigkeit vorstellen. Und 44,3 Prozent der Schichtdienstleistenden, die aufgrund von Kinderbetreuung in Teilzeit arbeiten, würden Vollzeit arbeiten bei flexibleren Arbeitszeiten.

Zudem helfe es bei der Fachkräftesicherung, „wenn Unternehmen Karriere- und Entwicklungsperspektiven nicht an eine bestimmte Mindest-Arbeitszeit knüpfen. Stattdessen profitieren Unternehmen wie Mitarbeitende von der Möglichkeit, auch in Teilzeit eine Führungsposition auszufüllen“, schreibt das Kofa. 37,2 Prozent der Unternehmen erwögen zudem eine Unterstützung in der Kinderbetreuung oder Pflege Angehöriger. 44,5 Prozent der Unternehmen könnten sich die Ausweitung der Möglichkeiten zum mobilen Arbeiten oder Homeoffice vorstellen.

„Der Arbeitsmarkt ist zweigeteilt: fast 100.000 Vollzeitjobs weniger als vor einem Jahr – aber fast 200.000 Teilzeitjobs mehr. Die Industrie ist in der Krise, aber Erziehung und Pflege boomen“, bilanzierte der IAB-Experte Enzo Weber. (dly/dpa)

Seit der Pandemie ist die Zahl der Überstunden pro Arbeitnehmer um mehr als ein Drittel zurückgegangen. (Archivbild)

Seit der Pandemie ist die Zahl der Überstunden pro Arbeitnehmer um mehr als ein Drittel zurückgegangen. (Archivbild)

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