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Personalmangel

TKita-Krise im Kreis Stade: Drei Brandbriefe an die Kultusministerin

Kita ist mehr als Betreuung: Kinder lernen und knüpfen Freundschaften - zum Beispiel beim Kartoffelsuppe-Essen.

Kita ist mehr als Betreuung: Kinder lernen und knüpfen Freundschaften - zum Beispiel beim Kartoffelsuppe-Essen. Foto: Georg Wendt/dpa

Mangels Personal müssen Kitas immer öfter Öffnungszeiten einschränken oder Gruppen schließen. Was tun? Eltern, Kita-Leitungen, Träger und Bürgermeister im Kreis Stade haben eine praxistaugliche Idee und fordern, dass die Landesregierung sie umsetzt.

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Von Anping Richter
Dienstag, 09.04.2024, 18:34 Uhr

Landkreis. Morgens in die Kita, nachmittags abholen: So war das mal. Für viele Familien sieht der Kita-Alltag heute anders aus. „Fast täglich bringen wir unsere Kinder, ohne zu wissen, ob diese überhaupt betreut werden (können) oder kurz vor knapp wieder eine Meldung der Kita kommt“, heißt es in einem Schreiben des Stader Kita-Stadtelternrats.

Schlimmstenfalls stehen sie mit den Kindern schon vor der Kita-Tür, wenn sie erfahren, dass sie die Kleinen wieder mitnehmen müssen. „Zum Glück darf ich im Homeoffice arbeiten. Das mache ich dann nachts, wenn die Kinder schlafen“, berichtet Ramona Mayer, eine Mutter aus Stade.

Stader Eltern sind wütend und verzweifelt

„Wir Eltern schwanken zwischen Wut, Verzweiflung und Enttäuschung“, schreibt Katharina Brüggemann. Die Vorsitzende des Stader Kita-Stadtelternrats hat den Brief an Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) nach vielen Gesprächen mit anderen Eltern, Kita-Leitungen und Trägern aufgesetzt. Die Eltern fordern darin eine Gesetzesänderung, die die Situation entschärfen könnte: Aktuell muss mindestens eine Fachkraft mit vierjähriger Erzieher-Ausbildung dabei sein, um eine Gruppe zu betreuen. Sozialpädagogische Assistenten (SPA) dürfen lediglich als Ergänzungskräfte eingesetzt werden.

Nur für Randzeiten gibt es eine Ausnahme: Dann dürfen bei Fachkräftemangel auch zwei SPA eine Gruppe betreuen. Die Eltern fordern, das jetzt auch für die Kernzeit zuzulassen.

Auf Nachfrage im Kultusministerium bestätigt die Pressestelle den Empfang der Briefe. Die Ministerin werde sich zeitnah dazu äußern. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung fehlen in Niedersachsen bis 2025 etwa 5000 Fachkräfte. Das macht nicht nur Familien zu schaffen, sondern auch Trägern und Kommunen. Letztere sind schließlich Adressaten, wenn es um den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz geht.

Kita-Erzieherin kämpft mit schlechtem Gewissen

Nach Gesprächen mit dem Stadtelternrat hat die Stadt Stade auch einen Brandbrief ans Ministerium aufgesetzt. Der Landrat und alle hauptamtlichen Bürgermeister im Kreis haben unterschrieben, wie schon beim ersten Brandbrief 2022. Diesmal sind auch die Kita-Träger dabei. Die Kita-Leitungen haben einen eigenen Brief geschickt. Darin zitieren sie die Leitung einer Kita-Gruppe, die mangels Personal langfristig geschlossen werden musste: „Ich habe das Gefühl, es ist kaum noch eine qualitative, pädagogische Arbeit möglich. Wenn ich an die Familien denke, die jetzt zu Hause sind und keinen Kita-Platz mehr haben oder Eltern, die aufgrund der mangelnden Betreuung ihrer Kinder ihren Job verloren haben, habe ich schon ein schlechtes Gewissen.“

Die Kita-Leitungen weisen darauf hin, dass die Vorschrift, dass SPA eine Gruppe nicht alleine betreuen dürfen, gut ausgebildete pädagogische Assistenzkräfte mit teilweise mehrjähriger Berufserfahrung frustriert. „Es macht für mich einfach keinen Sinn. Ich arbeite seit 16 Jahren als sozialpädagogische Assistentin und ich habe selbst einen Sohn großgezogen. Es war jahrelang kein Problem, dass ich mit einer SPA-Kollegin zusammen die Gruppe geleitet habe, wenn meine Erzieherkollegin im Urlaub oder krank war“, wird eine 43-Jährige mit 13 Jahren Berufserfahrung zitiert.

Pädagogisches Personal frustriert von Zwei-Klassen-Gesellschaft

Die zweijährige SPA-Ausbildung ist Teil der insgesamt vierjährigen Erzieherausbildung. Erzieher mit drei Jahren Berufserfahrung verdienen in Entgeltgruppe S8a im öffentlichen Dienst rund 3750 Euro brutto, SPA verdienen in Entgeltgruppe S3 im öffentlichen Dienst bei drei Jahren Berufserfahrung rund 3300 Euro brutto. Die Erzieherausbildung vermittele tiefergehende pädagogische Inhalte, sagt Birgit Pergande, Fachbereichsleiterin bei der Stadt Stade. Die bestehende Gesetzgebung sorge beim Personal aber für eine Zwei-Klassen-Gesellschaft und erlaube den Kitas in der Planung keine Flexibilität.

Aus ihrer Sicht wäre es gut, der Kita-Leitung die Entscheidung zu überlassen, ob eine SPA erfahren genug ist, um eine fehlende Fachkraft zu vertreten: „Dann müssten wir nicht mehr so schnell Betreuungszeiten kürzen oder Gruppen schließen.“

Auch die Buxtehuder Jugendamtsleiterin Andrea Lange-Reichardt hat den Brandbrief unterschrieben. Die pädagogische Arbeit in den Buxtehuder Kitas liege nach wie vor auf höchstem Niveau, doch diesem Anspruch in Zeiten des Fachkräftemangels gerecht zu werden, erhöhe die Belastung der Mitarbeitenden.

Auch sie denkt, dass Kita-Leitungen entscheiden könnten, ob erfahrene und gut ins Team integrierte SPA übernehmen können, statt eine Gruppe zu schließen. Für die Personalplanung in den Buxtehuder Kitas würde das aktuell nicht viel bringen: Hier arbeiten 70 Erzieher und nur 9 SPA. Aber bald sollen in Buxtehude drei neue Kitas eröffnen - und auch dafür muss Personal gefunden werden.

Nach TAGEBLATT-Informationen könnte es sein, dass die Initiative aus dem Kreis Stade in Hannover mit ihrem Vorschlag offene Türen einrennt: Hinter vorgehaltener Hand ist von einem entsprechenden Gesetzentwurf die Rede, an dem bereits gearbeitet werde. Die Landtagsabgeordnete Corinna Lange (SPD) will sich dazu auf Nachfrage nicht äußern. Aber sie findet, dass eine erfahrene SPA durchaus in der Lage sei, eine Gruppe zu leiten. Lange weiß, wovon sie spricht: Sie war früher selbst SPA.

„Wir wollen die Standards hochhalten, so hoch wie möglich. Aber wir müssen der Realität auch ins Auge sehen“, sagt Lange. Sie selbst tut das als Mutter auch: Ihre Jüngste muss zurzeit immer eine Stunde früher aus ihrer Fredenbecker Krippe abgeholt werden - Personalmangel.

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