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Ganztagsschule

TKinderbetreuung: Nach Schulschluss übernehmen bald die Sportvereine

Fußballtrainer Lutz Bendler vom VfL Güldenstern Stade kennt sich aus mit Projektarbeit an Stader Grundschulen.

Fußballtrainer Lutz Bendler vom VfL Güldenstern Stade kennt sich aus mit Projektarbeit an Stader Grundschulen. Foto: Berlin

Grundschulkinder haben bald Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung. Dieser Anspruch hat Auswirkungen auf den Sport. Ist diese Regel Fluch oder Segen für die Sportvereine?

Von Rainer Thumann Samstag, 27.09.2025, 07:50 Uhr

Landkreis. Unterrichtsbeginn um 8 Uhr. Fünf Stunden später ist die Schule für Grundschüler in Niedersachsen aus. So war es früher. Und so ist es im Landkreis Stade für die große Mehrzahl der etwa 8500 Kinder in den ersten vier Schulklassen weiterhin. Schon im kommenden Jahr soll sich das ändern.

Mit Beginn des Schuljahres 2026/27 erhalten Erstklässler in Niedersachsen einen rechtlich abgesicherten Anspruch auf acht Stunden ganztägige Betreuung. Die wird stufenweise bis 2030 für alle Jahrgänge bis zur Klasse 4 ausgebaut.

Bisher ist der Anteil der bereits vorhandenen Ganztagsgrundschulen recht niedrig, wie der im August veröffentlichte Bildungsbericht 2025 des Landkreises Stade ausweist. Unterschieden wird dort zwischen gebundenen, teilgebundenen und offenen Ganztagsschulen. „Mit dem kommenden Rechtsanspruch ist daher die Herausforderung im Primarbereich besonders hoch, zeitnah Strukturen für den Ganztag zu schaffen. Auffällig ist, dass die offenen Ganztagsgrundschulen fast ausschließlich in den Hansestädten Buxtehude und Stade vorkommen“, ist dort zu lesen.

Das sind die wichtigsten Fragen

Das wird Folgen haben für die 41 Grundschulen, aber auch für die Vereine an den Schulstandorten. Werden immer mehr Kinder ihren Nachmittag in Zukunft in der Schule statt im Sportverein verbringen? Und fehlt den Kindern dann beim Unterricht bis 16 Uhr die Motivation oder schlicht die Zeit, sich anschließend noch im Sportverein zu betätigen? Laufen die Vereine Gefahr, reihenweise junge Mitglieder zu verlieren? Welche Kooperationen sind denkbar und wer kann die zusätzliche Zeit produktiv füllen? Wie bereiten sich die Vereine auf dieses Szenario in etwa zehn Monaten vor?

Der Kreissportbund Stade (KSB) ist in Vorleistung gegangen. „Wir haben in diesem Jahr drei Veranstaltungen zu dem Thema abgehalten“, berichtete KSB-Sportreferent Michell van Os. Im Rahmen dieser Veranstaltung, bei der von 145 Vereinen im Kreis ein knappes Dutzend die Info-Chance nutzte, wurde deutlich, welch Unsicherheit bei den Beteiligten auf Vereinsseite vorherrscht.

„Es gibt ein riesiges Kommunikationsproblem von Schulen, an Vereine heranzutreten und auch umgekehrt“, so van Os, der seit Jahresbeginn in Diensten des KSB steht.

Gibt es genügend Personal in den Vereinen?

Es sei in den Vereinen schwierig, Übungsleiter und Betreuer zu finden, die für die nächste Saison zur Verfügung stehen. Dieser gesetzliche Anspruch verschärfe die Situation zusätzlich, weil es zudem auch zu Kollisionen mit den frühen Trainingszeiten führe, nannte Karsten von Eitzen die in Vereinskreisen oft geäußerten Problemstellungen. Er kennt beide Seiten sehr gut. Er ist Lehrer im Leistungskurs Sport am Buxtehuder Gymnasium Süd und Handball-Jugendtrainer und Vertrauensmann beim Buxtehuder SV.

Es geht letztlich also um das Personal, um Kapazitäten in den Sporthallen und ums Geld.

TuS Eiche Bargstedt ist ein kleinerer Verein und hat sich proaktiv mit der Thematik befasst. Herausgekommen sind zwei Möglichkeiten. „Variante A bedeutet, als Kooperationspartner neben vielen anderen Anbietern aus dem Ort aufzutreten. Oder Variante B, ein bisschen größer zu denken in Richtung Trägergesellschaft und damit quasi für die Schule die gesamte Nachmittagsbetreuung zu organisieren“, erläutert der Eiche-Vorsitzende Dennis Neumann die Vereinsideen und freut sich, dass sein Förderantrag für die Personalstelle vom Landessportbund den Zuschlag erhielt. „Unsere neue Koordinatorin eruiert und konzipiert seit Mitte August, welche Angebote wir machen könnten, um sie schon mal testweise mit der Grundschule durchzuführen“, so der 33-jährige Bargstedter.

Diese Erfahrungen sammelte der VfL Stade

Auf einen breiten Erfahrungsschatz in der Zusammenarbeit mit Schulen kann Geschäftsführer Justin Moradi beim VfL Stade zurückgreifen. Der mit 5500 Mitgliedern größte Verein im Kreis betreibt seit über zehn Jahren Kooperationen zwischen Verein und Schulen. „Neben der Pestalozzi-Schule kommt uns die langjährige Zusammenarbeit mit in der Spitze bis zu zehn Schulen zugute. Wir sehen sowohl für den Verein als auch die Schulen einen Mehrwert“, sagt Moradi. Letztendlich bleibe aber immer die Frage der personellen Kapazität.

Justin Moradi, Geschäftsführer beim VfL Stade.

Justin Moradi, Geschäftsführer beim VfL Stade. Foto: Archiv

Der VfL habe das Glück, über eine hauptamtliche Verwaltung und Übungsleiter zu verfügen und könne so das Ziel, Kinder bereits im Schulbetrieb für den Vereinssport zu begeistern, einfacher realisieren, erklärte der 34-Jährige.

Der VfL Stade schließt aktuell jeweils vor den Sommerferien Kooperationsverträge mit Schulen ab. In der Mehrzahl bieten dann Bundesfreiwilligendienstler (Bufdis), FSJler oder Minijobber niederschwellige Bewegungsangebote oder AGs und Aktionstage an wie zuletzt für Badminton, Basketball, Handball oder Fußball oder auch Karate und Judo zur Selbstverteidigung. Moradi macht aber auch deutlich, woran es offensichtlich noch mangelt.

Geschäftsführer fordern finanzielle Unterstützung

Es fehlt an Geld und Personal. „Wir müssen als Verein, der von den Mitgliedsbeiträgen lebt, natürlich mit allen Schulen über die Refinanzierung sprechen“, sagte Moradi.

Benjamin Wutzke, Geschäftsführer des TuS Harsefeld.

Benjamin Wutzke, Geschäftsführer des TuS Harsefeld. Foto: Fehlbus

Ähnlich sieht es Benjamin Wutzke, der als Geschäftsführer des TuS Harsefeld die Geschicke von 3500 Mitgliedern verantwortet: „Es ist nicht realistisch, diese Aufgaben langfristig allein auf ehrenamtliche Schultern zu legen. Wenn Politik und Gesellschaft möchten, dass Vereine Verantwortung in außerschulischer Bildung, Integration und Gesundheit übernehmen, dann brauchen wir verbindliche finanzielle Zusagen.“

„Das Land stellt die personellen Ressourcen für die Ausgestaltung der Ganztagsgrundschulen bedarfsgerecht, d. h. auf der Grundlage der am Ganztagsbetrieb teilnehmenden Schülerinnen und Schüler, zur Verfügung“, schreibt das Kultusministerium in Hannover. Demnach stehen rund 134 Millionen Euro für die Sicherstellung der Verlässlichkeit und außerunterrichtliche Angebote zur Verfügung. „Durch den steigenden Personalbedarf im Rahmen des Rechtsanspruchs geht das Land derzeit ab dem Schuljahr 2029/30 von geschätzten Kosten in Höhe von 258 Mio. Euro jährlich aus“, heißt es auf dem Bildungsportal von Kultusministerin Julia Willie Hamburg.

So läuft es in Horneburg

„Für unsere Sportvereine ergeben sich aus dem Rechtsanspruch neue Herausforderungen und Chancen“, unterstreicht die für Sportentwicklung im Vorstand des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) zuständige Michaela Röhrbein. Viel wird auch weiterhin vom persönlichen Engagement in Schule und Verein abhängen. Beispiel Horneburg.

Da ist die Schulleiterin gleichzeitig auch Fachkonferenzleiterin Sport. Daniela Rambow ist in der Handball-Halle groß geworden. „Mein Büro ist die Halle“, sagt Rambow, die der Johann-Hinrich-Pratje-Schule in Horneburg vorsteht und auf deren gut gestalteter Homepage die Logos als „Sportfreundliche Schule“ und „Partnerschule des Deutschen Fußball-Bundes DFB“ prangen.

Die Schule kooperiert mit dem VfL Horneburg im Handball und beim Judo, mit dem Dartverein, es gibt eine Spiel- und Sport-AG und Schach oder Tennis. „Glück haben wir, dass das Schwimmbad praktisch auf dem Schulgelände liegt“, sagt Rambow. Seit 2013 kümmert sich die Schule bis in den Nachmittag hinein um Kinder, die das wollen. Lehrer und Eltern engagieren sich, Vereine geben ehrenamtlich ihr Bestes.

Kinder werden immer dicker

Pragmatische Lösungen fordern die Beteiligten. Vielleicht hilft ja für den Anfang eine Idee, die KSB-Geschäftsführer Philipp Tramm beim Regionssportbund Hannover entdeckte. „Eine Vermittlungsbörse - Verein sucht Schule und Schule sucht Verein. Vielleicht gibt es ein Match“, hofft Michell van Os, der beim KSB für Vereinsberatung zur Verfügung steht, auf viele Treffer.

Denn Sport und Bewegung bereits im Kindesalter sind so wichtig. Laut einem Unicef-Bericht ist in Deutschland jeder Vierte im Alter von fünf bis 19 Jahren übergewichtig, mit steigender Tendenz.

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