TKriegsende in Buxtehude: Britischer Coup macht weltweit Schlagzeilen

Hunderte Marinehelferinnen aus der Estetal-Kaserne müssen sich nach der kampflosen Übergabe der Stadt bei den Briten melden. Foto: TAGEBLATT-Archiv
Das Kriegsende am 8. Mai vor 80 Jahren kündigt sich in Buxtehude früher an. Die Übernahme durch die Briten am 22. April macht internationale Schlagzeilen - und es gibt eine Verbindung zu James Bond.
Buxtehude. Für die Briten ist es ein Coup: Sie haben Buxtehude am 22. April 1945 kampflos besetzt und dabei einen Admiral gefangengenommen, der von hier aus die Verwaltung von etwa 400.000 Soldaten der Marine der Nordsee gesteuert hat. Zeitungen in aller Welt berichten - sogar der „Adelaide Advertiser“ in Australien.
500 Marinehelferinnen, heißt es dort, sollen Konteradmiral Siegfried Engel zum Abschied gewinkt und bitterlich geweint haben, als ihre Kameraden in Lastwagen verfrachtet und in Gefangenenlager gebracht wurden. Rund die Hälfte der 1500 Marine-Mitarbeiter war allerdings schon in der Nacht zum 20. April nach Schleswig-Holstein verlegt worden.
Verbindung von James Bond und Buxtehude
Die Übernahme von Buxtehude ist eine Operation, an der ein britisches Geheimkommando beteiligt ist: die 30 Assault Unit der Royal Navy unter dem Kommado von Dunstan Curtis. Wer bisher noch nichts von ihm gehört hat, sollte wissen: Er diente als Vorbild für die Figur des James Bond, wie deren Erschaffer, der Buchautor Ian Fleming, später berichtete. Während der Besetzung von Buxtehude war Fleming noch eine Schlüsselfigur des britischen Geheimdiensts - und der Vorgesetzte von Dunstan Curtis.
In den Tagen zuvor sind die Briten über Apensen, Moisburg und Elstorf näher gerückt. Am 21. April erreichten die ersten Panzer Pippensen. Wie brenzlig die Lage ist, erzählt der Militärpfarrer Karl Halaski in einem Bericht, der im Stadtarchiv vorliegt.
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Halaski war Vertreter der NS-kritischen Bekennenden Kirche, früher wegen angeblichen Missbrauchs von Kanzelpredigten von den Nationalsozialisten bestraft worden und zu diesem Zeitpunkt Konteradmiral Engels Adjutant.
Nach seiner Schilderung der Ereignisse, die im Buxtehuder Stadtarchiv vorliegt, spielte sich Folgendes ab: Ein kleiner Kreis innerhalb des in Buxtehude stationierten Militärs hatte im Geheimen besprochen, angesichts der militärisch aussichtslosen Lage keinen Widerstand zu leisten. Zu ihnen gehörten Engel, Kapitän Alexander Magnus als Standortältester sowie der Hauptmann und frühere Englischlehrer Hans Haverkamp.
Der Volkssturm – angeführt von dem Oberlehrer und Wehrturnsportleiter Hans Langelüddeke – errichtet noch einige Panzersperren. Die immer noch verteidigungswilligen Nationalsozialisten werden aber abgelenkt, Sprengsätze, die sie an Brücken angebracht haben, heimlich entschärft. Mit einer weißen Fahne, die sie aus dem Fenster ihres Jeeps hängen, fahren Pastor Halaski und Hans Haverkamp den Briten als Verhandler entgegen.

Zeitzeugen: Der 91-jährige Hans-Georg Freudenthal (links) und der 97-jährige Hein Gütersloh haben die NS-Zeit in Buxtehude persönlich miterlebt. Foto: Richter
Der Zeitzeuge Hans-Georg Freudenthal, damals 12 Jahre alt, berichtet, wie er die Kapitulation zusammen mit seinem Freund Georg Bergmann von der Lüneburger Schanze aus beobachtet, wo sie einen guten Blick auf die Heide haben. „Wir sind nach Hause gelaufen und haben gerufen: Sie kommen! Sie kommen“, erinnert er sich. „Panzer, Motorräder und Lkw kamen von überall, die ganze Erde bebte“, sagt der 1933 geborene Freudenthal, der damals im Ellerbruch wohnte.
Die Briten haben die Besetzung gut geplant. Wie Freudenthal berichtet, haben sich viele Marinehelferinnen angesichts der näherrückenden Engländer in Privathäuser zurückgezogen, zwei von ihnen in sein Elternhaus. Die Briten fahren nun mit Lautsprechern durch die Straßen und rufen sie auf, sich in der Kaserne einzufinden. Wie die meisten Soldaten kommt auch Konteradmiral Engel in Gefangenschaft.
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Der britische „Guardian“ berichtete schon im Jahr 2001, dass deutsche Gefangene vom Combined Services Detailed Interrogation Centre heimlich abgehört und ihre Gespräche aufgezeichnet wurden. Die Tonbänder wurden auch nach Washington geschickt, wanderten ins US National Archive und wurden 1998 deklassifiziert. Der US-amerikanische Historiker Peter Maguire grub sie aus. Unter den zahllosen Tonbändern erregte ein Gespräch von Konteradmiral Engel mit Vizeadmiral Kurt Utke seine Aufmerksamkeit.
Heimliche Tonbandaufnahmen im Gefangenenlager
Der „Guardian“ zitiert, wie Engel sagt: „Belsen und Buchenwald waren für mich keine Überraschung“ und Utke darauf antwortet: „Für mich schon.“ Engel fährt fort: ‚Aber der Durchschnittsdeutsche weiß, dass es so ist. Haben Sie nicht gehört, wie die Konzentrationslager von außen aussahen? Wie die Leute am Standartenführer vorbeilaufen mussten. Das war das Letzte. Dann wundern wir uns, wenn die Leute hier uns das vorwerfen.“

In den 30er Jahren wehen in der Langen Straße Hakenkreuz-Flaggen. Foto: Tageblatt-Archiv
In Buxtehude wurde es nun friedlicher - wenn auch nicht unbedingt einfacher. „Die schlimmste Zeit ging danach erst los. Es gab nichts mehr zu essen und nichts mehr zum Heizen. Wir hatten Bezugsscheine, aber die Läden waren leer“, sagt Hans-Georg Freudenthal. Im Alten Land wird noch gekämpft. Die Front verläuft nun nördlich von Buxtehude.
Hein Gütersloh zieht in den Krieg - mit knapp 17 Jahren
Noch in den letzten Kriegswochen muss sich der heute 97-jährige Buxtehuder Heinrich (Hein) Gütersloh von seinen Eltern verabschieden: Am 14. März 1945, einen Tag vor seinem 17. Geburtstag, bricht er nach Satrup bei Flensburg auf, wo er mit Gleichaltrigen für den Fronteinsatz getrimmt wird: „Wir mussten schießen üben und lernen, mit Eier-Handgranaten umzugehen.“ Danach kommt er nach Dresden, wo sie in der Hindenburg-Kaserne untergebracht werden und im Keller sitzend am 19. April Goebbels Rede zum Vorabend von Hitlers Geburtstag im Radio hören.

Das Hitlerjugend-Heim bei der Einweihung 1940. Foto: Stadtarchiv Buxtehude
Danach müssen die Jungs an die Front. „Wir wurden zu kleinen Trupps zusammengestellt, bekamen italienische Damenfahrräder und jeder zwei Panzerfäuste“, berichtet Gütersloh. Damit sollen sie sowjetische Panzer ausschalten. Sie befestigen die Panzerfäuste am Fahrrad und fahren über Sachsen ins Sudetenland, nach Teplitz-Schönau. Vom Kriegsende am 8. Mai bekommen die Jungs nichts mit - bis sie am 10. Mai zu einem Bauernhof kommen.
Zu Fuß vom Sudetenland nach Buxtehude
„Der Bauer sagte: Der Krieg ist aus. Wir hatten uns schon am Abend vorher gewundert, dass die Autos alle nachts Licht anhatten“, erinnert sich Hein Gütersloh. Ein russischer Soldat ruft ihnen zu: „Germaniya kaputt! Germanski Kamerad nach Haus!“ Ein bereits entwaffneter Oberfeldwebel rät den Jungs, schnell gen Westen zu verschwinden. Das tun sie - zu Fuß. Die Fahrräder haben sie längst verloren. Unterwegs hört Gütersloh von dem schweren Bombenangriff auf den Buxtehuder Bahnhof am 18. April. Sein Vater Heinrich ist Bahnaufsichtsbeamter. Er hofft, dass ihm nichts passiert ist.

Bewacht von britischen Soldaten werden die deutschen Soldaten in der Estetal-Kaserne in Lastwagen eingesammelt und in Gefangenenlager gebracht. Foto: TAGEBLATT-Archiv
Um nicht als Soldat aufzufallen, schneidet der inzwischen 17-Jährige sich die Hose überm Knie ab und wendet die Tarnjacke nach außen. Jeden Tag findet er Menschen, die ihm etwas zu essen und einen Schlafplatz geben. In Chemnitz sieht er die ersten Amerikaner, in Weimar wundert er sich über Leute in Sträflingskleidung und erfährt: Es sind befreite Häftlinge aus Buchenwald. Am 10. Juni kommt er in Buxtehude an. Seine Schwester öffnet die Tür. Die Freude ist riesig - auch Mutter, Vater und Großvater sind zu Hause. „Da waren wir drei Heinrichs wieder zusammen“, sagt Hein Gütersloh.
Dieser Artikel basiert auf eigenen Zeitzeugengesprächen und Recherchen sowie Dr. Norbert Fischers im Wachholtz-Verlag 2024 erschienener Untersuchung „Diktatur und kleinstädtische Gesellschaft: Buxtehude in der Zeit des Nationalsozialismus“. Fischer bietet zu diesem Thema am 8. Mai einen historischen Stadtrundgang an. Er beginnt um 17 Uhr am Geschwister-Scholl-Platz 1.
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