Debatte um Verbote: Patienten sollen vor Arzt-Leistungen geschützt werden

Ein Mediziner führt eine Ultraschall-Untersuchung durch. Sogenannte IGeL-Leistungen mussten bislang von den Patienten selbst gezahlt werden. Foto: Angelika Warmuth/dpa
Sie sollen helfen, Krebs zu erkennen, Reisen gut zu überstehen oder Alterungsprozesse zu verlangsamen – Selbstzahler-Leistungen beim Arzt. Doch es gibt Kritik: Sie sind teuer und nutzen wenig. Jetzt soll gehandelt werden.
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Berlin. Patientinnen und Patienten sollen nach dem Willen von Gesundheitspolitikern der Koalition besser vor umstrittenen Selbstzahler-Leistungen in der Arztpraxis geschützt werden. „Leistungen, die von den medizinischen Fachgesellschaften als schädlich bezeichnet werden, haben in Arztpraxen nichts zu suchen und gehören verboten“, sagte der Bundespatientenbeauftragte Stefan Schwartze (SPD) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Donnerstag). Mehr „Schutz vor nicht evidenzbasierten Behandlungen“ sei nötig, forderte der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Janosch Dahmen. Das sind Behandlungen, deren Wirksamkeit nicht erwiesen ist.
„Es ist besorgniserregend, in welchem Umfang einzelne Praxen sich statt auf die Erbringung bedarfsnotwendiger Angebote entsprechend des Standes der Wissenschaft auf lukrative IGeL-Leistungen fokussiert haben“, sagte Dahmen der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Diese sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen und müssen von den Patienten selbst bezahlt werden. Durch ihr massives IGeL-Angebot zögen die entsprechenden Praxen die redliche und wichtige Arbeit der überwältigenden Mehrheit der Arztpraxen in Misskredit, so Dahmen.
Selbstzahler-Leistungen beim Arzt in der Kritik - Verbot gefordert
Schwartze sagte unter Verweis auf Untersuchungen, die große Mehrheit des IGeL-Angebots habe keinen erkennbaren Nutzen. „Einige schaden sogar, weil sie häufig falsch positive Befunde liefern und dadurch unnötige weitere Untersuchungen und Eingriffe nach sich ziehen.“ Das gelte für die Ultraschalluntersuchung zur Krebsfrüherkennung der Eierstöcke und der Gebärmutter – eine der am meisten verkauften Leistungen. „Hier werden junge Frauen ohne Not in Angst und Schrecken versetzt.“ Gynäkologische Fachgesellschaften lehnten sie ab.
Tatsächlich fehlt es laut dem IGeL-Monitor des Medizinischen Diensts der Krankenkassen an Hinweisen auf einen Nutzen dieser Ultraschalluntersuchung. Dabei böten fast alle Praxen die Methode an. Mit Ultraschall stürben laut Studien aber nicht weniger Frauen als ohne. „Demgegenüber steht, dass aufgrund der Untersuchung Frauen unnötig beunruhigt werden und es zu einer unnötigen Entfernung der Eierstöcke und Komplikationen bei den Operationen kommen kann.“ Eine AOK-„Faktenbox“ stellt dazu fest: „Auffällige Ultraschalle sind fast immer Fehlalarme, die auch zusätzliche Bluttests selten aufdecken.“
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Der Berufsverband der Frauenärzte wies die Kritik an der Methode zurück. Es handele sich um eine umfassende Ultraschall-Untersuchung von Gebärmutter, Eileiter, Eierstöcke und Harnblase. Über eine Tastuntersuchung hinaus vorteilhaft sei dies etwa bei übergewichtigen Mädchen und Frauen. Eine mögliche Behandlung orientiere sich dann unter anderem an Beschwerden und Verlauf. „Die generelle Behauptung, ein Ultraschall würde unnütze Operationen nach sich ziehen, ist falsch (...).“ Auch Schwartzes Behauptung, gynäkologische Fachgesellschaften lehnten diese Ultraschalluntersuchung ab, treffe nicht zu.
Update bei Patientenrechten
Insgesamt sprach sich Dahmen für mehr Patientinnen- und Patientenrechte aus. „Es braucht unübersehbar ein Update des in die Jahre gekommenen Patientenrechtegesetzes“, sagte der Grünen-Politiker. Auch die Transparenz für Patientinnen und Patienten müsse erhöht und Regeln für die weitgehend digitalisierte Dokumentation von Behandlungen müssten aktualisiert werden. Mit dem geplanten Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung solle zudem die hausärztliche Versorgung besser finanziert werden.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits vergangenes Jahr eine Reform bei den Patientenrechten angekündigt. Dahmen sagte: „Für eine schnelle Umsetzung der Gesetze müssen nun alle Koalitionspartner am selben Strang ziehen.“ Das Patientenrechtegesetz war 2013 in Kraft getreten, etwa mit einem Einsichtsrecht in Patientenakten und Unterstützung durch die Kassen bei Verdacht auf Behandlungsfehler. Schwartzes Angaben zufolge will es die Ampel-Koalition Opfern von Behandlungsfehlern künftig leichter machen, Recht zu bekommen. Die Gespräche mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) über eine Reform des Patientenrechtegesetzes seien auf einem guten Weg.
Ärzte: „IGeL nicht verteufeln“
Bereits seit Jahren stehen die IGeL-Leistungen in der Kritik. So mahnten die Verbraucherzentralen: „Da die Palette breit gefächert ist und sich ständig erweitert, haben Patientinnen und Patienten kaum eine Chance, den medizinischen Nutzen sowie Qualität und Preis der Angebote zu überprüfen und miteinander zu vergleichen.“ In der Praxis solle man erst mal um Bedenkzeit bitten und später unabhängige Informationen einholen.
Deutschlands Kassenärzte mahnen aber: „IGeL-Leistungen sollten nicht generell verteufelt werden“, wie ein Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sagte. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz meinte: „Das Verbot von Selbstzahler-Angeboten ist gut gebrüllt, doch praktisch nicht umsetzbar.“ Stiftungsvorstand Eugen Brysch: „Schließlich würde auch jede kosmetische Leistung des Arztes darunterfallen.“
Beim für den Leistungskatalog der Krankenkassen zuständigen Gremium betont man das wissenschaftliche Fundament der offiziellen Verfahren. Der Gemeinsame Bundesausschuss setze bei der Weiterentwicklung der Kassenleistungen auf wissenschaftliche Nachweise, sagte Ausschussmitglied Monika Lelgemann. „Denn neu heißt ja nicht automatisch besser oder sicherer.“
Nach einer Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zielen Ärztinnen und Ärzte mit IGeL übrigens verstärkt auf Versicherte mit höherem Einkommen ab - bei höherem Haushaltseinkommen wurde den Versicherten deutlich öfter eine IGeL-Leistung angeboten als bei niedrigerem Einkommen.
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Selbstzahler-Leistungen vom Arzt genau erklären lassen
Ob es nun um einen Ultraschall der Eierstöcke geht, um Akupunktur oder eine Augeninnendruck-Messung: Um eine Antwort zu finden, hilft es, nachzufragen und sich die Leistung erläutern lassen. Wie gut ist die Methode geprüft? Welchen Nutzen kann sie mir persönlich bringen? Welche Risiken gibt es - drohen falsch-positive Testergebnisse, die eine unnötige Behandlung nach sich ziehen können? Und: Warum genau ist diese Untersuchung oder Behandlung keine Kassenleistung? Was kostet sie?
Denn nur wer genaue Informationen hat, kann möglichen Nutzen und Schaden abwägen, heißt es von der Verbraucherinitiative. Übrigens: Aufklärung und Information über Selbstzahler-Leistungen darf der Arzt oder die Ärztin nicht ans Praxispersonal auslagern, sondern muss diese Aufgaben selbst übernehmen.
Was für IGeL-Angebote gibt es?
Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) lassen sich der Verbraucherzentrale zufolge grob in zwei Arten unterteilen. Da sind Leistungen, die nicht medizinisch notwendig sind, also weder zur Behandlung noch zur Früherkennung von Krankheiten dienen. Daher sind sie keine Kassenleistungen. Dazu zählen zum Beispiel sportmedizinische Untersuchungen, Tattooentfernungen, Paartherapien oder Reiseimpfungen.
Die zweite IGeL-Art kommt in der Praxis deutlich häufiger vor: Es sind Leistungen, die der Arzt oder die Ärztin ohne begründeten Krankheitsverdacht oder mit innovativen Behandlungsmethoden durchführt. Dazu zählen auch einige Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung, etwa ein Ultraschall der Eierstöcke oder ein PSA-Test, der Hinweise auf Prostata-Tumore geben kann.
Das sind Untersuchungen, die die Krankenkasse nur dann zahlt, wenn ein erhöhtes Erkrankungsrisiko vorliegt, es in der Familie also bereits Fälle von Krebs gibt. Liegt das nicht vor, muss man sie aus eigener Tasche zahlen.
Was sollte ich noch tun, wenn mir eine Selbstzahler-Leistung angeboten wird?
Wichtig ist, den Arzt oder die Ärztin zu bitten, die zu erwartenden Kosten einmal schriftlich darzulegen. Ebenfalls sinnvoll: Bedenkzeit einfordern. Die Selbstzahler-Leistungen sind laut Verbraucherinitiative in aller Regel nicht dringend. Eine der wenigen Ausnahmen: Reiseimpfungen, die mit genug Vorlauf passieren müssen.
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Ob zu Akupunktur in der Schwangerschaft, Stoßwellentherapie beim Tennisarm oder Krebsfrüherkennung-Ultraschall: Auf dem Portal „igel-monitor.de“ des Medizinischen Dienstes Bund kann man sich über verschiedene Selbstzahler-Leistungen und ihren möglichen Nutzen informieren. Allerdings sind längst nicht alle Selbstzahler-Leistungen dort bewertet.
Bei der Entscheidungsfindung kann laut Verbraucherinitiative auch helfen, sich eine Zweitmeinung bei einem anderen Arzt einzuholen oder bei einer Patienten- oder Verbraucherberatungsstelle bzw. der Krankenkasse nachzufragen. Bei letzterer lohnt es sich übrigens eine Anfrage, ob die Kasse die IGeL möglicherweise als freiwillige Leistung übernimmt, rät die Verbraucherzentrale. Viele Versicherungen tragen etwa freiwillig die Kosten für Reiseimpfungen.
Was muss ich wissen, wenn ich mich für eine IGeL entschieden habe?
Bevor sie durchgeführt wird, haben Patientinnen und Patienten ein Recht auf einen schriftlichen Vertrag, der die einzelnen Leistungen und Kosten auflistet. Wurde ein solcher Vertrag nicht geschlossen, müssen Patientinnen und Patienten nicht bezahlen, auch wenn sie die IGeL in Anspruch genommen haben, heißt es auf dem Portal „igel-monitor.de“. (dpa/dpa-tmn)