TKein Kinderarzt mehr im Ort: Familien kämpfen mit Versorgungslücken

In Zeven gibt es keinen Kinderarzt (Symbolbild). Foto: Julio César Velásquez Mejía
In Zeven warten die Menschen bereits seit Jahren auf einen neuen Kinderarzt. Für die medizinische Betreuung ihrer Kinder müssen sie teils weite Strecken zurücklegen, auch in den Kreis Stade.
Zeven. Viele Eltern sind gezwungen, mit ihren kranken Kindern oder zu anstehenden U-Untersuchungen weite Strecken zurückzulegen - sei es nach Stapel, Scheeßel, Lilienthal, Rotenburg, Bremervörde, Harsefeld, Osterholz-Scharmbeck, Tostedt oder sogar bis nach Buxtehude. Doch längst nicht alle jungen Patienten aus dem Raum Zeven haben einen festen Kinder- und Jugendarzt gefunden.
So viele Ärzte wie noch nie - dennoch gibt es Versorgungslücken
Trotz der schwierigen Situation gibt es im Landkreis Rotenburg offiziell keine kinderärztliche Notlage. Statistisch betrachtet gilt die Region als ausreichend versorgt - allerdings nicht in der Mitte des Kreises. Auch die Zahlen der Ärztekammer weisen keinen generellen Ärztemangel aus. Dennoch bleibt die Realität für viele Familien eine Herausforderung.
Mehr Mediziner, weniger Praxen: Wo liegt das Problem?
Noch nie standen so viele Mediziner Patienten gegenüber wie heute - und die Zahl steigt Jahr für Jahr. Gleichzeitig nimmt jedoch die Zahl der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte stetig ab.

Dr. med. Thomas Buck (58), Kinder- und Jugendarzt sowie Vorstandsmitglied der Ärztekammer Niedersachsen, schätzt den Mangel an Kinderärzten in der Region ein. Foto: ÄKN
Zum Interviewtermin an seinem letzten Urlaubstag sitzt Dr. med. Thomas Buck (58), Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Hannover und Vorstandsmitglied der Ärztekammer Niedersachsen, bereits den ganzen Tag in seiner Praxis und erledigt Büroarbeit. Die zunehmende Bürokratie sei jedoch nicht das einzige Problem. Er sieht vielfältige Ursachen für die paradoxen Versorgungslücken:
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„Es wird immer von einer aktuellen Notlage gesprochen, dabei wird uns dieses Problem noch jahrelang begleiten - die Weichen hätten vor 15 Jahren gestellt werden müssen. Das Land hat es versäumt, zukunftsfähige Modelle für Ärztinnen und Ärzte zu schaffen.“
Den Mangel an Kinderärzten, insbesondere in ländlichen Gebieten, führt er nicht vorrangig auf zu wenige Studienplätze zurück. Vielmehr seien die Ursachen tiefgreifender und äußerst komplex.
Steigender Frauenanteil in der Medizin erfordert neue Konzepte
Laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) waren 2021 rund 73,2 Prozent der Medizin-Erstsemester Frauen. Im selben Jahr lag der Anteil weiblicher Absolventinnen und Absolventen bei 71 Prozent. Derzeit sind 63,1 Prozent der Fachärzte in der Kinder- und Jugendmedizin weiblich.
„Ich schätze meine Kolleginnen in besonderem Maße und bin froh, dass wir heute so weit sind“, sagt Buck. Ärztinnen waren in der Medizin einst erst verboten, dann geduldet - heute sind sie unverzichtbar, morgen prägend und übermorgen entscheidend.
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Die Gleichstellung der Frauen bedeutet jedoch auch, dass es eine zuverlässige Kinderbetreuung geben muss. Eine Einzelpraxis kommt für viele Ärztinnen nicht infrage, da sie in ihrer Arbeitszeit deutlich eingeschränkt sind. „Ohne verlässliche Urlaubsbetreuung kann kein Elternteil arbeiten“, kritisiert Buck die derzeitige Lage.
Generell müsse die Arbeitsumgebung für junge Familien attraktiver gestaltet werden. „Es braucht ausreichend Kindergärten, Schulen und Freizeitangebote in der Umgebung“, fordert der 58-Jährige. Teilzeitmodelle seien zudem nur dann realisierbar, wenn sich geeignete Kolleginnen oder Kollegen fänden, mit denen man sich eine Stelle teilen kann.
Fehlende Arztarbeitszeit durch Überbürokratisierung
„Die Zeit am Patienten muss sich deutlich erhöhen“, sagt Buck. Das größte Problem sei die wachsende Bürokratie. Mittlerweile verbringt er rund 30 bis 40 Prozent seiner Arbeitszeit mit Papierkram. „Solche Zeitfresser müssen abgeschafft werden“, fügt er verärgert hinzu.
Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen müssten verbessert werden: „Regresse schrecken den Nachwuchs ab“, kritisiert der Facharzt. Wenn Ärztinnen und Ärzte gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen, drohen ihnen Nachforderungen (Regresse) oder Honorarkürzungen. Die Kommunikation solcher - teils existenzbedrohender - Forderungen sei ein entscheidender Grund dafür, dass laut einer KBV-Befragung von 12.000 Medizinstudierenden im vergangenen Jahr fast 50 Prozent drohende Regressforderungen als Hinderungsgrund für eine Niederlassung nannten.
Leidtragende des Ärztemangels sind die Patienten
Die Folgen dieser Fehlentwicklungen bekommen die Patienten am härtesten zu spüren, erklärt Buck. „Wir mussten unsere Sprechzeiten bereits deutlich einschränken, und Hausbesuche sind seit Jahren nicht mehr möglich.“
Doch der Arzt aus Leidenschaft gibt nicht auf. Viele, die in seiner Praxis eine Ausbildung machen, bleiben auch langfristig dort. Im Gegensatz zur Arbeit in großen Kliniken sehe man hier, wie sich die Menschen entwickeln und aus kleinen Patienten große Erwachsene werden.