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80 Jahre Kriegsende

TNS-Opfer: Erinnerung an die getöteten Kinder von Fredenbeck

Wolfgang Weh berichtet Schülern am Gedenkstein von dem tragischen Schicksal der Opfer in der NS-Zeit.

Wolfgang Weh berichtet Schülern am Gedenkstein von dem tragischen Schicksal der Opfer in der NS-Zeit. Foto: Laudien

Ein Gedenkstein auf dem Friedhof in Klein Fredenbeck erinnert an die NS-Opfer dieses Ortes. Der frühere Lehrer Wolfgang Weh kennt die schreckliche Geschichte dazu.

Von Susanne Laudien Donnerstag, 08.05.2025, 17:40 Uhr

Fredenbeck. „Was sagt Euch die Inschrift auf dem Gedenkstein?“, fragt Wolfgang Weh. Gemeinsam mit Acht-, Neunt- und Zehntklässlern der Geestlandschule steht er am Donnerstag, dem 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges, auf dem Friedhof in Klein Fredenbeck. Sie gedenken der Opfer. Und die Inschrift „erinnert an die Menschen, die in der NS-Zeit gestorben sind“, sagt eine der Schülerinnen.

Ergriffen vom traurigen Schicksal: Schüler der Geestlandschule gedenken der Kinder von Zwangsarbeiterinnen in Fredenbeck.

Ergriffen vom traurigen Schicksal: Schüler der Geestlandschule gedenken der Kinder von Zwangsarbeiterinnen in Fredenbeck. Foto: Laudien

„Doch sie zeigt nicht die ganze Wahrheit“, erklärt Weh, der 33 Jahre lang Lehrer an der Geestlandschule war. Denn auf dem Findling stehen lediglich Vornamen - es ist nicht erkennbar, dass es sich hier um Kinder handelt und auf welche Weise sie ums Leben kamen. Weh weiß Näheres über deren tragisches Schicksal.

Wolfgang Weh liefert an der Gedenkstätte auf dem Friedhof in Klein Fredenbeck Wissenswertes zu dem tragischen Schicksal der NS-Opfer.

Wolfgang Weh liefert an der Gedenkstätte auf dem Friedhof in Klein Fredenbeck Wissenswertes zu dem tragischen Schicksal der NS-Opfer. Foto: Laudien

„Es handelt sich um 17 Kinder, die von 1944 bis Ende April 1945 im sogenannten Fremdvölkischen Kinderheim in Klein Fredenbeck geboren wurden und nicht überleben durften“, erklärt Weh den Geestlandschülern. Von den rund 7000 Zwangsarbeitern im Landkreis Stade, die hauptsächlich aus Polen und der Sowjetunion kamen, wurden ab August 1944 etliche schwangere Zwangsarbeiterinnen nach Klein Fredenbeck zur Entbindung in eine ehemalige Ziegelei am Ortsrand gebracht.

Der Gedenkstein in Fredenbeck zeigt lediglich Vornamen - und nicht, dass es sich um Kinder von Zwangsarbeiterinnen handelt und wann und wie sie ums Leben kamen.

Der Gedenkstein in Fredenbeck zeigt lediglich Vornamen - und nicht, dass es sich um Kinder von Zwangsarbeiterinnen handelt und wann und wie sie ums Leben kamen. Foto: Laudien

Die Säuglinge starben und wurden verscharrt, ihr Tod war gewünscht oder zumindest in Kauf genommen. „Ich durfte die Hebamme kennenlernen, die mir die Vorgänge mit mangelnder Ernährung und schlechten hygienischen Bedingungen schilderte“, erzählt der 77-jährige Weh.

„Wir waren mit den Schülern schon in KZ-Gedenkstätten in Dachau und Sandbostel. Aber dass auch hier vor Ort Massenvernichtungen stattgefunden haben, wissen nur die wenigsten“, sagt Fabian Schild von Spangenberg, Klassenlehrer einer 10. Klasse.

Hintergründiges zu dem Gedenkstein

Auch dass der Gedenkstein einst ein Stein des Anstoßes war, berichtet Weh: „Fünf Jahre hat es gedauert, bis der Gedenkstein schließlich am Volkstrauertag 2004 eingeweiht wurde.“ Vorweg habe es viele Streitereien im Gemeinderat gegeben, ob und wie der Kinder verschleppter Zwangsarbeiterinnen gedacht werden soll, die zum Ende der NS-Zeit in Fredenbeck ums Leben kamen.

Im Februar 1999 brachte Weh, seinerzeit einziger Vertreter der Grünen im Gemeinderat, mit seiner Idee erstmals den Stein ins Rollen. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen ging es sogar darum, zwei Gedenksteine aufzustellen - einen von der CDU, auf dem ganz allgemein Kindern gedacht werden sollte, und einen von Weh, mit Angaben zum kurzen Leben der Fredenbecker Zwangsarbeiterkinder. Die SPD schloss sich seinerzeit Weh an.

„Die Politik wurde sich nicht einig und der Gedenkstein war schon so gut wie abgelehnt. Doch dann spendeten Bürger 3000 Euro“, erzählt Weh. Als nachträgliche Ergänzung soll demnächst eine Tafel mit vollständigen Namen und Geburts- und Sterbedaten zu den Kindern der Zwangsarbeiterinnen in Fredenbeck erstellt werden, die bereits in Arbeit sei, versichert der 77-Jährige.

NS-Geschichte als Mahnung für die politische Zukunft

„Das traurige Schicksal der Kinder, die teils nur wenige Tage alt wurden, ist eine Folge der Politik des Faschismus“, mahnt Weh die Schülerinnen und Schüler mit Hinweis auf die Gegenwart und die rechtsextreme AfD. „Wir müssen die Demokratie bewahren. So etwas darf nie wieder passieren“, sagt der Grünen-Politiker.

Eine weiße Rose auf dem Gedenkstein für die Fredenbecker NS-Opfer Katharina Corleis und Johannes Joachim Meincke.

Eine weiße Rose auf dem Gedenkstein für die Fredenbecker NS-Opfer Katharina Corleis und Johannes Joachim Meincke. Foto: Laudien

Am 80. Jahrestag legt Weh außerdem weiße Rosen an der Gedenkstätte nieder - Sinnbild für die Widerstandsbewegung in der NS-Zeit Weiße Rose. Eine der Rosen schmückt einen Gedenkstein, der an die Fredenbecker Widerstandskämpferin Katharina Corleis, geborene Engelke, erinnert sowie an Johannes Joachim Meincke, ein Fredenbecker Opfer der NS-Psychiatrie.

Katharina und Ehemann Friedrich Corleis waren Mitglieder der SPD. Nach dem Verbot der Partei arbeiteten sie illegal weiter. Katharina wurde von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager in Hamburg-Fuhlsbüttel gebracht, wo sie 1935 angeblich Selbstmord begangen haben soll.

Geschichts- und Erinnerungstafel an der Gedenkstätte in Fredenbeck für Katharina Corleis und Johannes Joachim Meincke.

Geschichts- und Erinnerungstafel an der Gedenkstätte in Fredenbeck für Katharina Corleis und Johannes Joachim Meincke. Foto: Laudien

Bei Johannes Joachim Meincke erfolgte im Alter von fast 25 Jahren eine Zwangssterilisation im städtischen Krankenhaus Stade. Sie beruhte auf das 1933 erlassene Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vor allem für Behinderte und psychisch Kranke. Meincke verstarb mit 31 Jahren in einem Pflegeheim in Hildesheim.

Die Fredenbeckerin Katharina Corleis in ihrem Blumengarten.

Die Fredenbeckerin Katharina Corleis in ihrem Blumengarten. Foto: Laudien

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